„Und sie nennen sich die starke Kraft, um die Schwachen zu zerbrechen, sehen im Spiegel ihre ganze Pracht, um dann von hinten zuzustechen...“, warnt Michel Clees in „Die Straßen“, einem von
16 Stücken des Albums Die Nächte. Das Lied kündet von der Bedrohung durch Populisten, jene neuen geistigen Brandstifter, die in diesen Tagen in Österreich, Ungarn oder der Türkei Auftrieb haben. Heimtückisch ist sie, diese Bedrohung in Gestalt der neuen „Führer“, und „die Straßen schweigen unter alten Pfützen, wenn sie leger in ihren Stiefeln schreiten und sie in neuen alten braunen Mützen, die Mähr von Heimat satt bestreiten“.
Die Sprache, der Sprechgesang, aber vor allem die klare antifaschistische Haltung der größtenteils von Michel Clees konzipierten Texte des Albums erinnern unverkennbar an Kurt Weill. So verwundert es wenig, dass er mit dem „Lied einer deutschen Mutter“ auch einen pazifistischen Klassiker Bert Brechts, musikalisch begleitet von Danielle Hennicot an der Bratsche, interpretiert. Insgesamt beeindruckt das Album nicht nur durch seine politisch klugen, wenngleich sehr wehmütig-schweren Texte, sondern vermag einen auch durch das musikalische Ensemble mitzureißen, darunter Jeannot Sanavia am Kontrabass, Georges Urwald am Klavier oder die verzaubernden Akkordeonklänge von Natasa Grujovic.
Die feinsinnige und harmonische musikalische Abstimmung bringt die Texte nur noch mehr zur Geltung. Es ist ein Leiden an (Selbst-)entfremdung in einer zunehmend digitalisierten Welt, die Bürde des Alterns und die Wehmut über vergangene Zeiten, die zudem aus Clees’ Kompositionen spricht. Mitunter sind diese Texte unheimlich, wie „Leonarda“, oder morbide, wie „Sommer 2013“, doch nie larmoyant. Andere Stücke hingegen, wie „Rote Rosen“, wirken etwas pathetisch und wie ein Abgesang auf das Leben. „Der Knabe“ ist die Geschichte des Missbrauchs eines Jungen durch einen Pfarrer: ein Aufbegehren gegen Bigotterie und Scheinheiligkeit.
„Te voir partir avant mon tour“ ist der Abschied von einem geliebten Menschen. Die französischen Stücke wirken leider etwas wie Fremdkörper in dem Album, die Stücke auf Luxemburgisch hingegen eher keck und wenig schwermütig. So steht mit „Meederchers Dram“ ein Lied am Ende des Albums, das eine zauberhafte Stimmung hinterlässt. „Neulich im Badezimmer“ ist die Selbstbefragung eines 57-Jährigen und zugleich das Herzstück der CD. Es spiegelt musikalisch die ganze Bandbreite des Albums wider; der Text ist zersetzend wie die Prosa Thomas Bernards („Die Kindheit hinuntergewürgt in die Kloake des Magens unzerkaut“) und bisweilen geradezu kafkaesk. – Ein bewegender Monolog eines dem Tode Geweihten: „Mutig ist er nie gewesen“! Das Krebsgeschwür arbeitet sich vor, das Leben arbeitet sich voran, die Zeit geht aus... Was ist das Leben? Ein Kampf gegen die Zeit, in der wir tagtäglichen Banalitäten nachgehen wie der Gang zum Frisör, wo aber auch Zeit bleiben muss für kluge Prosa und Poesie. Das Album Die Nächte richtet sich sicher nicht an die Masse, aber es ist eine Schatzkiste, musikalisch ausgefallen und politisch mutig. Ein Trost für zu lange Nächte und zugleich ein Abschied vom und eine Ode an das Leben.