Die Privatlabors streiten nicht nur um ihre Tarife, sondern wollen auch Kapitalgesellschaften bilden. In die heimische Gesundheitsbranche kämen dann vermutlich multinationale Dienstleister

Labordämmerung

d'Lëtzebuerger Land du 30.09.2010

Seit Gesundheits- und Sozialminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) Ende Juli den Vorentwurf zur Gesundheitsreform publik machte, hat niemand mit mehr Ausdauer dagegen opponiert wie die FLLAM, der Verband der Privatlaborbetreiber. Beinah alle zwei Wochen schickte sie empörte Stellungnahmen an die Presse. Und während sie am 28. Juli noch von der „Regierung“ schrieb, deren Ansatz „inévitablement à une disparition de notre secteur d’activité“ führe, wird FLLAM-Präsident Jean-Luc Dourson mittlerweile deutlicher: „Dieser Minister will, dass wir verschwinden.“ Di Bartolomeo meine, „was privat ist, ist schlecht und muss weg“.

Dabei hat die Gesundheitsreform zumindest bisher nicht viel zu tun mit den Labors. In dem hundert Seiten langen Text vom Juli werden sie erst ganz zum Schluss erwähnt, wenn es um die finanzielle Sanierung der Gesundheitskasse CNS geht. Doch da steht immerhin, dass für die kommenden zwei Jahre die Labortarife um 14,25 Prozent gesenkt werden sollen. Die der anderen Dienstleister sollen lediglich „eingefroren“ werden. Informationen des Land zufolge steht die Labortarifkürzung auch in der endgültigen Fassung des Reformentwurfs, der vor einer Woche grünes Licht vom Regierungsrat erhielt.

Es wäre in der Tat die zweite Tarifsenkung innerhalb von zwei Jahren. Zum 1. Januar 2009 waren die Laborpreise um knapp ein Fünftel gekappt worden. Und 2005 hatte die Gesundheitskasse, die damals noch Union des caisses de maladie hieß, entschieden, pro Verschreibung nur noch 12 Analyseposten zu bezahlen.

Damit jedoch nicht genug: Vergangene Woche waren die FLLAM-Vertreter, ganz unabhängig von der Reform, zu turnusgemäßen Tarifverhandlungen in die CNS eingeladen. Dort habe CNS-Präsident Jean-Marie Feider eine Tarifsenkung um über zehn Prozent angekündigt, sagt Dourson, und zum Entsetzen der Laborbetreiber erklärt, die sei unabhängig von der 14-Prozent-Kürzung, die der Minister wolle, denn an dessen Reformtext habe die CNS „nicht mitgewirkt“. So dass die Inhaber der drei Privatlabors im Lande – Ketterthill mit Sitz in Esch/Alzette, die Laboratoires Réunis aus Junglinster und Les Forges du Sud aus Düdelingen – sich darauf einstellen, dass ihre Einnahmen aus den Kassengebühren schlimmstenfalls um fast ein Viertel fallen könnten. „Das“, sagt der Vorsitzende ihres Verbands, „werden wir nicht überleben.“

Weder der Minister, noch der CNS-Präsident sind zu einem Kommentar in dieser Frage zu erreichen. Es sieht immerhin so aus, als werde womöglich bei den Labors besonders entschlossen gekürzt, weil sie nur zu dritt sind.

Doch der schon länger schwelende Laborkonflikt stellt ein ernstes Führungsproblem für den Minister dar. Die Tarife der Privatlabors sind ein Aspekt davon: Weil ambulante Pa-tienten ihre Analysen entweder in Spitälern oder durch die Privatlabors erledigen lassen können, stehen beide Seiten in Konkurrenz. Wie hart sie mittlerweile geworden ist, illustriert, dass der Krankenhausverband EHL dankend ablehnte, als der Privatlaborverband anbot, einen gemeinsamen Server zum Austausch von Analysedaten einzurichten. Und dass FLLAM-Präsident Dourson den Kliniken vorwirft, ähnlich wie die Privatlabors über Land Centres de prélèvement zu betreiben: „Das gehört nicht zur Mission eines Spitals“. Die Stützpunkte zur Blut- und Urinabnahme aber sind ein wichtiger Grund für den Erfolg der Privaten. Allein die Dourson gehörenden Laboratoires Ketterthill, der größte Anbieter, über 40 davon. Nach FLLAM-Schätzungen verloren die Kliniken zwischen 2005 und 2009 gut 31 Prozent ihrer Kundschaft für ambulante Analysen an die Privatlabors.

