„Der soziale Frieden hat auch einen Preis“, erklärte Premier Xavier Bettel (DP) am Freitag nach der Einigung mit OGBL, LCGB und CGFP. Laut den am Mittwoch hinterlegten Änderungsanträgen zum Haushaltsgesetzentwurf beträgt der Preis nächstes Jahr 57,155 Millionen Euro. Zu diesem Preis verzichten die Gewerkschaften auf die öffentliche Mobilisierung gegen die in 14 Tagen vom Parlament verabschiedeten Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen, und der Premier wünscht sich zu Neujahr laut Revue „Ruhe in diesem Land“.
Sind 57,155 Millionen ein „fairer“ Preis für den sozialen Frieden? Die Regierung scheint ihn für angemessen zu halten. Und nach eigenen Angaben stimmten ihn das Zentralkomitee des LCGB am Montag „einstimmig“, die Vorständekonferenz der CGFP am Dienstag „mit großer Mehrheit“. Ursprünglich hatte die Regierung die für nächstes Jahr geplanten Steuererhöhungen und Einsparungen auf 560,9 Millionen Euro veranschlagt. Um sie politisch durchzusetzen, gewährte sie nun einen Rabatt von 57,155 Millionen Euro oder 10,19 Prozent. Vielleicht war der zehnprozentige Rabatt schon im ursprünglichen Preis einkalkuliert. Schließlich half der Premier lange während der Braderie in einem Schuhgeschäft aus.
Einige Preisnachlässe hatte die Regierung schon vor der Zusammenkunft mit den Gewerkschaften gewährt: Nach einem Aufschrei der Unternehmer sieht schon der vor zwei Monaten hinterlegte Haushaltsentwurf die Erhöhung des staatlichen Zuschusses an ihre Mutualität von 0,3 auf 0,45 Prozent, einen einmaligen Zuschuss von 20,5 Millionen Euro und eine Senkung der Mindestrücklage von zehn auf acht Prozent vor. Der Handwerkerverband konnte sich am 14. Oktober freuen, dass er mit seiner Forderung nach der Beibehaltung des superreduzierten Mehrwertsteuersatzes von drei Prozent für Renovierungen und Energiesparmaßnahmen Gehör gefunden hatte. Auch die geplanten Änderungen an den staatlichen Hilfen für Zeitungsverleger sind um ein Jahr aufgeschoben.
Das Gros des nun auch den Gewerkschaften zugestandenen Preisnachlasses, rund 39 Millionen Euro nächstes Jahr, nur noch elf Millionen 2018, gewährt die Regierung auf der neuen 0,5-prozentigen Steuer für natürliche Personen. Denn sah der Haushaltsentwurf vor, dass ein Einkommensteil in Höhe eines Viertels des unqualifizierten Mindestlohns von der Steuer ausgenommen bleibt, so soll nun über einen Änderungsantrag dieser Freibetrag auf den vollen Mindestlohn erhöht werden. Weil dieser Freibetrag auch für höhere Einkommen gilt, macht der Einnahmeausfall ein Drittel der ursprünglich geplanten Einnahmen aus dieser Steuer aus.
Damit entsprechen der Freibetrag und in etwa die erwarteten Einnahmen der 2011 eingeführten und ein Jahr später gleich wieder abgeschafften 0,8-prozentigen Krisensteuer. Das dürfte aber die größte politische Demütigung für die Regierung sein: Premier Xavier Bettel hatte am 14. Oktober vor dem Parlament die neue Steuer als „Zukunftsbeitrag“ angekündigt, Finanzminister Pierre Gramegna (DP) nannte sie einen Tag später großspurig einen „Beitrag für die Zukunft unserer Kinder“. Wiederum einen Tag danach behaupteten Erziehungsminister Claude Meisch (DP) und Familienministerin Corinne Cahen (DP), dass damit eine kostenlose zweisprachige Kinderbetreuung für Ein- bis Dreijährige bezahlt werde. Laut Artikel sieben im Entwurf des Haushaltsgesetzes sollten die Einnahmen in eine „Caisse pour l’avenir des enfants (Zukunftskeess)“ fließen. Doch nach einem vernichtenden Gutachten des Staatsrats, welcher der Regierung vorwarf, nicht einmal die vier bis fünf klassischen Haushaltsgrundsätze zu beherrschen, soll die neue Steuer nun durch einen Änderungsantrag als das bezeichnet werden, was sie trotz aller Schaumschlägerei immer bloß war, als „impôt d’équlibrage budgétaire temporaire“. Mit der „Zukunft“ soll in zwei Jahren auch wieder Schluss sein: Dann soll die Steuer durch eine allgemeine Steuerreform wieder abgeschafft und damit kaum älter werden als ihre Vorgängerin, die Krisensteuer.
