Vergangene Woche erhielt Mars Di Bartolomeo Post vom Krankenhausverband. „Nous vous demandons de prendre des mesures d’urgence“, schrieb die Entente des hôpitaux dem Gesundheitsminister.
Stein des Anstoßes ist das Laboratoire national de Santé (LNS). Sämtliche Spitäler im Land würden beträchtliche Verzögerungen bei der Übermittlung von Resultaten aus der Abteilung für anatomische Pathologie des Staatslabo beklagen.
Das Labor für anatomische Pathologie am LNS untersucht Missbildungen und Entzündungen an Organen, vor allem aber auch obliegt ihm die Diagnose von Tumoren. „Bei den Krebs-analysen gibt es ganz große Verzögerungen“, sagt EHL-Generalsekretär Marc Hastert dem Land. Die Lage sei „wirklich kritisch“. Schon würden Krebspatienten geltend machen, der Zeitverzug zwischen dem Krebsverdacht und dem Beginn einer adäquaten Behandlung habe bei ihnen zu einer „perte de chance“ geführt, weil die Analyse des Tumors durch das LNS so lange auf sich warten ließ. Es gebe bereits „eine Reihe von Klagen“ sagt Hastert. Da stelle sich auch die Frage, wer haftbar sei, wenn so ein Fall vor Gericht landet. Einem Luxemburger Krankenhaus droht derzeit ein Gerichtsverfahren wegen „perte de chance“ eines Krebspatienten.
Was die EHL so aufbringt, ist der Umstand, dass sie über die Lage der Dinge den Gesundheitsminister schon mehrfach informiert hat. Denn immerhin ist das LNS nicht irgendein Laborbetrieb, sondern eine Staatsverwaltung, die unmittelbar dem Minister untersteht. Dieser habe immer Abhilfe versprochen, jedoch nichts unternommen, sagt der EHL-Generalsekretär. „Jetzt wollen wir, das schnell was geschieht.“ Oder aber, der Minister erteile den Kliniken die Genehmigung, Analysen im Ausland vornehmen zu lassen. Marc Hastert weiß: „Dort geht das viel schneller. Hier dagegen macht jedes Krankenhaus die Erfahrung, dass bis zu einer Diagnose etliche Wochen vergehen.“
„Etliche Wochen“ ist offenbar zu viel. „Generell sollte eine Krebsdiagnose nicht lange dauern“, sagt Guy Berchem, Onkologe am Centre hospitalier de Luxembourg. „Eine Wartezeit von bis zu einer Woche ist vernünftig. Sechs Wochen wäre zu viel.“
Man müsse auch bedenken, dass ein Patient mit Krebsverdacht unter starkem psychischen Stress steht, sagt Philippe Turk, Direktor der Zitha-Klinik in Luxemburg-Stadt. „Ruft man einen Patienten wegen Krebsverdachts zur Gewebeprobe und es vergehen Wochen bis zur Diagnose, dann ist das eigentlich nicht zumutbar.“
Doch von Spitälern und Ärzten wird beklagt, dass selbst für Analysen, die mit Dringlichkeitsvermerk ans Labor für anatomische Pathologie am LNS geschickt werden, manchmal mehr als ein Monat bis zur Diagnose vergeht. Und das ist noch nicht alles: Die EHL erwähnt in ihrem Brief an den Minister, dass Gewebeproben „verloren gegangen seien“. Von Medizinern wiederum wird die Zuverlässigkeit der Befunde in Frage gestellt.
Die Vorwürfe klingen Besorgnis erregend: Resultate aus dem Labor für anatomische Pathologie stünden mitunter im Widerspruch zu früher vorgenommenen Tests oder zur Krankheitsgeschichte des Patienten, lautet einer. Ein anderer, dass verschiedene Krebsarten vom Staatslabo „immer“ als „mittelgradig differenziert“ diagnostiziert würden. Die Differenzierung beschreibt bei Krebs den Grad der Entartung des Gewebes. Dass bestimmte Krebse nur im mittleren Grad differenziert wären, ist deshalb unwahrscheinlich. Gleichwohl ist der Differenzierungsgrad ein wichtiger Diagnosewert.
Von einem anderen Phänomen berichtet Xavier Miller, Präsident der Gesellschaft der Dermatologen Lu-xemburgs: „Seit etwa Anfang des Jahres stellt das LNS weitaus mehr Hautkrebsfälle als früher fest.“ Das Besondere dabei: Die Pathologen vom Staatslabo fänden bei Patienten gleich mehrere Melanome beieinander. „Ich wüsste nicht, dass sowas in der wissenschaftlichen Literatur beschrieben wäre“, sagt Miller.
Fast jede Woche erhalte er eine E-Mail von Kollegen, sagt Miller. Da werde beklagt, dass früher zwei bis drei Wochen bis zu einer Hautkrebsdiagnose verstrichen, während es heute sechs bis acht Wochen seien. Die neuerdings höhere Frequenz der Hautkrebsfälle mache den Dermatologen ihren Patienten gegenüber zu schaffen: „Wir müssen ihnen ja Befunde beibringen, an denen wir mitunter zweifeln.“ Post an den Minister hat auch der Dermatologenverband schon geschickt und darin auf die langen Wartezeiten hingewiesen. Anfang 2009 war das. Passiert sei daraufhin nichts.
