Vergangenen Mittwoch kündigte die deutsche Industriegasgruppe Linde an, die Fusionsgespräche mit dem amerikanischen Konkurrenten Praxair wiederaufzunehmen, nachdem sie im September gescheitert waren. Zusammen würden die beiden Unternehmen einen neuen Branchenriesen mit einem Jahresumsatz von 30 Milliarden Dollar bilden. Die Aktienkurse der beiden Konzerne stiegen im Zuge der Ankündigung an den Börsen von New York und Frankfurt an, die Investoren sehen die Fusion mit Wohlwollen.
Im beschaulichen Lintgen im Alzettetal wird die Nachrichtenlage mit einigem Interesse verfolgt – schließlich will man wissen, was die Kundschaft so macht. Und die großen Gasunternehmen sind, wie Jean-Claude Schmitz sagt, alle Kunden bei der Lintgener Firma Rotarex. Schmitz ist ein vornehmer älterer Herr, er hat die Leitung des Familienbetriebs in den Siebzigern von seinem Vater übernommen. Heute sind es seine Kinder Philippe und Isabelle, die wichtige Kunden wie Air Liquide empfangen, um neue Projekte zu besprechen.
„Ich will ja nicht zu viel angeben“, sagt Schmitz, „aber sie kommen aus der ganzen Welt zu uns.“ Denn Rotarex entwickelt und baut die Ventile, mit denen Gase aller Art kontrolliert werden. Schmitz prahlt nicht, wenn er erzählt, dass die Kunden versuchen, eine Konkurrenz zu Rotarex aufzubauen, um weniger abhängig von dem Betrieb an der Lintgener Hauptstraße zu sein. Er stellt das einfach fest. Allzu viele Sorgen bereiten ihm derartige Bemühungn aber nicht. Denn auch wenn manchmal ein Kunde gehe, seien bisher noch immer alle zurückgekommen. „Bessere Ventile zu bauen, das haben schon viele versucht. Bisher ist es keinem gelungen.“
Gegründet wurde die heutige Rotarex 1922 von Jean-Claude Schmitz’ Großvater August Theodor als Ceodeux, der in Lintgen Kohlensäure für die Brauereien der Region produzierte. 1926 entwickelte er das erste Ventil, sozusagen ein Zusatzprodukt. Ingenieur war August Theodor nicht. „Er war – wie soll ich sagen – ein Businessman“, sagt Jean-Claude Schmitz. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Edgard Schmitz die Firmenleitung. Er war Ingenieur und trieb die Entwicklung neuer Produkte voran. Als sein Sohn Jean-Claude die Betriebsleitung übernahm, beschäftigte die Firma 100 Mitarbeiter und machte zwei Millionen Euro Umsatz. Er muss das Business-Gen geerbt haben, denn er diversifizierte und baute den Familienbetrieb zu dem aus, was er heute ist: ein Unternehmen mit 1 300 Beschäftigten und 170 Millionen Euro Umsatz.
„In dieser Zeit sind viele Familienbetriebe verschwunden, weil sie nicht auf der Höhe waren oder nicht genug investiert haben,“ so Jean-Claude Schmitz. Er hat diese Fehler offensichtlich vermieden. Er investierte. Er stellte Ingenieure ein, um neue Produkte zu entwickeln, bevor man von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen sprach. Er baute ein weltweites Verkaufsnetz auf, um nahe an den Kunden zu sein, und kaufte andere Firmen auf.
Heute beschäftigt Rotarex 80 Ingenieure in vier Forschungszentren, wovon das größte mit 70 Mitarbeitern in Luxemburg ist. Derzeit gibt es Pläne, ein neues Forschungszentrum zu bauen, eine Investition von 15 bis 18 Millionen Euro. Aber entschieden ist das noch nicht. Rund vier Prozent des Jahresumsatzes lässt sich Rotarex den Forschungsaufwand kosten, wie Philippe Schmitz erklärt. Die betriebsinterne Forschungsabteilung arbeitet unter anderem auch mit den Universitäten in Luxemburg und Trier zusammen sowie mit dem Luxembourg Institute of Science and Technology (List), wenn es um Materialentwicklung geht.
Zehn Produktionsstandorte weltweit betreibt Rotarex heute. Neben dem Hauptproduktionsstandort in Luxemburg produziert Rotarex in Shanghai für den chinesischen Markt – „Es wird nicht nach Europa reimportiert“ betont Jean-Claude Schmitz –, baut in Dijon Druckregler, betreibt in Deutschland ein Plastikspritzgussunternehmen, in der Tschechischen Republik einen Montagestandort mit 300 Mitarbeitern und vier Standorte, an denen die Produkte individuellen Kundenwünschen angepasst werden, davon eines nahe New York und eines in São Paulo.
