Die Gespräche seien in „freundlicher Atmosphäre“ verlaufen, sagte Regierungsberater Michel Lanners aus dem Unterrichtsministerium am Mittwoch. Tags zuvor hatten Unterrichtsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) und ihre Beamten die Beratungen zur geplanten Sekundarschulreform mit der nationalen Lehrerdelegation (DNL) nach der Sommerpause wieder aufgenommen. Über den Inhalt der Gespräche sprach der Beamte nicht, er verwies auf den Sitzungsbericht, der nach dem Treffen unter www.reformelycee.lu veröffentlicht wurde.
Auch die DNL-Vertreter wollten sich in der Vergangenheit lieber nicht den Fragen der Medien stellen. Nun aber reden sie. „Wir mussten zunächst einen Rhythmus finden“, erklärt Jacques Maas, Geschichtslehrer aus dem Kolléisch und Vertreter der Plattform, gegenüber dem Land die relative Zurückhaltung. 18 Delegierte aus unterschiedlichen Lyzeen im ganzen Land, darunter Vertreter der Lehrergewerkschaften Feduse, Apess und SEW aufeinander abzustimmen, ist schon organisatorisch eine Herausforderung.
„Wir treten jetzt in die zweite Phase ein“, so Jacques Maas und unterstreicht, man halte „den eigenen Zeitplan“ ein. Im Juli hatte die DNL auf ihrer Generalversammlung entschieden, die Beratungen mit der Unterrichtsministerin in drei Phasen anzugehen: die erste, die Konzertation, ist abgeschlossen. Im Fokus der zweiten Etappe steht der Ist-Zustand der Sekundarschulen. Vor allem verschiedene Grundannahmen der Reform, etwa das Schulversagen, die Sprachenproblematik oder die Studierfähigkeit, hinterfragt die DNL oder will sie zumindest kontrovers diskutieren. Das Unterrichtsministerium hatte auf Anfrage der Delegation im Sommer rund 400 Seiten Daten und Fakten zusammengestellt, darunter Statistiken zum Schulversagen, zur Bewertung, zum Schulprojekt im unteren Zyklus des technischen Sekundarunterrichts (Proci) und anderes mehr.
Sie werden nun Schritt für Schritt analysiert. Das heißt, die Statistiken werden von den Lehrer- und Gewerkschaftsvertretern kritisch gegengelesen. Kernfrage: Ist die geplante Reform die adäquate Antwort auf die Probleme, die sich im Luxemburger Schulwesen heute stellen? Und wo genau drückt der Schuh? „Wir verfahren nach dem Pertinenzprinzip. Wir wollen wissen, ob Änderungen notwendig sind und wenn ja welche“, erklärt Maas. Um sich die Arbeit zu erleichtern, haben sich die Lehrervertreter in Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themenbereichen aufgeteilt. Parallel dazu ist die Lehrerplattform an die unteschiedlichen Programmkommissionen und Schulkomitees herangetreten, um sie zu Kernelementen der geplanten Reform zu befragen. 120 Fragen zu Themen wie Proci, Notengebung, Tutorat und Versetzungskriterien, aber auch zum Kompetenzansatz und zur Berufsausbildung haben die Delegierten zusammengestellt und an die Schulen und Kommissionen verschickt.
Die stoßen nicht überall auf Begeisterung. Das Unterrichtsministerium hätte die Reform der Berufsausbildung gerne ausgeklammert, schließlich sei sie lange verabschiedet und derzeit in der Umsetzung. Für eine Evaluation sei es zu früh. „Das gehört alles zusammen“ beharrt dagegen Jacques Maas von der DNL. Auch an der Basis, bei den Lehrern, regt sich Kritik. Einige beklagen sich darüber, Fragen beantworten zu müssen, die sie bereits im letzten Winter, als die Ministerin die Schulen um Stellungnahmen zu ihrer Reform gebeten hatte, unter viel Zeitaufwand bearbeitet hatten. Andere sind aus strategischen Gründen dagegen, den Fragebogen auszufüllen.
„Wir beziehen unsere Daseinsberechtigung und unseren Auftrag direkt von der Protestbewegung“, betont Jhemp Hoscheit. Der Fragebogen sei wichtig, „um uns abzusichern“ und „zu sehen, wo Handlungsbedarf besteht und wo nicht“. Die Kritik, die nun laut wird, will der pensionierte Escher Lehrer und Schriftsteller „nicht überdramatisieren“: „Wo Demokratie ist, wird auch kontrovers diskutiert“, sagt er. Kollege Maas wiegelt ebenfalls ab: „Es war uns von vornherein klar, dass wir irgendwann an diesen Punkt gelangen würden.“
Die Position der Plattform ist nicht einfach – sie wird mit zunehmender Beratungsdauer immer kniffeliger. Dass sich die Lehrervertreter ihrer schwierigen Gratwanderung bewusst sind – dialogbereit zu sein und zugleich im Interesse der Lehrer zu agieren – lässt sich auch daran ablesen, wie sehr sie ihre Unabhängigkeit betonen. „Wir bekommen zwar eine Décharge vom Ministerium, aber wir haben schriftlich festgehalten, dass wir, sollten die Verhandlungen nicht mehr fair verlaufen, die Décharge jederzeit zurückgeben können“, stellt Maas klar. Normalerweise werden Freistellungen lange im Voraus beantragt und beziehen sich meist auf ein Schuljahr. Maas und seine Kollegen sind für einen Tag pro Woche für die Arbeit der Plattform freigestellt. Vier mal 18 das klingt zunächst nach viel, ist es aber nicht, wenn man bedenkt, dass sich die Delegierten jeden Dienstag versammeln, Statistiken lesen, Fragebögen entwickeln, viele Unterredungen, etwa mit den Präsidenten der Programmkommis-sionen führen und durch die Schulen gehen, um ihre Vorgehensweise zu erklären. „Wir investieren alle mehr Zeit“, sagt Jhemp Hoscheit.
