Aloyse Weber sitzt an einem Septemberabend des Jahres 1963 am Wohnzimmertisch und beschäftigt sich mit seiner Briefmarkensammlung. Die Erzählung bricht ab, als sich unangemeldeter Besuch einstellt. Ein paar Seiten später übergibt sich ein Polizist in Webers Vorgarten. Er hat eben die Leiche im Wohnzimmer gesehen. Die Beamten wickeln ihre Routine ab, die Nachbarn gaffen. In herzerfrischender Lakonie beendet der Autor nach knapp zehn Seiten die Exposition seines Romans: „Zu gudder Lescht koum de Sarg, do war awer Rou an der Gaass. E puer Noperen hu sech bekräizegt. De Peiffer huet déi Viischtdier mat engem Schlëssel zougespaart a versigelt.“
Wer war der Besucher, der Aloyse Weber umgebracht hat? – Das soll René Fischbach herausfinden, dem der Fall an seinem ersten Arbeitstag bei der Gendarmerie zugewiesen wird. Schon bald findet der ambitionierte junge Oberleutnant eine Spur, die sich etliche Jahre in die Vergangenheit Webers zurückverfolgen lässt... – Den drëtte Schlëssel geriert sich zunächst wie ein angenehm unaufgeregt erzählter, klassischer Krimi nach Whodunnit-Schema: Zu Beginn wird dem Leser eine Leiche präsentiert, ein Tatort und eine Tatwaffe; noch fehlt ein Motiv, das zum Mörder führen könnte. Schnell zeigt sich jedoch, dass Jean Schoos mit diesem Roman mehr im Sinn hat, als die analytischen Fähigkeiten des Lesers zu kitzeln. Dafür spricht nicht nur die Verlagerung der Geschichte in die sechziger Jahre, sondern auch eine starke Reduktion der Handlung auf die Abläufe der Ermittlungen. Zwischen den Gesprächen Fischbachs mit der Staatsanwaltschaft, der Koordination seines Teams und den Besprechungen mit seinem Vorgesetzten, dann mehr und mehr seinen Zeugenbefragungen und Recherchen bleibt kaum Platz für Beschreibungen von Orten, Charakterisierungen von Figuren oder anderes „schmückendes Beiwerk“.
Aus der Darstellung einer eingeschworenen Männerwelt der Hierarchien und Bügelfalten stechen vor allem zwei Themenkomplexe hervor, die der Autor vermutlich in den folgenden Bänden der Serie Gudde Gendaarm, béise Gendaarm weiter entfalten wird: zum einen die anhaltenden Streitigkeiten zwischen Polizei und Gendarmerie, zum anderen die Treffen einer noch eingeschworeneren Gruppe von Männern in einer Jagdhütte, zu denen auch Fischbachs Vorgesetzter gehört. Hier werden Allianzen geschmiedet, die für die Hauptfigur nicht einsehbar sind, von denen aber die Ermittlungsarbeiten zum Teil abhängen. Von einem geheimen Waffenarsenal ist die Rede und von der Bereitschaft, gegen die Kommunisten loszuschlagen – das lässt beim Leser gewisse Glocken läuten. Eine Zuspitzung auf die Bombenlegeraffäre scheint jedenfalls die Zielrichtung der geplanten Krimireihe zu sein.
Bis dahin ist es allerdings noch ein weiter Weg. Noch sucht Fischbach nach Hinweisen in seinem Mordfall, die ihn zu Webers Rolle während der Besatzung Luxemburgs durch die Nationalsozialisten bringen. Dass sich Fischbach ziemlich unbedarft für jemanden zeigt, der in der frühen Nachkriegszeit aufgewachsen ist, bietet Schoos die Gelegenheit, dem Leser einen Schnellkurs in luxemburgischer Geschichte zu verpassen und die Krimiserie so vor einen historischen Hintergrund zu stellen, den er in weiteren Romanen voraussetzen kann.
Den drëtte Schlëssel ist damit ein zwar einfach gestrickter, aber kein anspruchsloser Krimi, der trotz einiger Schwächen das Interesse an den Bänden weckt, die noch folgen werden.
Zu diesen Schwächen gehört etwa die relative Konturlosigkeit des Protagonisten, dem Schoos zumindest bis in die Hälfte des Romans zwar eine Biografie, aber keinen rechten Charakter, keine konkreten Vorlieben und Abneigungen andichtet, die ihn menschlich greifbarer machen würden. Die Liebesgeschichte mit der Polizistentochter Louise wirkt sehr flach und brav – als wäre sie lediglich ein zum Zweck einer anschaulicheren Figurenzeichnung notwendiges Übel. Auch vermittelt die Darstellung von Fischbachs zweitem Fall – einem Scheckbetrug, den er zeitgleich mit dem Mord aufdecken muss – den Eindruck, dass dieser Fall nur erzählt wird, damit Fischbachs kriminalistisches Talent unter Beweis gestellt werden kann. Möglicherweise erledigen sich diese Schwächen mit den Folgebänden von selbst, wenn die Figur mehr Gelegenheit zur Entfaltung bekommt.
Ein strategischer Fehler, der einem Krimiautor jedoch nicht vorkommen sollte, besteht darin, den für die Auflösung des Falls entscheidenden Begriff bereits im Titel zu nennen, auf dass der Leser jedesmal aufhorcht, wenn dieser Begriff im Buch genannt wird und dann schon vor dem Ermittler bestens weiß, wie dem Mörder auf die Schliche zu kommen ist. „Ein Titel soll die Ideen verwirren, nicht ordnen“, heißt es bei Umberto Eco1. Ein Krimiautor macht nichts verkehrt, wenn er sich daran hält.
Auch wäre – bei einem Krimi muss man das anmerken dürfen – dem Lektorat ein etwas feinerer Spürsinn bei der Suche nach Tippfehlern zu wünschen.