Erzählungen verkauften sich schlecht, verlautet es gelegentlich aus dem Literaturbetrieb, der Leser verlange nach Romanen. Mag sein, dass der Erzählband deswegen von manchen Autoren (diesseits wie jenseits der Landesgrenzen) etwas stiefkindlich behandelt wird, als eine Art Restereservoir, in das man alles hineinwerfen kann, was sich im Lauf der Jahre auf dem Schreibtisch an kürzeren Texten angesammelt hat. Selten genug sind Erzählbände jedenfalls so konsequent durchdacht und so stimmig auf einen thematischen Zusammenhang hin konzipiert wie Georges Hausemers Fuchs im Aufzug, eine Sammlung von sechzehn Kurzgeschichten, die Hausemer im eigenen Verlag capybarabooks herausgebracht hat.
Hausemer zeigt in diesem Buch Menschen in verfahrenen Situationen – ein Familienvater in finan-
zieller Notlage, der mit Frau und Kind im heruntergekommenen Haus seiner dementen Schwiegermutter wohnt; eine Frau, die nach einer beunruhigenden Diagnose in einem schäbigen Asiarestaurant sitzt, ein Mann, der einer Frau nachstellt, die nichts von ihm wissen will. Die Geschichten eint eine bedrückende Atmosphäre, die Hausemer unter anderem dadurch herstellt, dass er die Handlung weitgehend auf die Eindrücke der Figuren reduziert, das Interieur schmuddeliger Bars etwa, das Inventar langweiliger Partys, der Blick auf eine verregnete oder verschneite Straße. Die knappen, harten Sätze verleihen der Wahrnehmung scheinbar nichtssagender Details eine Unmittelbarkeit und Dringlichkeit, die die Figuren in Bezug auf ihre eigentlichen Sorgen auszuklammern scheinen. Die wichtigen Ereignisse, die die Gegenwart bestimmen – Krankheiten, Verluste, Existenzängste – treten in den Hintergrund. Der Leser erfährt beispielsweise von zwei Brüdern, die in ein Ferienlager an der belgischen Küste geschickt werden, obwohl der eine deutlich zu jung dafür ist und der andere zu alt. Die Familienumstände, die zu dieser Reise geführt haben, werden nur kurz umrissen – Mutter in einer Kur, Vater arbeitet im Ausland, älterer Bruder bei den Großeltern – genug, damit sich die Jungen alleingelassen fühlen könnten, aber die Gedanken kreisen ums heimliche Rauchen und die hübsche Betreuerin Betty. Es fällt leicht, sich beim Lesen auf diese Ablenkungsmanöver einzulassen und sich erst am Ende eines Textes wieder daran zu erinnern, von welcher Katastrophe er eigentlich ausgegangen war.
Schwächen offenbart der Band dann auch dort, wo das Ablenkungsmanöver nicht funktioniert und der Leser einen guten Überblick über das Schicksal einer Figur hat, während sich die Figur selbst vergeblich abmüht, zu verstehen, was um sie herum passiert. Das gilt beispielsweise für die Geschichte eines Mannes, der aus überwältigender Trauer um seinen toten Bruder in eine absurde Wohnsituation gerät, oder für die Darstellung der Gedankenwelt einer dementen Frau.
Stark ist Fuchs im Aufzug vor allem dort, wo der dramatische Kern der Geschichten nur indirekt erzählt wird. Die offensichtlichen Dramen in Hausemers Geschichten spielen sich gewissermaßen an den Seitenlinien ab. Da verlassen Eltern in wenigen Sätzen ihre Kinder oder kommen bei Autounfällen ums Leben, da schreit ein Patient im Nebenzimmer vor Schmerz, da wird beiläufig von fürchterlichen Unfällen berichtet.
Ganz allein lässt Hausemer seine Figuren allerdings nicht mit ihrem Schicksal. Als Hoffnungsschimmer lässt er oft Partnerschaften aufscheinen, an denen sich die Figuren festhalten und von denen sie sich eine Art Rettung zu versprechen scheinen. In der Beziehung (weniger in der Liebe) finden sie manchmal nur kleinste Übereinstimmungen, die die Geschichte schlagartig ins Positive kippen lassen und die Figuren für Momente aus ihrer Isolation erlösen – Nichtigkeiten wie die gemeinsame Feststellung eines Paars, das sich auseinandergelebt zu haben scheint, dass die Gastgeberin ausnehmend scheußliche Pantoffeln getragen habe.
Der Protagonist der Titelgeschichte, Patient in einem Krankenhaus, verfällt noch auf eine andere Möglichkeit, sich über Wasser zu halten: Er hegt die absurde Hoffnung, ein Fuchs, den er draußen über den Parkplatz hat schleichen sehen, werde seinen Weg in die Lobby des Krankenhauses, von dort in den Aufzug und bis zu ihm finden. Der „Fuchs im Aufzug“ lässt sich, so der Leser zu einer symbolischen Lesart aufgelegt ist, nicht nur als Inbegriff der Schläue verstehen, seine unwahrscheinliche Fahrt mit dem Aufzug nicht nur als Metapher für das Meistern einer übermächtigen Aufgabe. Der „Fuchs im Aufzug“ kann darüber hinaus als ironische Anspielung auf den Rénert, den „Fuuss am Frack“, gelten, so würde das Erzählen zum Instrument, unmögliche Situationen zu meistern.