Was hat es mit der „Wasserstoffwirtschaft“ auf sich, über die sich die Wirtschaftsminister der Benelux vergangenes Jahr ausgetauscht haben?, wollte im November der DP-Abgeordnete Gusty Graas von Wirtschaftsminister Etienne Schneider (LSAP) wissen. Der antwortete vor drei Wochen auf die parlamentarische Anfrage, womöglich könne Wasserstoff eine Rolle als Energiespeicher spielen. Das habe auch die Rifkin-Studie zur „dritten Industriellen Revolution“ angedeutet. Noch aber lasse sich dazu nichts Genaues sagen. Die Benelux-Länder hätten vereinbart, dieses Jahr „zusätzliche Analysen“ vorzunehmen.
Dabei ist es gar nicht so lange her, dass die „Wasserstoffwirtschaft“ ziemlich nah schien. Autohersteller taten sich in den Neunzigerjahren zur Entwicklung des Brennstoffzellenantriebs zusammen. Der damalige Daimler-Chrysler-Konzern verbündete sich mit Ford. General Motors bildete ein Konsortium mit Toyota, Volkswagen eines mit Volvo und Renault. Protoypen von Brennstoffzellenautos wurden gebaut und Brennstoffzellenbusse nach der Jahrtausendwende sogar im Alltag getestet. Auch der Busbetrieb AVL von Luxemburg-Stadt nahm 2003 am European Fuel Cell Bus Project teil und ließ drei Brennstoffzellenbusse von Mercedes drei Jahre lang im Linienverkehr mitfahren. Neun weitere Busbetriebe machten mit, darunter einer aus Rejkjavik, denn die isländische Regierung hatte kühn versprochen, die Insel zur „ersten Wasserstoff-Gesellschaft der Welt“ zu machen.
Aber weder wurde Island bisher eine „Wasserstoff-Gesellschaft“, noch gelangten Brennstoffzellenbusse massenhaft in den Einsatz. Und nicht nur Etienne Schneider kann derzeit wenig Genaues zur Wasserstoffwirtschaft sagen – die EU-Kommission weiß nicht einmal genau, wie viele Brennstoffzellenbusse in den Unionsländern zurzeit im Einsatz sind, nachdem der Pilotversuch mit 18,5 Millionen Euro der EU gefördert wurde: „Schätzungsweise“ seien es 91 Busse. In Luxemburg fährt keiner; emissionsarme Busse haben hierzulande Hybrid- oder Plug-in-Hybridantrieb. Die Wasserstoff-Tankstelle aus der Zeit des Pilotversuchs an seinem Sitz in Hollerich hat der AVL wieder abmontiert. Und wenn für die nächsten Jahre im Grunde alle Autohersteller batteriebetriebene Elektroautos ankündigen, scheint die Brennstoffzelle out zu sein.
Oder doch nicht? Das kommt darauf an, wovon man spricht. Mit „Wasserstoffwirtschaft“ sind heute nicht in erster Linie Brennstoffzellenautos gemeint, sondern Wasserstoff als Speicher in einem Energieversorgungssystem der Zukunft. Strom würde dort zum großen Teil, wenn nicht gar komplett aus Wind- und Solarkraft bezogen: Da Wind und Sonne nicht immer zur Verfügung stehen, könnte ein Teil des Stroms, der produziert wird, wenn die Sonne scheint oder genug Wind weht, in der Zeit Wasserstoff durch Elektrolyse von Wasser gewinnen lassen. In Drucktanks könnte er aufbewahrt und in Brennstoffzellen zu Strom umgewandelt werden, wenn Bedarf besteht.
Doch auch diese Idee wird in Energieforschung und Energiepolitik mit Vorsicht geäußert. Auch im Rifkin-Bericht steht, als Energiespeicher komme so manches in Frage: Große Batterien etwa, oder aus Strom produziertes Methanol, das man in Tanks abfüllt, oder ganz einfach Wasser, das elektrisch erhitzt und aufbewahrt würde, um Nahwärmenetze zu versorgen. Denn der Zukunftstrend gehe in Richtung tout électrique, auch beim Beheizen von Häusern – die dank guter Wärmeisolation aber nur wenig beheizt werden müssten.
Mit Autos und ihren Antrieben scheint das nicht mehr viel zu tun zu haben, aber über allem steht die Frage, welche Technologien weiterverfolgt werden sollen, wenn eines Tages tout électrique gelten soll und obendrein zero emission. Auch auf den Straßen. Dass bei der kontrollierten „kalten“ Verbrennung von Wasserstoff und Sauerstoff in einer Brennstoffzelle nur Wasserdampf als Abgas anfällt, faszinierte schon in den Siebzigerjahren, als die Brennstoffzellenentwicklung forciert wurde. Die Ölkrise hatte die Versorgung mit Benzin und Diesel verwundbar aussehen lassen. Emissionsfreiheit stand damals nicht im Vordergrund.
