Gegenüber dem Vorjahr habe es „keine größere Umwälzung“ gegeben, das Geschäftsjahr 2016 habe sich sogar besser entwickelt, als anfangs befürchtet. Und mit einem zehn Prozent höheren Betriebsergebnis und niedrigeren Schulden stehe der Konzern heute besser da als vor einem Jahr, freute sich am Dienstag Michel Wurth, der Präsident von Arcelor-Mittal Luxemburg. Die Luxemburger Rohstahlproduktion sei mit etwas mehr als zwei Millionen Tonnen konstant geblieben, die meisten Werke seien gut ausgelastet, fügte Roland Bastian hinzu, der nach dem etwas überstürzten Abgang von Alex Nick vor drei Monaten neuer Generaldirektor für Luxemburg wurde.
In Luxemburg, das einst zu den größten Stahlherstellern der Welt gehörte und die höchste Prokopfstahlproduktion der Welt beanspruchte, stellen derzeit 4 106 Beschäftigte 2,13 Millionen Tonnen Stahl her, gegenüber 1,1 Milliarden Tonnen in China. In Schifflingen wurde vergangenes Jahr erstmals seit der Geburt der Tripartite vor 40 Jahren einer der fünf von einer Standortgarantie geschützten Stahlstandorte aufgegeben, nachdem die Produktion schon 2011 eingestellt worden war (d’Land, 20.1.2017).
Heute sind Arcelor-Mittal in Luxemburg neben dem Firmensitz zwei große Werke, die spezialisierte Langprodukte für den Weltmarkt herstellen, und einige kleinere Werke, die sich ständig neue Nischenprodukte, manchmal auch für den regionalen Markt, einfallen lassen, um der Schließung zu entgehen. Obwohl die meisten schon recht alt sind, beschränken sich die Investitionen auf ein Minimum, weil auch die Luxemburger Werke darunter leiden, dass Firmeninhaber Lakshmi Mittal den Konzern beinahe konkursreif verschuldet hatte, um die feindliche Übernahme und seine aggressive Expansionspolitik zu finanzieren, die der Finanz- und Wirtschaftskrise zum Opfer fiel. Sichtbarste Zeichen hierzulande sind der Verkauf des historischen Firmensitzes am Rousegäertchen und der Traditionsfirma Paul Wurth.
Obwohl die Bilanz von 2016 erst nächsten Monat veröffentlicht wird, deutet die Firmenleitung an, dass das Ergebnis demjenigen des Vorjahrs ähneln wird. 2015 bilanzierte die Gruppe einen durch Wertberichtigungen und außerordentliche Aufwendungen gigantischen Verlust von 7,9 Milliarden Dollar. Nach einem absoluten Tief Anfang des vergangenen Jahres liegt der Aktienpreis dank der Verringerung der Schuld durch eine Kapitalerhöhung derzeit zwischen sieben und acht Euro gegenüber mehr als 60 Euro Anfang 2008.
In Belval, wo ein Elektroofen Schrott einschmilzt, ging die Rohstahlproduktion um 2,4 Prozent herauf, die Aufträge nahmen nach einem Rückgang im Vergleichsjahr 2015 wieder leicht zu, blieben aber trotz einer Zunahme um 8,5 Prozent bei im Bau eingesetzten Spundbohlen hinter den Erwartungen zurück.
In Differdingen, wo zwei Elektroöfen Schrott einschmelzen, nahm die Rohstahlproduktion vergangenes Jahr um 2,3 Prozent zu, die Trägerproduktion nahm nach einem Anstieg um vier Prozent 2015 wieder um 3,4 Prozent ab. Das Werk ist vor allem für seine im Hochhausbau verwendete Grey-Träger bekannt und bemüht sich, gegenüber der Konkurrenz seinen Vorsprung bei der Steigerung ihrer Belastbarkeit zu halten. Außerdem entwickelte es Verfahren, um Träger zusammen in Beton zu gießen, was weniger aufwendig ist, als sie zu verschweißen.
Neben der chinesischen Konkurrenz sind die CO2-Quoten der Europäischen Union dem Konzern ein anderer Dorn im Auge. Dieses Jahr muss Arcelor-Mittal zum ersten Mal Emissionsrechte für die beiden größten Werke hierzulande kaufen – weshalb es sogar vor Gericht klagte, um die Quoten des seit Jahren stillgelegten Schifflinger Werks behalten zu können.
