Wenn es auch vorerst noch nicht so heißen darf und provisorisch bleibt, so einigten sich Regierung und Gewerkschaften am Mittwoch doch noch darauf, vom System der automatischen Indexanpassungen zu einem der Indexbewirtschaftung überzugehen. Dass es so schwierig war, eine Einigung über den Index zu finden, ist nicht bloß die Schuld der Gewerkschaften, die in der Tripartite weitere Indexmanipulationen abgelehnt hatten. Vielmehr waren sich auch die Befürworter einer Indexmanipulation uneins, zuvörderst über den genauen Zweck, zu dem der Index manipuliert werden soll. Dies zeigte sich bereits im Frühjahr, als der Premier am liebsten die Erdölprodukte aus dem Warenkorb zur Berechnung des Index entfernen wollte, seine Partei aber vorzog, die Indexanpassungen nur noch bis zum Gegenwert des doppelten Mindestlohns zu berechnen.
Ein Teil der LSAP und der CSV wollte in erster Linie den Index manipulieren, um die Betriebe vor den Folgen eines mit dem wirtschaftlichen Aufschwung befürchteten Anstiegs der Erdölpreise zu schützen. Aber dies war nicht der einzige Grund, denn dazu sieht das Koalitionsabkommen bereits eine Reform der im Ausführungsreglement zum Indexgesetz vorgesehenen Kriterien für eine krisenbedingte Indexmanipulation vor.
Die Unternehmerverbände, ein Teil der CSV und die DP wollten den Index ebenfalls manipulieren, um gerüstet zu sein, falls die Inflation außer Kontrolle geriete. Aber zusätzlich dazu wollten sie den Anstieg der Reallöhne, der inflationsbereinigten Einkommen, bremsen oder umkehren und so die Wettbewerbsfähigkeit vor allem gegenüber dem Haupthandelspartner Deutschland erhöhen. Eine für sie willkommene Nebenerscheinung wäre, dass dies auch für die Gehälter beim Staat gälte, auf diese Weise also der Staatshaushalt entlastet würde.
Nach dem Abbruch der Tripartite-Verhandlungen Ende April hatten Unternehmenssprecher geklagt, das Mindeste, was die Betriebe von der Tripartite erwartet hätten, wäre eine Garantie gewesen, dass sie nicht mehrere Indextranchen in einem Jahr auszahlen müssten. Daraufhin verschickte das LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké unterstellte statistische Amt im August ein Arbeitspapier, in dem es nachdrücklich für eine längere Verzögerung bei der Auszahlung der Indextranchen und vor allem für die nun beschlossene Mindestfrist zwischen der Auszahlung von Indextranchen warb (d’Land, 20.8.10). LSAP-Fraktionssprecher Lucien Lux erinnerte am Donnerstag daran, dass die Verzögerung von Indextranchen bisher immer die einzige Form von Indexmanipulationen war, auf die sich die Sozialpartner einigen konnten.
Der Statec lobt in seinem Papier Les modulations du mécanisme d’indexation automatique des salaires, dass eine Mindestzeitspanne zwischen zwei Indextranchen, wie sie nun erst einmal bis Ende 2012 beschlossen wurde, eine „Schutzvorrichtung gegen inflationäre Schocks“ darstelle, ohne dass Änderungen am Warenkorb nötig seien, die den Unterschied zwischen der nationalen und der europäisch harmonisierten Berechnung der Inflationsrate vergrößerten. In Zeiten hoher Inflation bliebe der jährliche Anstieg der Lohnmasse begrenzt, so dass die Wettbewerbsfähigkeit und die Planungssicherheit der Unternehmen gefördert würden.
Die Salariatskammer rechnet in der Septemberausgabe ihrer Schriftenreihe Dialogue analyse vor, dass bei der derzeitigen Gewichtung des Warenkorbs ein brutaler Anstieg des Erdölpreises auf beachtliche 200 Dollar pro Barrel zu drei statt zwei Indextranchen innerhalb eines Jahrs führen würde. Dies macht den Unterschied zur generellen Geldentwertung durch die Abwertung des Franken 1982 aus, als im Folgejahr die Zahl der ausgezahlten Indextranchen durch Gesetz auf drei begrenzt worden war.
