Am Eingang des Mercedes-Benz-Museums in Stuttgart steht ein Schimmel. Unter dem ausgestopften Vieh ein Zitat von Kaiser Wilhelm II anno 1906: „Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Randerscheinung.“ Viele Besucher lachen. Dabei ist nicht so sicher, wer zuletzt wiehern wird. Förster und Bauern entdecken wieder die Kraft von Vierhufern. Pferde könnten manchen Hersteller von Dieselmotoren überleben.
Nicht weit von den Autofabriken ziehen Carsten Rempp und sein Hengst Toni gefällte Bäume aus dem Dickicht des Schwarzwalds, damit ein LKW sie abholen kann. „Toni arbeitet gerne“, versichert Rempp: „Schwere Kaltblüter wurden über Jahrhunderte für die Arbeit gezüchtet.“ Tatsächlich kommt bloß der Mensch ins Schwitzen: „Angefrorene Stämme müssen gelockert werden, um die Zugkette zu befestigen – in der Zwischenzeit weidet das Pferd Fichtenzweige ab oder schaut Rehen hinterher. „Er strengt sich nicht sehr an“, meint Rempp: „Ein leichtes Pony müsste mit Muskelkraft arbeiten – Toni legt bloß sein Gewicht ins Geschirr.“
Wie der Hengst auf Kommando durchs Gestrüpp steigt, rückwärts geht, mit Stämmen im Schlepptau um Bäume herumrangiert – das sieht aus wie ein Tanz. Wären aber Harvester, Seilwinde und Forwarder nicht doch überlegen? „Man darf die Rechnung nicht nur kurzfristig machen“, erläutert Rempp, ein Sprecher der deutschen Interessengemeinschaft Zugpferde (IGZ): „Große Maschinen zerstören den Waldboden. Sie brauchen alle 20 Meter breite Rückegassen in denen keine Bäume wachsen. Sie machen auch Schäden an der Rinde, wo dann Pilze eindringen.“ Pferdekraft im Forst sei keine Nostalgie, sondern spare Geld.
Die Luxemburger Forstverwaltung führte einen Rückegassen-Abstand von 40 Metern ein. Für diese „vorbildliche Feinerschließung“, die Pferde konkurrenzfähig macht, bekam sie unlängst von der IGZ den Preis „Wald mit Zukunft“. Bei diesem Abstand „kann man Pferde optimal mit Maschinen kombinieren“, sagt Rempp. „Früher musste man alles allein mit Pferden machen, da wurden sie oft überlastet.“
Ob Ackergäule oder Brauereirösser, Grubenpferde in Bergwerken, Zugtiere für Kutschen, Kanalboote oder Kanonen: jahrhundertelang lief ohne natürliche PS fast nichts. Noch im Zweiten Weltkrieg dienten Millionen Pferde. Ab den 1950-er Jahren wurden dann aber Transport-, Land- und Forstwirtschaft in kurzer Zeit motorisiert. Gegen billiges Benzin und Diesel, mit Mitteln des Marshall-Plans gefördert, konnten Arbeitspferde nichts ausrichten. Mit ihnen verschwanden auch zahlreiche spezialisierte Handwerker, etwa Hufschmiede, Wagner und Sattler.
In Nischen behaupten sich Vierbeiner aber selbst in den Industrieländern. „Pferde sind unschlagbar, wenn es nicht auf Schnelligkeit ankommt, sondern auf präzises, bodenschonendes Arbeiten“, erklärt Rempp: „Zum Beispiel in Baumschulen, im Weinbau, zur Pflege von Naturschutzgebieten oder auf Gemüsefeldern. Da hat man auch gleich noch hochwertigen Dünger.“ Statt einen Traktor auf Schritt-Tempo zu drosseln, könnten Pferde besser Lauch anhäufeln, Möhren hacken oder Salat aussäen. Auf jeden Fall sei es effizienter, Biomasse an Arbeitspferde zu verfüttern als daraus Biodiesel zu fabrizieren.
„Pferdekraft ist erneuerbare Energie, unerschöpflich und umweltfreundlich“, wirbt Pit Schlechter, der Präsident der 2003 gegründeten Fédération européenne du cheval de trait. Zu dieser Organisation mit Sitz in Schoos bei Mersch gehören 16 Vereine aus 13 Ländern von Portugal bis Polen (aber bislang keine Luxemburger, da keine Einzelpersonen aufgenommen werden). Die mehr als 5 000 Mitglieder sympathisieren auch mit Zugrindern, Eseln, Maultieren und Zughunden.
Seit dem Tiefpunkt um 1970 wächst in Westeuropa die Zahl der Pferde wieder. Selbst im Auto-wütigen Deutschland hat sie sich seither vervierfacht auf rund 1,2 Millionen – an die 300 000 Arbeitsplätze sollen nun daran hängen. Allerdings geht es dabei meist um Sport und Freizeit. Die praktisch veranlagte IGZ hat lediglich 1 200 Mitglieder, davon rund 90 landwirtschaftliche Betriebe.
