„Lo am Stress komme mer hei hi raschten“, scherzt Henri Reding, „well mer sou lang musse waarden.“ Er sitzt im langen Schatten des Gebäudes der Luxemburger Saatbaugenossenschaft (LSG) im Merscher Agrozenter auf einem Gartenstuhl und streckt die Beine aus. Drei Traktoren samt Anhänger stehen in der Schlange, um ihre Ernte abzuliefern. Henri Noesen, Direktor der LSG, teilt zwischen hektischen Telefongesprächen am Mobiltelefon Schirmmützen aus, die nicht rechtzeitig für die Landwirtschaftsmesse in Ettelbrück geliefert wurden. Am Montag gab es Eis für die wartenden Genossenschaftsmitglieder. „Da war schließlich Feiertag“, sagt er. Für die Bauern gibt es während der Ernte keine Ferien. Wenn das Wetter gut ist und die Körner trocken sind, rollen die Mähdrescher.
Dabei häufen sich die Indizien, dass die Ernte dieses Jahr wahrscheinlich nicht so gut ausfällt. Genau festlegen mag sich da noch niemand, bis alle Felder abgedroschen sind – im Norden kann das noch ein paar Tage dauern. Aber Landwirtschaftsminister Fernand Etgen (DP) hatte vergangene Woche vielleicht ein wenig vorschnell über den Karschnatz 2016 gesagt: „schlecht, um nicht zu sagen, katastrophal.“ „Und was tut die Politik?“, fragte daraufhin de Letzebuerger Bauer, Gewerkschaftsorgan der Bauernzentrale, vorwurfsvoll. Nachdem sie erst im Juli neue Hilfsmaßnahmen für die Landwirtschaft angekündigt hatte, erst einmal endgültige Zahlen abwarten.
Von der Ernte 2016 berichtet Klaus Palzkill, Vorstandsmitglied von De Verband, auf Basis der Lieferungen, die bisher in den Annahmezentren von Versis eingegangen sind, allerdings auch nicht viel Gutes. Das ganze Land, von Norden bis Süden sei von Ertragsausfällen betroffen und außerdem sämtliche Getreidekulturen: Wintergerste, Weizen, Treticale und Raps. „Im Vergleich zum vergangenen Jahr gibt es 30 Prozent weniger Ertrag. Und im Vergleich zum Durchschnitt der drei bis vier vergangenen Jahre beträgt der Rückgang immer noch 25 Prozent.“ Das betrifft zunächst einmal das produzierte Volumen – 2015 konnten die Luxemburger Landwirte auf 29 288 Hektar 176 516 Tonnen Getreide ernten und erzielten dabei im Schnitt einen Ertrag von 5,6 Tonnen pro Hektar. Aber dieses Jahr ernten die Bauern nicht nur weniger Getreide; um die vier Tonnen pro Hektar. An der Qualität hapert es ebenfalls. „Die Körner sind kleiner und es ist nicht so viel Mehl drin“, so Klaus Palzkill.
Schuld ist das schlechte Wetter im Mai und im Juni, erklärt er. „Bis Ende Mai standen die Zeichen auf eine Rekordernte. Aber dann gab es doppelt so viel Regen und nur halb so viel Sonne wie sonst.“ Ohne Sonne findet keine Photosynthese statt, und die Pflanzen produzieren kein Mehl. Der viele Regen habe außerdem für einen Pilzbefall „in enormen Maße“ gesorgt. Dagegen seien die Landwirte nach Möglichkeit mit Fungiziden vorgegangen. „Hätten sie das nicht gemacht, wäre es noch schlimmer“, so Palzkill.
Die Wetterkapriolen im Frühjahr haben auch ihre Spuren in den Weinbergen entlang der Mosel hinterlassen. Durch den vielen Regen habe sich der Peronospora-Pilz stark verbreitet, erklärt Robert Ley, Direktor des Weinbauinstituts in Remich. „Manche Wéngerte sind davon mehr, andere weniger stark betroffen“, so Ley. In die aufgeweichten Weinberge habe man nicht mit schwerem Gerät hineinfahren können, um Fungizide auszubringen. Geschätzt die Hälfte einer normalen Ernte werde es, meint Ley, für die Winzer sei das „nicht gut“.