Dabei sind Krankenhausdirektoren wie Ärzte sich einig, worin das Problem besteht. Niemand wirft dem Staatslabo Schlamperei oder Inkompetenz vor. Schuld sei der chronische Mangel an Pathologen. Der aber sei nicht zu beheben, solange das LNS eine Staatsverwaltung bleibt, meint Claude Schummer, Generalsekretär des Ärzteverbands AMMD: „Wenn man Pathologen mit Bac+12 nur eine Staatslaufbahn anbieten kann, dann findet man nicht mal mehr in Osteuropa einen. Vielleicht in Aserbaidshan ...“
Weil das ein altes Problem ist und die Klagen von Kliniken und Ärzten nicht abreißen, kann Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) kaum anders als einzuräumen, „dass das LNS über Jahre Probleme hatte, hochspezialisiertes Personal zu rekrutieren“. Soll heißen: Eigentlich ist die Lage besser geworden. Dass nichts unternommen worden sei, lässt er nicht gelten. Das Staats-Statut des LNS bereite Schwierigkeiten. Doch mittlerweile gebe es eine „Spezialprozedur“, über die Pathologen als „Experten“ mit befristetem Vertrag und besserer Bezahlung angestellt werden. Einen wissenschaftlichen Beirat für das Staatslabo habe er ebenfalls einrichten lassen. Und im Schnitt, meint der Minister, seien die Fristen, bis aus der Abteilung für anatomische Pathologie ein Befund vorliegt, „okay“.
Doch wenn das „Experten-Statut“ am LNS nur befristet erteilt wird, folgt konsequenterweise, dass eine dauerhafte Lösung her muss. Und wenn Mars Di Bartolomeo erklärt, er habe im Regierungsrat in Sachen Staatslabo „ein absolutes SOS ausgerufen“, dann ist der Handlungsbedarf vielleicht doch größer, als dem Gesundheitsminister einzugestehen lieb ist.
Anscheinend gibt es auch den Vorentwurf für ein Gesetz, das die Staatsverwaltung LNS in eine öffentliche Einrichtung privaten Rechts überführen soll: Die Rekrutierung von Pathologen wäre dann keine Frage von Staatskarriere und Sprachenregelung mehr, sondern nur noch eine des Geldes. Vor zwei Wochen stand das Vorhaben auf der Tagesordnung des Regierungsrats, wurde jedoch zurückgestellt. Der Justizminister und der für den öffentlichen Dienst, François Biltgen (CSV) in Personalunion, sähen noch „Klärungsbedarf“, sagt Mars Di Bartolomeo. Über den gibt François Biltgen keine Auskunft, teilt aber mit, dass „das Dossier weiterhin beim Gesundheitsminister“ liege.
Vielleicht spielen dabei finanzielle Fragen eine Rolle, vielleicht sind Staatsinteressen berührt: Der Gesundheitsminister, der schon im Frühjahr 2006 das Statut des LNS ändern wollte (d’Land, 5.5.2006), war im Herbst 2008 davon wieder abgerückt. In den Neubau des LNS, für den im Januar vergangenen Jahres in Düdelingen der Grundstein gelegt wurde, soll auch eine Abteilung für Gerichtsmedizin und eine für DNA-Analysen integriert werden. Solche „vitalen Bereiche“ seien in einer Staatsverwaltung besser aufgehoben als in einem Établissement public, meinte der Minister (d’Land, 17.10.2008). Dass die CGFP sich dem Statutenwechsel widersetzen könnte, war schon damals nicht mehr zu befüchten gewesen: Ende 2007 beschloss die Staatsbeamtengewerkschaft, im kulturellen und wissenschaftlichen Bereich neuen öffentlichen Einrichtungen zuzustimmen, und ihr Generalsekretär Romain Wolff erklärte dem Land, dass eine Statutenänderung des LNS prinzipiell nicht an der CGFP scheitern müsse (d’Land, 17.10.2008).
Womit 16 Jahre, nachdem der damalige LSAP-Gesundheitsminister Johny Lahure das Statut des LNS schon reformieren wollte, aber nicht genau wusste, wie und wohin, der Wandel nun vielleicht tatsächlich stattfindet. Abgesehen von den Klagen von Krankenhausdirektio-nen, Ärzten und neuerdings auch Patienten gibt es für den Minister noch mindestens zwei politische Gründe, dem LNS zu helfen.
Zum einen lässt er derzeit ein Qualitäts-Audit der Brustkrebsbehandlung hierzulande durchführen; vom Mammografie-Test bis hin zur Therapie. Die Resultate sollen den Ansatz unterstützen, den der Minister in seiner Gesundheitsreform zur Bildung von Kompetenzzentren unter den Krankenhäusern verfolgt. Zum Vergleich beim Audit dienen europäische Benchmarks. Gäbe es keine Bewegung zur Reform des Staatslabo, könnte der Minister an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn er die Spitäler Audits unterzieht, jedoch „sein“ Staatslabo in Ordnung zu bringen außer Stande ist.
Zum anderen liegt seit Juni ein Gesetzentwurf im Parlament, durch den Privatlabors für medizinische Analysen künftig gestattet werden soll, sich auch als Kapitalgesellschaft zu organisieren. Der Entwurf ist weniger eine nette Geste gegenüber den drei Privatlabors im Lande, die eine solche Regelung schon länger fordern, als ein pragmatisches Zugeständnis an den Biotech-Standort, zu dem Luxemburg gemacht werden soll – ausgerechnet mit einer Spezialisierung im diagnostischen Bereich: Dass eine ausländische Firma sich hier niederließe, deren Chef das gesamte unternehmerische Risiko alleine trüge, ist schwerlich denkbar.
Doch mittlerweile hat eines der Privatlabors sich eine Abteilung für Analysen in anatomischer Pathologie zugelegt, die mit einem Labor im Ausland kooperiert. Vonseiten mancher Ärzte heißt es anerkennend, da sei mit Krebsbefunden binnen Tagen zu rechnen. Ein Outsourcing der Krebsdiagnosen aus dem LNS hätte allerdings seinen Preis: Zum Beispiel könnte sich die Frage stellen, was dann aus dem nationalen Krebsregister würde, das eigentlich sogar noch erweitert werden soll.