Luxus sei, erläuterte Bentley-Chef Wolfgang Dürheimer vor einem Jahr in einem Interview mit der deutschen Tageszeitung Die Welt, wenn „ich mir morgens beim Öffnen der Garagentür die Frage stellen kann, mit welchem Auto oder Motorrad ich heute fahren möchte“. Man brauche dabei „nicht zwangsläufig noch ein Beförderungsmittel, um von A nach B zu kommen, sondern eines, das einem besonders gut gefällt“. Er selber, informierte der Bent-ley-Chef, könne unter vier Automobilen wählen.
Die traditionsreiche Luxus-Autofabrik im englischen Crewe hat nun mit dem Bentley Bentayga ihr neuestes Produkt auf den Markt gebracht. Der „schnellste Geländewagen der Welt“ soll der Bentayga sein – und ist es wohl auch. Kein anderer Hersteller bietet derzeit ein SUV mit zwölf Zylindern an. Der 608 PS starke W12-Motor beschleunigt den Bentayga, wenn es sein muss, in 4,1 Sekunden von null auf hundert und lässt ihn bis zu 301 Stundenkilometer schnell werden. Das schaffen auch das 550 PS-Spitzenmodell von Range Rover und der Porsche Cayenne Turbo S (570 PS) nicht. Deshalb ist auch kein anderes SUV so teuer wie der Bentayga: Ohne weitere Extras kostet er 211 090 Euro – vor der landesüblichen Mehrwertsteuer. Seine Europa-Premiere hat das Luxus-SUV dieser Tage auf dem Brüsseler Auto Salon.
Dass Bentley, bis dato ein Hersteller rasanter und luxuriöser Limousinen, nun auch einen Geländewagen baut, ist ein wenig überraschend. Aber nur ein wenig. Die großen Premium-Hersteller bieten schließlich schon seit Jahren Oberklasse-SUV an, und es hat sich herumgesprochen, dass beim Einstieg in dieses Segment nicht viel schief gehen kann. Und es sieht so aus, als lockten am oberen Ende der Premium-Klasse die meisten Profite. BMW will 2018 mit dem X7 sein größtes SUV herausbringen. Daimler plant ein Mercedes-Maybach-SUV, das auf dem Mercedes GLS, dem SUV der S-Klasse, basieren, aber noch luxuriöser sein soll. Rolls-Royce hat mitgeteilt, man „bereitet sich auf ein neues Modell vor, dass die Kunden schon seit einiger Zeit wünschen“ – ein SUV mit dem Arbeitstitel Cullinan. Auch Jaguar will mit dem gerade lancierten SUV F-Pace höhere Verkaufszahlen erreichen. Und sogar bei Lamborghini wird an einem Geländewagen getüftelt. Natürlich an einem „sportlichen“.
Es sieht so aus, als sei gerade die automobile Spitzenklasse besonders umkämpft. Die drei deutschen Premiumhersteller Audi, BMW und Daimler mit Mercedes würden zwei Drittel der weltweiten „Luxusverkäufe“ unter sich aufteilen, zitierte Le Monde vor zwei Monaten einen Branchenexperten. Weil derzeit die Verkäufe von Luxusautos zwei Mal schneller zunähmen als der Welt-Automarkt insgesamt, sei das Segment besonders interessant. Daraus folge aber auch, erklärte der Sprecher von BMW Frankreich gegenüber Le Monde, dass es dabei „Platz für jeden“ gebe.
Vielleicht trifft das zu, weil weltweit die Zahl der Reichen wächst, die sich den Wunsch, beim Öffnen der Garagentür unter mehreren Autos zu wählen, auch erfüllen können. Nicht umsonst werden Luxusmobile immer wieder in erster Linie für den Verkauf in China oder den USA entwickelt – und erst in zweiter Linie für Europa. Wenngleich noch immer gilt, dass, wer Innovationen anbringen will, auf den europäischen Automärkten damit präsent sein muss. Doch für den neuen Bentley zum Beispiel sind China, die Vereinigten Staaten und die Golfstaaten die vor allem angepeilten Destinationen. Für letztere Region verfügt das Luxus-SUV über eine Funktion, die den Reifendruck gezielt senkt. So soll in der Wüste „Sanddünensurfen“ bei hoher Geschwindigkeit möglich werden.
Definiert man „Luxus“, was Autos angeht, allein durch weiches Getragenwerden über die Straße, und das auch bei hohen Geschwindigkeiten, und mit der Möglichkeit, sich aus der im Fond eingebauten Bar zu bedienen, seinen Sitzbereich individuell klimatisiert zu erhalten und über ein Infotainment-System Musik zu hören, Filme anzuschauen oder sich ins World Wide Web zu begeben, dann ist die Kategorie „Luxusautos“ ziemlich klein. Dann fallen dort hinein nur die High-End-Fahrzeuge von Bentley und Rolls-Royce, der Mercedes-Maybach und vielleicht auch noch Cadillacs Riesen-SUV Escalade. Und demnächst der neue Aston Martin Lagonda Taraf, ein Revival der legendären Limousine Lagonda, das als stylisches Großraumgefährt und mit edelstem Interieur angekündigt ist und bis zu 281 Stundenkilometer schnell werden kann. Rund eine Million Euro soll der Lagonda Taraf kosten. Den Antrieb liefert die Daimler-Hochleistungsmotorenschmiede AMG.