Vom schlechten Wetter betroffen ist nicht nur die Getreideernte in Luxemburg, sondern auch in Belgien und den Niederlanden, in Teilen Deutschlands und Frankreichs, sowie Polens. „Pourquoi la récolte de cérérales sera la pire depuis trente“, titelte die französische Tageszeitung Le Monde vergangene Woche. In der Wirtschaftszeitung Les Echos wird „2016, la pire recolte de blé en France depuis 40 ans“. Dass sich die französischen Medien mit Horrormeldungen überbieten liegt auch daran, dass Frankreich größter Getreideexporteur Europas ist, und dieses Jahr riskiert, diesen Titel zu verlieren. Dem Branchendienst Agritel zufolge, der die Ertragsrückgänge im Nachbarland im Vergleich zum Vorjahr auf ein Drittel schätzt, werde Frankreich dieses Jahr nur 5,1 Millionen Tonnen Weizen in Drittstaaten außerhalb der EU exportieren, während es vergangenes Jahr noch 12,6 Millionen Tonnen waren. Deutschland könnte deshalb Weizenexportmeister werden, mit 6,65 Millionen Tonnen Weizen, die nach Übersee gehen.
Wenn die Ware knapp ist, steigen normalerweise die Preise. Doch für die vom schlechten Wetter in Westeuropa betroffenen Bauern trifft das nicht zu. Der Getreidemarkt ist ein globaler Markt – das weltweite Angebot bestimmt die Preise. In Osteuropa, in der Ukraine und in Russland fällt die Ernte dieses Jahr besser aus als sonst. Deshalb hat der Ertragsrückgang in den Benelux-Ländern und Frankreich nicht preissteigernd gewirkt. Auf dem Terminmarkt von Euronext wurden am Mittwoch folgende Preise für eine Tonne Weizen von Standardqualität geboten: Für Mitte September 163 Euro, für Dezember 169 Euro, für März 2017 172 Euro und für Mai und September 2017 174 Euro die Tonne. Das ist im historischen Vergleich nicht besonders viel. Im Juli 2015 wurden über 200 Euro die Tonne geboten. Im Erntejahr 2016 kommen demnach schlechte Erträge, schlechte Qualität und verhältnismäßig niedrige Preise zusammen. Dieses Jahr, schätzt Henri Noesen von der LSG, legen da manche Bauern pro Tonne drauf, anstatt dass sie etwas verdienen.
Doch sogar wenn die Preise um 20 oder 30 Euro die Tonne stiegen, würde das die Produktionskosten in Luxemburg kaum decken. Bei den hiesigen Pachtpreisen, wenn man die Kosten fürs Saatgut, für Dünge- und Pflanzenschutzmittel sowie den Mähdrescher berücksichtige, sagt ein anderer Experte, fielen konservativ geschätzt 400 Euro pro Hektar an, so dass der Getreideanbau in Luxemburg kein besonders gutes Geschäft ist.
Daher sind Betriebe, die ausschließlich Ackerbau betreiben, anders als in den vom schlechten Wetter in Frankreich betroffenen Regionen, in Luxemburg eher rar gesät. Die anderen bauen Getreide hauptsächlich an, um ihr Vieh damit zu füttern, zum Beispiel ihr Milchvieh.
Vielleicht sind Henri Reding, der sich am Dienstag in der Warteschleife bei der LSG ausruht, und seine Kollegen deshalb etwas entspannter als angesichts der Zahlen zu erwarten ist. „Die meisten Betriebe sind Mischbetriebe“, sagt Reding. Er will nicht klagen und damit Klischees bedienen. „Jeder schaut, dass er am Ende genug hat, aber dieses Jahr ist es schwer“, fügt er hinzu. Das liege daran, dass die Milchpreise, je nachdem auch die Fleischpreise, niedrig seien und die Landwirte seit Jahren Liquiditätsschwierigkeiten haben. Das erkennt sogar die Politik an: Ende Juli hat die EU neue Hilfsgelder freigegeben und die Luxemburger Regierung, so weit es ihr die EU erlaubt, zusätzliche Hilfen aus der Staatskasse versprochen. So übernimmt die Regierung die Sozialversicherungskosten und während eines Jahres die Schuldzinsen auf den Investitionskrediten, sofern die Banken bereit sind, die Ratenzahlungen ein Jahr auszusetzen.