Wichtigstes Marktsegment sind die Ultra-Reinheitsventile. Sie werden da gebraucht, wo sehr korrosive Gase zum Einsatz kommen, und müssen diesen widerstehen können. Weil der Einsatz solcher Gase sehr gefährlich ist, sind die Sicherheitsanforderungen und -standards besonders hoch. „Das trauen sich viele gar nicht zu“, so Jean-Claude Schmitz. Um Verunreinigungen zu vermeiden, die später zu Lecks und Unfällen führen könnten, werden die Ventile in Lintgen in einem gesonderten Reinraum, abseits der restlichen Produktion angefertigt. Größter Abnehmer für diese Produkte ist die Halbleiterindustrie, die giftige Gase zum Ätzen der Wafers einsetzt. So ist Rotarex beispielsweise vom Chiphersteller Intel referenziert. Geografisch, erklärt Jean-Claude Schmitz, konzentriert sich das Geschäft heute auf Südkorea und China. Rotarex ist in diesem Bereich mit großem Abstand Weltmarktführer. Auch die Flüssiggasindustrie ist fest in der Hand der Lintgener. „Wir liefern wir 80 Prozent der Ventile und Druckregler in den Mittleren Osten und nach Lateinamerika.“
Im ersten Stock des Gebäudes, das August Theodor Schmitz 1922 bauen ließ, um Kohlensäure zu produzieren, befindet sich heute der Konferenzraum von Rotarex. Vor der Längswand steht eine große Vitrine. Darin funkeln, blank poliert und von Spots beleuchtet, Ventile und Druckregler wie Schmuck beim Juwelier. Jean-Claude Schmitz holt verschiedene Teile hervor, zeigt, was Rotarex an medizinischem Gerät herstellt. Wer schon einmal Krankenwagen gefahren ist oder stationär behandelt wurde, dem mögen die Anzeigen, Regler und Hähne zur Sauerstoffversorgung aufgefallen sein, die an Sauerstoffflaschen oder hinter dem Bett angebracht sind. Schmitz zeigt ein paar Modelle vor. Sie sind besonders glänzend poliert. Die Kunden aus der Medizinbranche wollen das anscheinend so. „Heute muss alles schön aussehen“, stellt Schmitz fest. Früher war vor allem wichtig, dass es funktionierte.
Die Aufsätze für Sauerstoffflaschen, die im Krankenbetrieb zum Einsatz kommen, sind ein gutes Beispiel dafür, wohin Rotarex sich mit seinen Produkten weiterentwickeln will. Sie sind Griff, um die Flasche zu bewegen, Ventil, Regler und Anzeige in einem, wobei Letztere unter dem Plastikgehäuse versteckt sind. Die elektronische Anzeige berechnet auf Basis des Durchlaufs, wie viel Sauerstoff noch in der Flasche ist, damit Krankenpfleger, Ärzte und Patienten keine böse Überraschung haben. „Anstatt einzelner Komponenten, versuchen wir integrierte Lösungen und Systeme anzubieten“, erklärt Isabelle Schmitz. Vor ihr auf dem Tisch liegen zwei verschiedene Modelle der Flaschenaufsätze. Jeder Gaslieferant wolle sein eigenes haben, dadurch versuchten sie, sich gegenüber den Kunden voneinander abzuheben, damit sie ihre Sauerstoffflaschen kaufen, fährt sie fort. Rotarex baut die verschiedenen Modelle nicht nur für sie, sondern berät sie auch in der Entwicklung und beim Design.
Dass Rotarex nicht nur Komponentenbauer sein will, sondern Komplettlösungen liefert, zeigt sich auch im Bereich Feuerschutztechnik. Statt nur Ventile für Feuerlöscher herzustellen – es gibt auf diesem Markt nur eine Handvoll Firmen –, offeriert Rotarex ganze Systeme, auch zum Schutz von Datenzentren und Serverräumen. Dutzende aneinandergereihte Feuerlöscher, die auch im Transportwesen zum Einsatz kommen. Am Flughafen von Abu Dhabi, in chinesischen U-Bahnen, aber auch in philippinischen Kasinos, wie Philipe Schmitz aufzählt. „Die Ingenieurtechnik dafür stammt integral aus Luxemburg“, sagt er, „es läuft ganz gut in diesem Geschäftsfeld und das wollen wir künftig noch ausbauen.“ Problematisch sind dabei vor allem die Zertifizierungen. Sie sind erstens teuer und zweitens langwierig. Bis ein neues System, ein Produkt zugelassen wird, können bis zu vier Jahre vergehen. Er denkt dabei auch an die EU-Richtlinie, die vorschreibt, dass bis 2020 alle Busse mit Löschsystemen ausgestattet sein müssen, die einsetzen, wenn, wie vergangenes Jahr auch in Luxemburg an der Avenue de la Porte Neuve, ein Bus plötzlich Feuer fängt.
Das sind längst nicht alle Märkte, in denen Rotarex aktiv ist. Ihre Ventile sind schon bei Starts der Ariane-Raketen im Einsatz gewesen, Komponenten, die den extremen Temperaturen standhalten, denen sie dabei ausgesetzt werden. Auch das Kernforschungszentrum Cern benutzt laut Jean-Claude Schmitz solche Ventile. Noch sei das ein kleines Geschäftsfeld, aber eines, das man ausbauen möchte, wie der CEO erklärt. „Das Cern ist ja eine gute Adresse“, sagt er, ganz verschmitztes Understatement.
„Wasserstoff ist die Zukunft“, sagt sein Sohn mit Blick auf die Automobilbranche. Für die wasserstoffbetriebenen BMWs, von denen der Münchener Konzern eine Testreihe von 100 Stück gebaut hat, kamen die Ventile aus Lintgen.
Fing die Geschichte von Rotarex mit Kohlensäure für die Brauereien an, ist die Firma auch heute noch im Getränkesegment aktiv. Isabelle Schmitz holt ein weiteres Teil aus der Vitrine. Es heißt Bubblebox und macht aus stillem Wasser kohlensäurehaltiges. Die Bubblebox und das darin integrierte Subsystem, das in der Küche verbaut werden kann, damit das Sprudelwasser aus dem Hahn kommt, verkauft sich sehr gut in Asien, wo Kühlungs- und Filtersysteme für das Leitungswasser im Privatheim populär sind. „Das ist ist ein wachsender Markt“, sagt sie. Rotarex hat vor, ihn zu bedienen.