Vor diesem Hintergrund wird seit Jahren darüber gestritten, wie transparent die Labor-Konkurrenz sei – schließlich wird sie öffentlich finanziert. Die Klarheit über Kosten und Gewinne aber lässt zu wünschen übrig. Die Privatlabors werden pro Akt bezahlt, wie etwa auch ein Mediziner. Das kann von der CNS nachvollzogen werden. Die Laborleistungen der Spitäler dagegen gehen in deren jährlichen Budgets unter. Welche Analysen an ambulanten und an stationär betreuten Patienten erbracht wurden, ist erst dann überall voneinander zu trennen, wenn jene einheitliche analytische Buchführung besteht, die der Minister mit seiner Reform einführen will. Aber da die Spitäler kaum eigene Einnahmen erwirtschaften können und ihre Budgets mit der Kasse aushandeln, sind sie im Grunde Non-profit-Einrichtungen. Den Privatlaborbetreibern dagegen wird ziemlich offen unterstellt, Profiteure zu sein. Noch am Mittwochabend war im RTL-Fernsehen zu hören, laut Mars Di Bartolomeo lägen die Margen der Privatlabors bei 50 Prozent.

In solchen Aussagen steckt womöglich viel Populismus, denn die Geschäftsbilanzen der drei Privatlabors kennen deren Besitzer allein. Geht es um deren Gewinne, bezieht die CNS sich noch heute auf eine Simulation, die sie vor der Tarifkürzung von 2009 anstellte: Sie schätzte, welchen Gewinn ein Spital hätte, falls dessen Laborleistungen à l’acte bezahlt würden wie die der Privaten. Ergebnis: Die Einnahmen lägen um 24 Prozent über den Kosten. Worauf im Budgetgesetz 2009 die Tarife um 19,35 Prozent gesenkt wurden. Doch bei ihren Berechnungen legte die CNS die Kostenstruktur einer Klinik zugrunde. Dass die, etwa für Mieten, Personal und die Bedienung von Krediten, eine ganz andere ist als die eines Privatlabors, leuchtet nicht erst ein, wenn man die heftige Kritik der FLLAM an der Simulation liest.

Im Gegenzug kontert sie nun mit einer eigenen Simulation: Die Leistungen der Kliniklabors seien um 84 Prozent teurer als die der Privaten. Die Rechnung birgt politischen Zündstoff, denn sie bezieht ein, dass der Anteil der Privatlabors an den ambulanten Leistungen kontinuierlich zugenommen hat und derzeit 61 Prozent betrage. So dass sich hiermit die Frage stellt, wie es weitergehen soll im Sektor. Dass die Privatlabors preiswerter arbeiten als die Kliniken, hat die FLLAM vom Präsiden-ten der CNS schriftlich bekommen. Doch während dieser daraus folgert, dass die Tarife weiter gesenkt werden müssen, findet Jean-Luc Dourson, dass eine kostenbewusste CNS viel mehr ambulante Leistungen bei den Privaten nachfragen müsse. Der Minister wolle ohnehin eine Arbeitsteilung zwischen Klinik- und Privatlabors. Doch dazu enthalte der Reformtext „keinerlei stragegischen Ansatz“ und „null Vision“.

Dass sieben Kliniklabors „zu viel“ seien, meinen auch die Mitglieder des Krankenhausverbands, sagt dessen Präsident Paul Junck. Als im Februar zur Vorbereitung der Gesundheitsreform eine Labor-Arbeitsgruppe tagte, schlug die Entente des hôpitaux eine „Mutualisierung“ der Kliniklabors vor. Jedes Spital würde ein Basis-Labor, etwa für Intensivpatienten, behalten, und eine „nationale Plattform“ für spezialisierte Analysen würde geschaffen. Dazwischen jedoch solle es im Zentrum, im Süden und im Norden noch je eine „regionale Plattform“ geben. Was vielleicht darauf hindeutet, dass die Spitäler sich uneins sind, was jedes von ihnen abzugeben bereit ist. Die Frage, ob dann womöglich Personal mit parastaatlichem Statut abgebaut werden müsste, könnte sich obendrein stellen.