Doch trotz der Entwicklungsanstrengungen ist die Brennstoffzellentechnologie noch immer aufwändig und teuer. „Weltraumtechnologie“ eben – die ersten Fuel Cells wurden in den Sechzigerjahren in Gemini- und Apollo-Raumschiffe eingebaut. Tesla-Chef Elon Musk nannte sie vor drei Jahren eine „incredibly dumb alternative“ zu Diesel- und Benzinantrieben, aber auch gegenüber Batteriemobilen. Praktisch alle anderen Hersteller scheinen das ähnlich zu sehen, wenn sie für die nächsten Jahre ein Füllhorn an Batterie- oder Plug-in-Hybridautos herauszubringen versprechen.
Ein paar Hersteller aber, und nicht die kleinsten, treiben die Markteinführung von Brennstoffzellenautos weiter voran. Hyundai ließ 2014 von seinem SUV ix35 eine Version FC – für Fuel Cell – in Serie gehen. Auf der Elektronikmesse CES in Las Vegas war diesen Monat die zweite Generation zu sehen. Sie heißt Nexo, soll 800 Kilometer Reichweite pro Tankfüllung haben und ab August auch in ausgewählten europäischen Ländern verkauft werden.
Toyota lancierte 2015 den wasserstoffgetriebenen Mirai, zunächst in Großbritannien, Deutschland und Dänemark, wo es recht viele Wasserstofftankstellen gibt. Die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio will Toyota als Werbeveranstaltung nutzen: Busse und Autos für Sportler sollen mit Wasserstoff fahren und die zweite Generation des Mirai bereit stehen.
Doch Brennstoffzellenautos gelangen bisher nur auf den Markt, weil die Hersteller bei den Preisen nachlassen. Dennoch kostet der Toyota Mirai in Deutschland 80 000 Euro. 65 000 Euro kostet der Hyundai ix35 FC. Der Nexo soll „günstiger“ sein, hieß es vor einer Woche nach dem Auftritt in Las Vegas; Details hält Hyundai noch unter Verschluss. Erst wenige dieser Autos sind auf den Straßen. Toyota verkaufte bis Anfang 2017 rund 3 600 Mirais, knapp die Hälfte in Japan, die andere in Kalifornien, in Europa fahren an die hundert. Vom Hyundai ix35 FC sind es noch weniger. In Luxemburg ist nicht ein Brennstoffzellenauto zugelassen. Was auch deshalb nicht überrascht, weil es hier keine Wasserstofftankstelle gibt.
Mercedes legte 2010 eine Kleinserie der B-Klasse mit Brennstoffzelle auf. Aber fürs Leasing, ein realistischer Preis ließ sich nicht kalkulieren. Vergangenes Jahr stellte Mercedes auf der Frankfurter IAA den Mercedes GLC F-Cell vor: Das SUV ist das weltweit erste Plug-in Hybridauto, in dem ein Batterie- und ein Brennstoffzellenantrieb zusammenwirken. Daimler-Chef Dieter Zetsche wurde in der deutschen Presse aber mit der Aussage zitiert, die Brennstoffzelle spiele „als alternativer Antrieb keine zentrale Rolle mehr“ für den Konzern. Die gehöre in den nächsten zehn Jahren Batterie-Antrieben. Mit voraussichtlich 80 000 Euro macht der GLC F-Cell einen teuren Eindruck, da Batterieautos preiswerter werden sollen.
Nicht nur der technologische Aufwand macht den Brennstoffzellenantrieb problematisch. In der Natur kommt Wasserstoff nur gebunden vor, etwa als Wasser. Reiner Wasserstoff lässt sich gewinnen, indem man Wassermoleküle durch Elektrolyse aufspaltet, aber das kostet viel Strom. Bei der „Dampfreformierung“ wird Wasserstoff aus Erdgas oder Kohle extrahiert, nachdem man sie mit Dampf erhitzt hat. Doch dabei wird viel CO2 frei, außerdem kann Erdgas in CNG-Antrieben gleich als Treibstoff dienen. Da wundert es nicht, dass Barack Obamas damaliger Energieminister Steven Chu, ein Physik-Nobelpreisträger, 2009 die staatliche Förderung der Brennstoffzellenforschung in den USA beendete.