Mit den Getreidelieferungen an Versis und LSG oder für die Produzenten von Brotweizen unter der Marke Produits du terroire an die Kleinbettinger Mühle, konnten auch Milchbauern in der Vergangenheit ein wenig Bargeld generieren. Daher, sagt Landwirt Mike Turmes, der ebenfalls darauf wartet, seinen Anhänger leeren zu können, gingen die Investitionen zurück. „Anstatt in einen neuen Traktor zu investieren, wird der alte noch einmal repariert.“ Dass es am Bargeld fehlt, merke er auch an den immer länger werdenden Zahlungsfristen für die Rechnungen der LSG, sagt Henri Noesen. „Die Bauern sind nicht arm“, erklärt er, „aber sie haben keinen Euro in der Tasche“.
Die Ernte dieses Jahr, wird ihnen kaum erlauben, etwas hinzu zu verdienen. Die Kleinbettinger Mühle habe einen ganzen Zug Getreide aus Rumänien einfahren lassen, erzählen sich die Landwirte in der Warteschleife in Mersch.
Dass durch die schlechte Ernte das Brot direkt teurer wird, ist eher unwahrscheinlich. Jean Muller, von der Kleinbettinger Mühle bestreitet nicht, dass es Lieferungen aus Osteuropa gibt. Mit der schlechten Ernte in Luxemburg dieses Jahr habe das allerdings wenig zu tun. Die Hälfte der Aktivität der Mühle bestehe darin, für Pastaproduzenten im In- und Ausland Hartweizen zu Gries zu mahlen. Der Durum-Weizen dafür werde – abgesehen von einem Pilotprojekt mit einigen Bauern – in Luxemburg gar nicht angebaut und müsse deshalb immer aus dem Ausland importiert werden. Vom Brotweizen, der in Kleinbettingen gemahlen wird, versuche das Unternehmen so viel wie möglich in Luxemburg zu kaufen, könne aber auch in „normalen“ Jahren den Bedarf nicht durch die einheimische Produktion decken. Die Analyseberichte der Proben, die er bisher gesehen hat, stimmen Jean Muller eher zuversichtlich. „Das Hektolitergewicht ist ein wenig niedriger“, sagt er. Aber von großen Krankheitsproblemen, von denen beispielsweise Klaus Palzkill berichtet, habe er bisher nichts gesehen. Mengenmäßig rechnet zwar auch Muller mit einem Rückgang des Ernteertrags, wenn der Karschnatz abgeschlossen sei. „Aber der Proteingehalt ist gut.“ Weil der Proteingehalt für den Bäcker wichtig ist, der das Mehl weiterverarbeitet, zahlt die Mühle Prämien, je mehr Proteine, die Körner enthalten. Einen allgemein gültigen Preis gibt es demnach nicht, die Gebote am Terminmarkt sind eher als Richtwerte zu verstehen.
Daran gemessen werden die Bio-Produzenten wesentlich besser für ihre Arbeit entlohnt. Zwischen 38 und 40 Eurocent, erklärt Marco Koeune, Biobauer aus Harlingen, schwanke der Preis für das Kilo Bio-Brotweizen. Auch die Biobauern konnten dem schlechten Wetter nicht entkommen. Doch sie gehen damit anders um, wie Koeune erklärt. Weil sie bei Pilzbefall, wie ihn die Versis-Mitglieder dieses Jahre erlebt haben, nicht „kurativ“ eingreifen könnten, bauten die Biobauern Getreidesorten an, die von vornherein weniger krankheitsanfällig seien. „Mit Pilzen“, sagt Koeune, „haben wir in der Regel nie Probleme“. Außerdem würde auf den Bioackern „leichter ausgesät“, führt Biobauer Koeune aus, „deshalb kann sich das einzelne Korn besser entwickeln“. Und es sei besser belüftet, was ebenfalls hilft, wenn es wie dieses Jahr im Frühjahr zu viel Regen gibt. Die leichte Aussaat, räumt er ein, führe dazu, dass die Biobauern ohnehin weniger hohe Erträge pro Hektar erzielen. „Durchschnittlich vier Tonnen pro Hektar.“ Also so viel, wie die konventionellen Kollegen dieses Jahr im Schnitt ernten werden.