Soll mit „Luxus“ dagegen das Ausleben ganz individueller Vorlieben gemeint sein, dann kann man sich dieses Automobil-Segment größer vorstellen. Dann kann in einer Garage, in der ein entsprechend betuchter Autobesitzer die Wahl hat, vielleicht ein 7er BMW neben einem Maserati abgestellt sein, und daneben ein SUV von Land Rover oder Porsche parken. Viele andere Kombinationen sind ebenfalls denkbar. Vielleicht sogar aus noch ein Stück kleineren und noch preiswerteren Fahrzeugen, wer weiß.
In eben diese Richtung zumindest entwickelt sich das Angebot auf dem „Luxusauto-Markt“. Was bei den Geländewagen in den 60er- und 70er-Jahren nur der Jeep Grand Wagoner und Land Rover boten, findet man heute in jedem SUV. Und dem entsprechend lancieren auch die Hersteller weniger etablierter Marken ein hochwertiges Angebot nach dem anderen. Hyundai etwa, fünfgrößter Autohersteller der Welt, will die Palette seiner Edelmarke Genesis demnächst auf sechs Modelle erweitern und hat Genesis vor ein paar Monaten als eigenständige Marke aus Hyundai ausgegliedert. Jaguar hat, dank enormer Investitionen der indischen Tata-Gruppe, nacheinander die mittelgroße Limousine XE, den größeren XF und nun das SUV F-Pace herausgebracht. Bemerkenswerterweise wurde das Design dieser Fahrzeuge „germanisiert“, vor allem beim XE, dessen Stil vom 3er BMW inspiriert scheint. Von Alfa Romeo ist eine neue Limousine Giulia angekündigt, die gegen den Audi A4, den 3er BMW und die Mercedes C-Klasse antreten soll und von Ferrari motorisiert wird – dem Vernehmen nach mit bis zu 510 PS. Bis 2019 sollen acht weitere Modelle folgen. Nicht zu vergessen Tesla: Auf die vollelektrisch angetriebene Sportlimousine Model S folgt nun das Sport-SUV Model X.
All diese Entwicklungen sind ein Anrennen gegen die von den drei deutschen Premium-Herstellern (plus Porsche) gehaltene Festung. Man sieht das auch an den Verkäufen in Luxemburg, das als Premium-Markt gilt: Unter den großen Autos sind die meistverkauften vom Typ SUV, und die Dominanz der deutschen Marken ist unübersehbar. Und wenn es sportlich werden soll, wird in Luxemburg am häufigsten Porsche gekauft.
Den großen Drei aus Deutschland ihren Rang abzulaufen, dürfte allerdings eine Weile dauern. Nicht nur sind ihre Marken weltweit etabliert, sie gelten auch als innovativ und wollen dies auch weiterhin zeigen. So soll der neue große Audi A8, der in zwei Jahren lieferbar sein wird, auf der Autobahn bis zum Tempo 140 autonom fahren können. In die neue Edel-Limousine 7er BMW, die seit vergangenem Jahr erhältlich ist, wurde eine Gesten-Erkennung eingebaut: Die Lautstärke des Soundsystems lässt sich durch Winken mit der Hand steuern, Anrufe lassen sich so annehmen oder abweisen. Am autonomen Fahren forscht BMW auch. Und Mercedes.
Daimler ist dabei obendrein der deutsche Pre-mium-Hersteller, der sein Produkt-Portfolio besonders stark ausbaut und es immer weiter in Richtung Luxus auffächert: Was die Konkurrenz womöglich eines Tages anbieten könnte, versucht man selber auf den Markt zu bringen. Zwar fabrizieren auch andere Hersteller Derivate schon bestehender Modelle. Bei Bentley Motors zum Beispiel wird der Bentayga auch als Coupé für denkbar gehalten. Es könnte dem BMW X6M und dem Mercedes GLE 63 AMG Konkurrenz machen.
Aber vor allem Daimler, vor Jahren schon mit viel Erfolg in die Kompaktklasse eingestiegen, entwickelt immer neue Derivate. Im Mercedes-Maybach sieht Daimler eine eigenständige Sub-Marke, unter der in Zukunft Fahrzeuge von Mercedes mit exklusiven Eigenschaften der einstigen Luxusmarke Maybach angeboten werden sollen. Dieses Jahr soll aber auch ein neues S-Klasse-Cabrio auf der Basis des S-Klasse-Coupés herauskommen. Dann bekommt der offene Zweisitzer Mercedes SL Konkurrenz aus dem eigenen Haus. Kein anderer deutscher Premium-Hersteller geht so weit. Aber keine andere Automarke auf der Welt kann sich andererseits einer so ausgeprägten Kundentreue rühmen: 80 Prozent der Mercedes-Käufer bleiben das für immer.