Sogar falls genug „grüner Strom“ bereitstünde, um die stromfressende Elektrolyse aus Wind- oder Solarkraft zu decken, wird der Brennstoffzellenantrieb nicht besser als der mit Batterien, wenn es um die Effizienz geht. Dann ist die „Wheel-to-wheel-Bilanz“ von Belang, der Wirkungsgrad von der Quelle bis zum Autorad, beziehungsweise, wie viel elektrische Kilowattstunden für eine mechanische Kilowattstunde nötig sind, die auf der Straße gefahren wird. PWC Deutschland hat vor drei Monaten ein Zukunftsszenario betrachtet, in dem sämtlicher Strom aus erneuerbaren Quellen käme, und drei Antriebe verglichen: den mit Batterie, den mit Brennstoffzelle sowie das benzinähnliche synthetische „Synfuel“.
Ergebnis: In Batterie-Antrieben sind pro mechanischer Kilowattstunde 1,4 elektrische Kilowattstunden nötig. In Brennstoffzellenantrieben, für die Wasserstoff durch Elektrolyse gewonnen würde, wären es etwa doppelt so viel, und fast sieben Mal so viel in einem Synfuel-Antrieb, für den die Treibstoffherstellung noch mehr Strom frisst als die Elektrolyse.
Auch Etienne Schneider kam in seiner Antwort auf die parlamentarische Anfrage zur „Wasserstoffwirtschaft“ auf die Effizienzbilanz zu sprechen und meinte, vielleicht habe die Brennstoffzelle „langfristig“ eine Zukunft, falls technologische Weiterentwicklungen den Wirkungsgrad verbessern. Allerdings ist der nicht das einzige Kriterium beim Antriebsvergleich. Ein Argument, das dafür sprechen kann, die Brennstoffzelle nicht aufzugeben, ist der Materialeinsatz: In einer Hochleistungsbatterie für Elek-troautos stecken nicht nur Stahl, Graphit und diverse Kunststoffe, sondern auch Lithium und Kobalt.
Auf 39,5 Millionen Tonnen werden die weltweiten Lithium-Reserven geschätzt. Das klingt nach viel, doch das Material ist nicht überall leicht verfügbar; der größte Teil wird aus Salzseen in Bolivien und Chile gewonnen. 2011 wurden 129 000 Tonnen Lithium weltweit verbraucht, mit 30 000 Tonnen fast ein Viertel davon für Akkus tragbarer Geräte, wie Tablets und Smartphones. Für Batterie- und Hybridautos wurden 7 000 Tonnen eingesetzt. Schätzungen gehen davon aus, dass sich bis 2025 die Gesamtnachfrage gegenüber 2011 auf 500 000 Tonnen vervierfacht – und dabei allein der mit Batterien für Autos verbundene Bedarf um fast das Dreißigfache auf 205 000 Tonnen wächst. Womit die Elektrifizierung des Straßenverkehrs aber noch nicht beendet wäre.
Auch die Kobalt-Gewinnung ist in die Diskussion geraten. Nicht nur gibt es Stimmen, die vor Knappheit warnen. Besonders viel Kobalt kommt aus Bergwerken im Kongo, wo für Gemüter aus reichen Ländern kaum vorstellbare Arbeitsbedingungen herrschen und, wie Amnesty International vor zwei Jahren berichtete, siebenjährige Kinder ihre Gesundheit für den Stoff riskieren, der in Batterieelektroden steckt.
Verglichen damit, ist der Materialeinsatz in Brennstoffzellenautos kleiner. Nennenswert sind vor allem die 50 Gramm Platin pro Fuel Cell. Platin ist zwar ein Edelmetall, aber 15 Gramm sind auch zur Abgasreinigung in jedem Dieselmotor nötig.
Daraus ergeben sich gewichtige Fragen. Führen die Batterie-Autos aus der Abhängigkeit von Erdöl in eine von anderen Rohstoffen? Werden Verbrennungsmotoren zu früh abgeschrieben? Sind die Wasserstoffautos keine dumme Idee, und wäre der forcierte Bau von Wasserstoff-Tankstellen sinnvoller als der von Elektro-Ladesäulen, weil er die Nachfrage nach FC-Mobilen so stark steigern könnte, dass sie preiswerter würden? Oder werden bald völlig neue Batterien entwickelt? Sicher scheint im Moment, dass die Weiterentwicklung des Brennstoffzellenantriebs in Asien erfolgen dürfte, und vielleicht ereignet ein Durchbruch sich in China mit seinem enormen Absatzmarkt. Sicher ist dagegen, dass die Frage, wie der optimale Antrieb aussieht und ob es ihn überhaupt gibt, viel zu tun hat mit der Art und Weise, mobil zu sein. Und dass ein Auto besitzen zu müssen, nicht immer notwendig ist und manchmal sogar eine unglaublich dumme Idee.