Vor 1985 Geborene und in Luxemburg Herangewachsene, die es dieser Tage trotz der vielen Baustellen morgens früh in die Luxemburger Altstadt schaffen, können sich dort einen proustschen Moment erwarten. Wenn, von einzelnen Motorradpolizisten begleitet, eine kleine Schar Rentner und Kinder in weißen Kutten murmelnd vorbeizieht, setzen sich die Lippen jener, die vor der Einführung des Moralunterrichts schulpflichtig waren, trotz jahrelanger Gottesdienstabstinenz unwillkürlich im bekannten monotonen Rhythmus in Bewegung: GegrüßestseistduMariavollderGnadenderHerristmitdirDubistgebenedeitunterdenWeibernundgebenedeitistdieFruchtdeinesLeibesJesus (hier ist Zeit zum Luftholen) HeiligemariaMutterGottesbittfürunsSünder (hier entwickelt sich der Chor auf natürliche Art zum Kanon und geht nahtlos in ungewisses Raunen über) .... AMEN!
Früher war die Muttergottesoktav Anlass für die von mehreren Stunden Fußmarsch erschöpfte Landbevölkerung, sich bei Namur eine Tasse Kaffee zu gönnen und die bessere Verwandtschaft in der Hauptstadt zu besuchen. Beziehungsweise für die Kinder die Gelegenheit, einen Teil des Taschengeldes in den eigenen Rosenkranz und den anderen in kanadische Bonbons und/oder gebrannte Nüsse zu investieren. Sprich, die Oktav war nicht nur gut fürs Seelenheil und die Gesundheit, sondern auch für den familiären Zusammenhalt und die lokale Ökonomie.
Doch auf dem Mäertchen muss man heute lange suchen, um überhaupt noch Devotionalien zu finden. Einzig die Caritas hält auf dem Knuedler wacker die Stellung und verkauft für wenige Euro Rosenkränze aus Holzperlen, die allerdings von der Konkurrenz in Lourdes stammen. Da die portugiesischen Landsleute nahe der Gëlle Fra Statuetten der Muttergottes aus Fatima verkaufen und sogar die Pilgerheftchen, welche die Kinderschuhe häkelenden Omas den Gläubigen im Missionsbasar freundlicherweise gratis mitgeben, von Pilgerfahrten in den Nachbarländern stammen, drängt sich die Frage auf, ob die heimische Maria im eigenen Land von Importware verdrängt wird, weil ihre Wunder schlecht dokumentiert sind und sie keinen Hirtenkindern erschienen ist, und ob sich der Marienkult mit ein wenig besserem Marketing nicht gezielt zur Tourismusförderung nutzen ließe?
Schließlich löste der deutsche Komiker Hape Kerkeling mit seinem Buch Ich bin dann mal weg einen wahren Pilgerboom nach Spanien aus, die Wege sollen dermaßen überlaufen sein, dass die Selbstfindung kaum noch möglich ist. Mit dem richtigen, bestsellerfähigen Pilgerbotschafter könnte sich das Gibraltar des Nordens vielleicht auch als Santiago des Nordens, als alternativer Geheimtipp andienen, wo es sich ungestört pilgern lässt. Die Reihen in der Kathedrale sind während der Oktavwoche auf jeden Fall so leer, dass ausreichend Platz wäre. Und immerhin werden auf dem Mäertchen schon Gromperekichelcher und Kniddelen „Made in Luxembourg“ zur Stärkung angeboten.
Doch wenn die richtige Stimmung aufkommen soll, müsste dringend eine höhere moralische Instanz eingreifen, um den Sündenpfuhl aufzuräumen, zu dem der Mäertchen verkommen ist. Weit über die üblichen Verpflegungsbedürfnisse der Pilger nach gebackenem Fisch und Waffeln hinaus, sind dort heute Biersaufstände à la Schobermesse präsent und zum Apéritif gibt es Mojitos und Spritz.
Animismus statt Christus bieten die Stände an der Place de la Consitution, an denen es Häuptlingskopfschmuck und mehr Traumfänger gibt, als Rosenkränze während der gesamten Oktav zum Einsatz kommen. Statt Weihwasser und Gebet gegen Pestilenz gibt es heute Tigerbalsam gegen Rückenschmerzen. Ließe sich der Verkauf von abergläubischen Symbolen wie solarbetriebener Maneki-Nekos (aka glückbringende Winkekatzen) auch noch damit rechtfertigen, dass es sich dabei immerhin um die Reinkarnation des weiblichen Bodhisattva des Mitgefühls handelt, was dem Konzept der Trösterin der Betrübten schon ganz nahe kommt, geht das Angebot von Räucherstäbchen der Duftnote „Kamasutra“ wohl eindeutig einen Schritt zu weit in Richtung Sodom und Gomorra.
Diese Multikulti-Ökumene macht nur vor dem Verkauf muslimischer Glaubenszeichen Halt, obwohl den Söhnen Ismaels (trotz Missionsbasar im Jahre 2017) gerne nachgesagt wird, die einzige der großen drei monotheistischen Religionen zu sein, die aufgrund ihres Universalanspruchs Ungläubige bekehren muss. Für den Fall, dass sich dies demnächst ändern sollte, können diejenigen, die sich vor Überfremdung fürchten, mit ihren Kindern und Enkeln auch schon dieses Jahr auf dem Mäertchen den Gebrauch der Flinte üben. Der Kirmesschießstand befindet sich gleich neben der Riesenrutsche, Zeichen dafür, dass die Organisatoren das Konzept der Auferstehung und Auffahrt in den Himmel, also von unten nach oben, nicht umgekehrt, eindeutig nicht verstanden haben.