Für Luxemburg schätzt Pit Schlechter, dass „nicht mehr als fünf Betriebe Holzrückepferde einsetzen“, zum Teil Tiere aus Belgien. Eine Studie für Forêt wallonne fand, dass im Jahr 2006 in der Wallonie, vor allem in der Provinz Luxemburg, 91 Holzrücker mit 220 Pferden arbeiteten. Aus dem Nachbarland kamen auch die beiden Pferde, die vor zwei Jahren versuchsweise in den Weingärten des Domaine Kox in Remich arbeiteten. Bio-Bauern interessieren sich zunehmend für Arbeitspferde, berichtet Schlechter. Nicht nur aus Image-Gründen und weil man geschlossene Kreisläufe anstrebt, sondern auch, weil ohne chemische Unkrautbekämpfung die Felder öfter befahren werden müssen – also eine noch stärkere Bodenverdichtung droht.
In Frankreich bieten Landwirtschaftsschulen seit 2005 die Ausbildung „utilisateur de chevaux attelés“ an. Nachgefragt wird sie weniger von Landwirten als von Gemeinden: Rund 300 französische Kommunen beschäftigen Pferde mit Grünflächen-Pflege, Müllabfuhr und anderen „services publics hippomobiles“. In Luxemburg helfen der Stadt Echternach fünf Ardenner-Pferde beim Rasenmähen und Pflanzengießen. Wenn sie im Stadtwald Holz rücken, ist das auch eine Attraktion für Touristen: Der Verkehrsverein veranstaltet dazu Touren.
Wer mit Pferden arbeiten will, hat ein Problem: Für alte Geräte gibt es kaum Ersatzteile, und moderne Hersteller denken meist nur an Traktoren mit Hunderten PS. „Schwer und billig kann jeder“, schnaubt Paul Schmit. Der Fachlehrer für Technische Mechanik in Ettelbrück kaufte sich 1998 ein erstes Zugpferd, um im Nebenerwerb Land seiner Großeltern zu bewirtschaften. Woher passendes Zubehör nehmen?
Die Amischen in den USA, die Verbrennungsmotoren ablehnen, halten zwar dem Pferd die Treue und bauen für ihre durchaus prosperierenden Farmen neue Landmaschinen. Während man aber in Pennsylvania schon mal 12 Rösser vor einen Vierschar-Pflug spannt, sind diese Fabrikate für Luxemburger Bedingungen schlicht zu groß. Paul Schmit fing daher an, selbst leichtzügige Arbeitsgeräte für Kleinbauern, Winzer und Gärtner zu entwickeln: „Auf kleinen Parzellen sind Einspänner mit angepasster Technik sehr effektiv.“
Bei der „PferdeStark“, dem europäischen Kaltblut-Treffen bei Detmold, fand Schmit im Jahr 2007 einen Gleichgesinnten aus Verona: Albano Moscardo, Bio-Bauer und Ingenieur, hatte sich ebenfalls erst bei den Amischen umgesehen und dann selbst Kunststoff-Pflugscharen und Hackmaschinen für Pferde gefertigt. Seither arbeiten die beiden zusammen an moderner Technologie für tierische Zugkraft. Beispielsweise entwickelten sie für die Luxemburger Forstverwaltung eine Farn-Walze. Da Großeltern mit Kummet-Kenntnissen mittlerweile selten sind, verfassten sie das Handbuch „Die Geschirre für Arbeitspferde“.
Schmit gründete 2013 den Verein Schaff mat Päerd, der Zaumzeug verbessert und an ergonomisch optimalen Arbeitsgeräten tüftelt. Mit Sensoren werden Kräfte und Belastungen gemessen; Datenlogger erfassen auch die Herzfrequenz der Pferde. Bei längerem Einsatz, etwa Feldarbeit an mehreren Tagen hintereinander, bringt ein mittelgroßer Ardenner eine durchschnittliche Leistung von 1,2 PS (0,88 kW), hat Schmit herausgefunden. Kurzfristig könne man mehr abverlangen, dann seien aber mehr Pausen nötig. Wenn ohne Scheuklappen und Metallgebisse gearbeitet und die Wirbelsäule nicht direkt belastet wird, sind die Pferde relaxter: „Das ist nicht nur eine Frage des Tierschutzes, sondern erhöht auch die Leistung.“
Als immer mehr Bekannte die Prototypen auch haben wollten, gründete Moscardo die Firma Equi-Idea, die nun die Ergebnisse vermarktet. Da es für Pflüge und Bodenbearbeitung bereits genügend andere Hersteller gebe, konzentrieren sich die beiden auf Säen, Pflanzen und Dung-Verteilung. Bislang sind sieben Geräte erhältlich, etwa Heuschwader, Sä-Walzen und Kultivatoren. Geplant sind Kartoffelpflanzmaschinen, Balkenmäher und Transportwagen für Rundballen.
„Ich sehe unsere Aktivitäten wie das Pflanzen von kleinen Bäumen“, schätzt Schmit die Chancen zurückhaltend ein: „Selbst werden wir die Ergebnisse kaum erleben.“ Das Comeback der Pferde könnte sich allerdings beschleunigen: In der Nähe von Stuttgart produziert der Ingenieur Frank Waibler kleine Vorderwagen, die als Adapter zwischen Zugtieren und schweren, eigentlich für Traktoren gebauten Geräten laufen können. Dabei ist auch Elektro-Unterstützung möglich. Bis sein Betrieb so groß wird wie das benachbarte Mercedes-Benz-Werk, wird es voraussichtlich etwas dauern. Immerhin aber rechnen Techniker wieder mit Pferdestärken.