Luxemburgensia

Five years – and it’s not over

d'Lëtzebuerger Land du 30.09.2011

Es beginnt mit einer Blume, die man für nichts weiter als eine piefige Balkonausstattung halten könnte, wenn man nicht wüsste, dass das leuchtend rot blühende Gewächs auf den wohltönenden Namen „Kimjongilia“ hört. Über das totalitaristische Kraut schrieb der amerikanische Schriftsteller/Komponist/Künstler David Woodard einen Essay für das Magazin Der Freund, das von 2004 bis 2006 vom Schweizer Schriftsteller Christian Kracht mitherausgegeben wurde. Aus der Zusammenarbeit wurde bald eine Freundschaft, die sich in einem regen Emailaustausch niederschlug. Aber was für eine Freundschaft. Wie perfekt sich die Interessen der beiden Korrespondenten ergänzen und in bizarrsten Vorlieben und Ansichten konvergieren, grenzt an ein Wunder.

Die Faszination für die Kimjongilia und die Schwierigkeiten, die sich für denjenigen ergeben, der sich diese Pflanze beschaffen will, sind erst der Anfang in einer langen Reihe von seltsamen hobby horses. Woodard gewinnt Kracht für das wahnwitzige Projekt, ein Opernhaus (nicht irgendeines, sondern eine verkleinerte Nachbildung das Bayreuther Festspielhauses) in Nueva Germania zu bauen, einer von Nietzsches Schwester Elisabeth mitbegründeten Kolonie „arischer“ Siedler in Paraguay, deren Nachkommen Kracht und Woodard dann auch gemeinsam aufsuchen. Woodard verschenkt nicht nur eine Kimjongilia-Knolle an eine der Einwohnerinnen (sie heißt, man glaubt es kaum, Flora Fischer), sondern hat auch vor, eine Manufaktur für „Dreamachines“ (ein psychedelisches Spielzeug) in einem Haus einzurichten, in dem einmal der KZ-Arzt Joseph Mengele (Woodard nennt ihn „Joe“) gewohnt haben soll. Teile der Korrespondenz drehen sich außerdem darum, wie der „Elisabeth Nietzsche Yerba Mate“-Tee am besten zu vermarkten sei.

Eine kommunistische Begonie im Garten der Nachfahrin „arischer“ Kolonialisten, Artefakte aus der Beat Generation und Tee, der unter dem Namen einer fanatischen Antisemitin vertrieben werden soll: Hier geht es vermutlich darum, ein extravagantes Kuriositätenkabinett zusammenzukramen, das größtmögliche ideologische Extreme in der Absurdität und im Kitsch kollabieren lassen soll. Mehr als mutmaßen kann man aber nicht darüber, was Woodard und Kracht mit ihren seltsamen Unternehmungen bezwecken oder was sie dazu antreibt1; in ihren Emails unterhalten sie sich so gut wie nicht darüber. Auch über poetologische Fragen schweigen sie sich aus. Ein Großteil der Korrespondenz besteht in pragmatischen Angelegenheiten, Geldüberweisungen, Reiseplanungen, editorischen Fragen, usw.

Gelegentlich regen sich die Autoren darüber auf, dass sie für Homosexuelle oder Neo-Nazis gehalten werden und versichern sich der gegenseitigen Freundschaft, während vor allem Kracht wie manisch um den Globus hetzt (mal ist er in Nepal, mal in San Francisco, mal in Tschernobyl). Herausgekommen ist dabei, anders als das Vorwort postuliert, kein „elegant formulierter Roman, der einen vielgestaltigen Entwurf einer möglichen Wahrheit über das Leben von Künstlern am Beginn des 21. Jahrhunderts präsentiert2“ (geschweige denn ein „Modell eines Künstlerbriefwechsels in der Gegenwart“, Gott bewahre), sondern ein streckenweise sehr ermüdendes, langatmiges Kompendium über die abwegigen Pläne von zwei exzentrischen Autoren, das nicht eben vor Nachvollziehbarkeit und glanzvollem Stil strotzt.

Einen zeitgenössischen Emailwechsel zu edieren, war sicher keine geringe Herausforderung für die Herausgeber (darunter auch der Luxemburger Germanist Claude D. Conter) die sich mit einem viel komplexeren medialen Kontext auseinandersetzen mussten, als dies bei traditionellen Briefwechseln der Fall ist. Es ist bedauerlich, dass hier die Gelegenheit verpasst wurde, den Emailwechsel als E-Book zu veröffentlichen, wo der Leser mit einem Klick die unterschiedlichen Datei-Anhänge und Links (notfalls in Form von Screenshots) hätte abrufen können, auf die sich die Autoren beziehen. Davon abgesehen, dass es doch einigen Aufwand an Geduld erfordert, mehrzeilige Weblinks abzutippen, sind bereits nicht mehr alle von den Herausgebern als funktionierend markierten Links aktiv. Die diesbezüglichen Kommentare von Kracht und Woodard lassen sich also nicht mehr nachvollziehen.

Wofür die Herausgeber natürlich nicht aufkommen können, sind die verschiedenen Gespräche über Telefon und andere Medien, die Kracht und Woodard unabhängig von ihrem Emailverkehr miteinander geführt haben. So entstehen unvermeidliche Lücken in dem Austausch, der dem Leser vorliegt. Die Herausgeber kommentieren diese Lücken nicht, was mitunter schade ist, weil sich eben nicht alle Zusammenhänge aus den Emails ergeben. Ein stärker kommentierender Eingriff, zum Beispiel in Form von Endnoten, wäre vielleicht nicht so sehr im Sinne der Autoren gewesen, weil dort wohl hätte stehen müssen, dass aus den meisten ihrer hochfliegenden Pläne nicht viel geworden ist, durchaus aber in dem der Leser.

1 Dass Kracht vor dem abgedruckten Emailwechsel in irgendeiner Form Interesse an Woodards Nueva Germania-Projekt bekundet haben muss, setzt Woodards erste Email klar voraus („as for nueva germania, great news!“ usw., S. 4).
Elise Schmit
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