Vergangenen Sommer wurde über den Verkauf der altehrwürdigen Bissener Neelfabrik verhandelt, als der Schwesterbetrieb in Bettemburg geschlossen wurde, weil der Markt für Sägedraht für Solarzellen zusammengebrochen war. Arcelor-Mittal habe beschlossen, dass der Sektor der Wire solutions nicht mehr zum Kerngeschäft passe. Als Interessent galt seinerzeit die Investitionsgesellschaft Oaktree Capital und als Verkaufsgrund das Bedürfnis der hochverschuldeten Gruppe nach Bargeld. Doch man sei sich mit dem damals einzigen Kaufinteressenten nicht handelseinig geworden, derzeit liefen keine Verkaufsgespräche und man suche auch nicht aktiv nach einem anderen Abnehmer, meinte Michel Wurth.
Vergangenes Jahr ging in Bissen der Absatz von Industriedraht um ein Viertel, der von Zäunen und Stahlfasern zur Verstärkung von Betonbauten um drei Prozent zurück, der Umsatz konnte aber insgesamt um die Hälfte erhöht werden. Das Bissener Werk, in dem 360 Leute arbeiten, sucht mit dem Mut der Verzweiflung nach immer neuen Nischenprodukten. Nach Draht zur Leitung von Reben in den Weinbergen konnte es nun einen Vertrag mit einer französischen Baumarktkette zur Lieferung von Zaunmaterial abschließen.
In Düdelingen, wo 236 Leute vor allem verzinkte Bleche für die Automobilindustrie, den Bau und sonstige Industrien herstellen, nahm der Absatz von galvanisierten Produkten für die Autoproduktion nach einem Rückgang 2015 wieder um 19 Prozent zu, während die Nachfrage nach anderen Produkten rückläufig war.
Auch in dem nun vollständig Belval-Differdingen angeschlossenen Standort Rodange, an dem 278 Leute auf zehn statt 20 Schichten arbeiten, sucht man ständig nach neuen Produkten, die teilweise mit Hochofenstahl aus deutschen und polnischen Schwesterwerken gefertigt werden müssen. Derzeit bemüht man sich um die Erweiterung des Angebots an Schienenprofilen, aber man kam zu spät, um bisher mehr als Weichen für die Luxemburger Straßenbahn zu liefern.
In den vergangenen Jahren machte das Investitionsvolumen etwa 30 Millionen Euro aus, so dass die Gruppe eine Investition nach der anderen vornahm: Vergangenes Jahr wurde in Belval eine neue Richtmaschine für Spundbohlen am Ende der Walzstraße 2 in Betrieb genommen. Nun wird in Differdingen das Fundament für eine neue Richtmaschine für schwere Träger gelegt. Es soll die größte ihrer Art in der Welt werden, auch wenn sie doppelt so groß sein müsste, um die Jumboträger zu richten, für die das Werk berühmt ist.
Ein Investitionsprogramm ist das, was Regierung und Gewerkschaften von der Gruppe erwarten, wenn vielleicht im Frühling eine Einigung über das derzeit ausgehandelte Programm Lux 2020 zustande kommt. Bisher war es vor allem um Vorruhestandsregelung und Cellule de reclassement gegangen. Für Roland Bastian hatte Arcelor-Mittal in Luxemburg seine Restrukturierung beendet. Die Beschäftigtenzahl von etwas mehr als 4 000 Leuten dürfte nicht mehr weiter sinken, derzeit stelle man sogar wieder ein, um beispielsweise die altersbedingten Abgänge zu ersetzen. Deshalb sei man auch nicht mehr auf die sozialen Begleitmaßnahmen der Restrukturierungen angewiesen. Arcelor-Mittal Luxemburg hofft, das Investitionsvolumen von 30 Millionen Europa auch in den kommenden Jahren aufrecht erhalten zu können, aber das dürfte erst als Zugeständnis mit den Sozialpartnern festgelegt werden.
In den nächsten Wochen soll der Architektenwettbewerb für den Bau eines neuen Firmensitzes auf einem langfristig vom Kirchberg-Fonds geleasten Gelände hinter dem Konferenzzentrum auf dem Kirchberg ausgeschrieben werden. Geplant ist, in vier Jahren mit 1 000 Angestellten einzuziehen und dann den rückgemieteten Sitz am Boulevard d’Avranches zu räumen.