Ob sich der Einsatz lohnt, wird man erst sehen, wenn wirklich verhandelt wird, also konkrete Vorschläge auf dem Tisch liegen, wie die Sekundarschulen denn nun verbessert werden können. Dass die schulischen Leistungen in Luxemburg zu wünschen übrig lassen, hat nicht nur die umstrittene Bildungsstudie Pisa bewiesen. Auch der vom Ministerium noch immer nicht veröffentlichte Bericht zu den Resultaten der Épreuves standardisées bestätigt Land-Informationen zufolge den traurigen Trend. Er ist genauso wenig Bestandteil der momentanen Analyse wie die aktuelle OECD-Studie über das Bildungsmonitoring in Luxemburg. Dabei belegen beide Studien den dringenden Handlungsbedarf.
Ob die Mehrheit der Lehrer diesen auch sehen, und vor allem, was für Maßnahmen sie daraus ableiten, wird aber frühestens im Februar bekannt sein, wenn die Fragebögen ausgewertet und die Positionen abgestimmt sind. Damit die Schulen Einblick in die laufenden Gespräche nehmen können, hat die Delegation eine Internetseite eingerichtet. Unter www.dnl.lu können Interessierte Sitzungsberichte nachlesen oder den Fragebogen herunterladen. Raum für Kritik etwa in Form eines Blogs ist nicht vorgesehen. Diese soll vorrangig in den Komitees und Kommissionen ablaufen. „Das sind unsere natürlichen Partner“, so Hoscheit. Die Fragebögen will die Delegation bis Ende Dezember auswerten und die Ergebnisse mit den Partnern diskutieren, bevor dann im März die „heiße Phase“ beginnt und dem Unterrichtsministerium Vorschläge für eine Reform gemacht werden sollen. Mady Delvaux-Stehres hat ihrerseits immer wieder betont, dass sie im April einen Vorentwurf für eine Reform der Sekundarschulen vorlegen will. „Der Zeitdruck ist groß“, bestätigt Jhemp Hoscheit. Rechnet man die Ferien heraus, reduziert sich die auf zwölf Monate angesetzte Verhandlungszeit deutlich.
Die DNL begrüßt dennoch den momentanen Gesprächsverlauf. „Es ist das erste Mal in der Geschichte der Luxemburger Schule überhaupt, dass es so ein Verfahren gibt“, unterstreicht Hoscheit. Es dürfte auch das erste Mal sein für einige Lehrer, sich derart intensiv mit Daten zum Luxemburger Schulwesen und mit Fragen zur Schulentwicklung auseinanderzusetzen. Was wiederum den Druck auf das Ministerium erhöht: Es muss seine Daten und seine bildungspolitischen Maßnahmen mehr als bisher rechtfertigen. Dabei dürften auch eigene Argumentationsschwächen zum Vorschein kommen.
Viel Aufwand, aber wofür? Ob das Modell Ergebnisse bringen wird, ist längst nicht sicher. Das Ministerium betont, „keinen Plan B“ zu haben, sondern auf die Vorschläge der Lehrer zu warten. Aber was geschieht, wenn die Meinungsdifferenzen unter der Lehrerschaft zu groß sind? SEW, einst Befürworter eines Tronc commun, und die konservativere Apess arbeiten Schulter an Schulter, was deshalb geht, weil Themen wie eine Gemeinschaftsschule gar nicht zur Debatte (und beim SEW offenbar auch nicht mehr auf der Prioritätenliste oben) stehen. In den Schulen gibt es kontroverse Meinungen: Die einen haben sich zum Reformvorhaben skeptischer geäußert als die anderen, Sprachlehrer aus den klassischen Lyzeen gelten insgesamt als kritischer gegenüber dem Kompetenzansatz oder differenzierten Bewertungsmethoden als die vom technischen Sekundarunterricht, die zum Teil seit Jahren in ihren Klassen damit arbeiten.
„Meinungsdifferenzen wird es sicher geben“, sagt Maas, „aber es sind ja nicht wir, die entscheiden“. In einem Synthesepapier sollen die Positionen zusammengefasst werden, wobei es die Mehrheit ist, die schlussendlich entscheidet. „Wenn die Basis mit unserer Arbeit unzufrieden ist, kann sie das deutlich machen“, so Maas. Das hieße dann, dass der enge Zeitplan kaum mehr einzuhalten wäre – etwas, das die Regierung kaum hinnehmen kann, schließlich bleibt nicht mehr viel Zeit bis zum Ende der Legislaturperiode 2014. Aber auch für die Lehrer steht einiges auf dem Spiel: Wenn das Beratungsmodell für die Zukunft Schule machen soll, muss es konkrete Ergebnisse liefern. So gesehen hätten eigentlich alle Teilnehmer ein Interesse daran, die gute Atmosphäre beizubehalten und die Gespräche nicht scheitern zu lassen.
Ines Kurschat
Kategorien: Sekundarschule
Ausgabe: 10.08.2012