Bei all dem ist Druck von außen nicht auszuschließen – das ist der zweite Aspekt des Problems für den Minister. Ähnlich erbittert wie um ihre Tarife streiten die Privatlaborbetreiber für eine Änderung des Laborgesetzes, die es ihnen erlauben würde, Kapitalgesellschaften zu bilden. Bisher dürfen die Labors nur als persönlicher Betrieb ihres Besitzers funktionieren, und das ist ein Grund, weshalb niemand ihre Bilanzen kennt: Einmal in Gesellschaften umgewandelt, werde man „selbstverständlich“ die Bilanzen veröffentlichen, sagt der FLLAM-Präsident. Mit dem Minister spielt man politisches Pingpong: Im Juli habe er angeboten: „Zeigt mir eure Bilanzen, dann lasse ich mit mir über die Tarife reden.“ Die FLLAM lehnte ab.

Vielleicht am Ende auch, weil im Juni die Regierung einen Gesetzentwurf guthieß, mit dem tatsächlich der Weg zu Kapitalgesellschaften bereitet werden soll. Die FLLAM hatte 2009 den Staat bei der EU-Kommission verklagt: Luxemburg sei das letzte EU-Land, das die Bildung von Kapitalgesellschaften im Laborbereich untersagt und damit Kapitalbeteiligungen aus anderen Mitgliedstaaten. Die Kommission gab der FLLAM Anfang dieses Jahres Recht und verlangte bei Androhung einer Klage vor dem EU-Gerichtshof, das Laborgesetz zu ändern.

Träte die Änderung in Kraft, werde er mit einem ausländischen Partner kooperieren, sagt Jean-Claude Dourson als Ketterthill-Chef. Dass sein Betrieb vor einem Jahr als erstes Labor im Lande eine vollautomatische Analysestraße in Betrieb nahm, habe geholfen, im Inland „mehr Volumen“ zu leisten. „Durch solche Rationalisierungen sind wir trotz Tarifkürzungen überhaupt noch da.“ In erster Linie aber zielt Ketterthill mit der potenten Technik auf den Markt jenseits der Grenzen. Vielleicht tun die anderen zwei Labors das ja auch.

Dass demnächst ausländische Laborbetreiber in Luxemburg eine gewisse Rolle spielen könnten, ist damit eine realistische Aussicht. Sie verspreche „mehr Service, mehr Kompetenz, bessere Preise“, sagt Dourson. Aus den Vorab-Gutachten zum Gesetzentwurf kommt allerdings auch manche Skepsis, etwa von der Beratenden Laborkommission: Verhindert werden müsse, dass sozusagen „egal wer“ ins Kapital eines Privatlabors einstiege. In Erinnerung ist noch, wie vor 15 Jahren eine belgische Firma ein Labor kaufen wollte, um Luxemburger Blutproben nach Belgien abzuzweigen.

Wahrscheinlich aber hätte ausländi-sches Kapital in der Luxemburger Gesundheitsbranche nicht zuletzt politische Wirkung. Noch ist man in der Branche unter sich; die zentralstaatliche Spitalplanung und die relativ hohen, kollektivvertraglich garantierten Paramedizinergehälter beispielsweise haben bisher ausländische Klinikbetreiber vor einer Niederlassung hierzulande abgehalten. Starke ausländi-sche Akteure aber könnten CNS und Regierung die Vorteile „preisbewuss-ter“ Konkurrenz mit mehr Nachdruck vorführen als etwa die FLLAM. Dann könnte das System wackeln. Dass ausgerechnet aus dem Laborbereich ein starker Akteur ins Land kommen könnte, ist nicht ausgeschlossen: Der Boom der Biomedizin führt EU-weit zur Konsolidierung unter den Diagnose- und Analyseunternehmen.

Da wirkt es fast schon heimelig-provinziell, wenn sowohl der Kranken-hausverband als auch die FLLAM am Laboratoire national de Santé (LNS) zerren: Während die EHL Anfang des Jahres vorschlug, jene Bereiche des Staatslabo, die besonders „patientennah“ sind, in ihr Plattform-Konzept zu integrieren, wünscht die FLLAM sich, dass das Staatslabo in Zukunft keine „Routineanalysen“ mehr vornimmt. Im Staatslabo selbst wartet man indessen gespannt darauf, welches Statut die Regierung dem Haus zu geben gedenkt und was die CGFP dazu sagt. Aber das ist schon eine andere Geschichte.

Peter Feist
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