Die Koalitionsparteien und Gewerkschaften betonen den Kompromisscharakter der neuen Lösung: Einerseits würden die Unternehmen eine gewisse Sicherheit erhalten, weil sie vor der beschleunigten Auszahlung von Indextranchen geschützt würden, wenn die Inflation sprunghaft anstiege. Andererseits würden auch die Lohnabhängigen und Rentner eine gewisse Sicherheit erhalten, denn ihre Einkommen würden trotz allem mehr oder weniger regelmäßig an die Geldentwertung angepasst.
Doch in Wirklichkeit kann die Natur einer solchen Fristenlösung ganz unterschiedlich, das heißt entweder ein politischer Kompromiss oder eine Sicherung für den Fall, dass die Preise durchbrennen, oder ein Mittel der Lohnmäßigung sein. Alles hängt von der Mindestzeitspanne ab, die zwischen zwei Indextranchen verstreichen soll, und die für 2011 auf 15 Monate und für 2012 auf 12 Monate festgelegt wurde. Wobei der Grenzwert bei 2,5 Prozent liegt, das heißt einer jährlichen Inflationsrate, die der Höhe einer Indextranche entspricht.
Die Mindestfrist zwischen der Auszahlung von zwei Indextranchen auf ein Jahr festzulegen, wie es 2012 geschehen soll, hätte in der Vergangenheit eher geringfügige Auswirkungen gehabt. Denn in den zurückliegenden Jahren wurde etwa eine 2,5-prozentige Anpassung pro Jahr fällig, weil die jährliche Inflationsrate sich in einer ähnlichen Größenordnung bewegte. Der zeitliche Abstand zwischen der Auszahlung der Indextranchen beträgt, einschließlich der Indexmanipulation ab 2006:
01.05.1990 8 Monate
01.01.1991 8 Monate
01.11.1991 10 Monate
01.08.1992 9 Monate
01.05.1993 9 Monate
01.02.1994 9 Monate
01.05.1995 15 Monate
01.02.1997 21 Monate
01.08.1999 18 Monate
01.07.2000 11 Monate
01.04.2001 9 Monate
01.06.2002 14 Monate
01.08.2003 14 Monate
01.10.2004 14 Monate
01.10.2005 12 Monate
01.12.2006 14 Monate
01.03.2008 15 Monate
01.03.2009 12 Monate
01.07.2010 16 Monate
01.10.2011 15 Monate
01.10.2012 12 Monate
Die nun beschlossene Indexmanipulation wäre jedesmal wirksam geworden, wenn die Frist zwischen zwei Tranchen geringer als zwölf beziehungsweise 15 Monate war. Geringer als 12 Monate war sie seit 2001 nicht mehr, so dass eine Frist von 12 Monaten vor allem eine Absicherung für die Unternehmen gegen einen drastischen Anstieg der Inflationsrate darstellt.
Geringer als 15 Monate war sie dagegen fast immer, so dass dies ohne tarifliche Erhöhung der Nominallöhne einer spürbaren Reallohnsenkung gleich kommt. Die Simulationen des Statec für die Periode zwischen 2003 und 2010 ergaben, dass bei einer 12-monatigen Frist die Löhne in diesen siebeneinhalb Jahren um 0,2 Prozent gesenkt worden wären, bei einer Frist von 14 Monaten um 0,7 Prozent und bei einer Frist von 16 Monaten um 1,8 Prozent. (Eine 15-monatige Frist simulierte der Statec nicht.)
Eine 12-monatige beziehungsweise 15-monatige Frist führt folglich zu einer Senkung der Reallöhne und der Lohnmasse, sobald die jährliche Inflationsrate über rund 2,5 beziehungsweise 2,2 Prozent liegt. Liegt die Inflationsrate anhaltend über dieser Sätzen, ist eine Frist zwischen zwei Indextranchen ein Mittel zur Lohnmäßigung, wie die Unternehmer es verlangen, um wettbewerbsfähig gegenüber Deutschland zu sein. In diesem Fall würden die Nominallöhne und Renten präzise alle 12 beziehungsweise 15 Monate um 2,5 Prozent erhöht. Die Indexanpassungen würden also, gewollt oder ungewollt, im Lauf der Zeit als eine Art gesetzliche Lohnpolitik wahrgenommen mit den entsprechenden Auswirkungen auf die Tarifverhandlungen. Bei hoher Inflation staute sich zudem ein Nachholbedarf an Indextranchen auf, der Jahr für Jahr vor sich hergeschoben würde und wohl irgendeinmal ausgezahlt oder, wie einst beim „Rentenklau“, liquidiert werden müsste.