Daneben verzichtete die Regierung am vergangenen Freitag darauf, den Freibetrag von 230 589,82 Euro auf 50 000 Euro zu senken, ab dem Erben Zuschüsse des Nationalen Solidaritätsfonds zurückerstatten müssen; dadurch nimmt der Staat nächstes Jahr schätzungsweise 5 745 000 Euro weniger ein als geplant. Andere Einsparungen werden um einige Monate aufgeschoben: Die Abschaffung der Mutterschafts- und der Erziehungszulage findet sechs Monate später statt, was Mindereinnahmen von 10,5 Millionen Euro verursacht, die Abschaffung des Vorzugstrimesters im öffentlichen Dienst drei Monate später. Auch einige der geplanten Einsparungen bei der Beschäftigungspolitik sollen, wenn nicht zurückgenommen, so doch im Laufe des kommenden Jahres diskutiert werden, wenn die Zahl der Arbeitslosen nicht zurückgeht. Doch alleine bei der Wiedereinstellungshilfe will die Regierung 2018 rund 30 Millionen Euro sparen. Bei der Krankenkasse gab die Regierung es den Gewerkschaften nun schriftlich, dass die geplanten Einsparungen weder Leistungsverschlechterungen, noch Beitragserhöhungen bedeuten werden, so dass sie von den Ärzten, Labors und Krankenhäusern getragen werden sollen. Die liberale Medizin ist ein zweischneidiges Schwert.
Die zufriedenen Gesichter der Gewerkschaftssprecher konnten am Freitag nicht darüber hinwegtäuschen, dass weiter unverändert die Mehrwertsteuer erhöht, das Kindergeld für Familien mit mehr als einem Kind gekürzt und die Préretarite solidarité abgeschafft wird. Und das Lächeln des Regierungschefs konnte auch nicht vergessen lassen, dass der Rechnungshof in seinem Gutachten andere Teile seines Zukunftpak nach allen Regeln der Kunst demontierte: Von den 258 Sparmaßnahmen würden 48 erst nach 2015 wirksam, und bei 49 sei die Regierung nicht fähig, die Einsparung zu beziffern. Blieben also von 258 noch 161 nächstes Jahr. Und auch darunter seien manche fragwürdig. So sehe Sparmaßnahme Nummer 13 im Zukunftspak vor, die Ausstattung des soziokulturellen Radios 100,7 um 260 000 Euro zu senken, im Haushaltsentwurf sei aber eine Erhöhung um 540 993 Euro vorgesehen. Die Ausstattung des Office national de remembrement solle laut Sparmaßnahme Nummer 213 um 458 000 Euro gesenkt werden, laut Haushaltsentwurf solle sie nächstes Jahr aber unverändert bleiben. Durch die Abschaffung der Erziehungs- und der Mutterschaftszulagen wolle die Regierung nächstes Jahr zwar 24 414 000 Euro sparen, aber mit diesen Mitteln wolle sie den Elternurlaub reformieren, so dass es sich lediglich um eine Umschichtung von Mitteln handele. Durch die Stilllegung wenig befahrener RGTR-Strecken sollten laut Sparmaßnahme Nummer 238 nächstes Jahr 1 200 000 Euro gespart werden; der Nachhaltigkeitsminister kündigte aber an, dass mit den so freigesetzten Mitteln andere Buslinien ausgebaut werden sollen – ein Nullsummenspiel. Durch eine Reform der Wiedereinstellungshilfen sollten nächstes Jahr sechs Millionen Euro gespart werden, aber diese Reform werde seit drei Jahren angekündigt und ein entsprechender Gesetzentwurf fehle immer noch. Nächstes Jahr sollten auch 1 584 000 Euro Miete für die Cité policière auf der Kalchesbréck gespart werden – doch dem stehe eine Ausgabe von 86 390 000 Millionen Euro für den Kauf des Gebäudes gegenüber.
Dass die Regierung monatelang auf stur geschaltet hatte und dann drei Wochen vor der Verabschiedung ihres Haushaltsentwurfs unter dem Druck der Gewerkschaften plötzlich zu Verhandlungen und Zugeständnissen bereit war, erklärte Xavier Bettel am Freitag mit den 90,9 Millionen Euro EU-Beiträgen, die der Staat von der Europäischen Union zurückerstattet bekommen soll. Aber eine solche Rückerstattung ist einmalig, die höheren Ausgaben und die Mindereinnahmen in den Folgejahren sind es jedoch nicht. Zudem ist diese Rückerstattung noch alles andere denn endgültig. Denn die Berechnung des Bruttosozialprodukts erfolgte nach alten Sec-95-Normen, muss also noch nach Sec 2010 wiederholt werden; die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung wird zudem noch laufend rückwirkend aktualisiert. „Ainsi le chiffre définitif pour l’année 2013 ne sera certainement pas connu avant 2017,“ bestätigt das Statec auf Nachfrage. „Et encore, faut-il savoir le montant des 90.9 millions d’Euro actuellement estimé ne concerne pas la seule année 2013, mais l’ensemble des années 2010 à 2013. Il est impossible à l’état actuel de se prononcer ni sur l’amplitude de l’ajustement, ni sur la direction de ce dernier.“
Die Umgang der Regierung mit den Sozialpartnern war zweifellos heterodox. Mit unterschätzten Einnahmen von Staat und Sozialversicherung, einer unsicheren einmaligen Zuwendung, überholten Konjunkturprognosen, Phantasieeinsparungen, dem Bluff einer neuen Zwecksteuer und einem unentwirrbaren Gestrüpp von Gesetzentwürfen und Änderungsanträgen ist das Neue am „Haushalt der neuen Generation“ vor allem sein Chaos. Aber unter dem Strich erreichte die Regierung mit heterodoxen Mitteln das Einverständnis der Gewerkschaften zu einer halben Milliarde Euro Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen schneller und schmerzloser als die Vorgängerregierung mit ihren endlosen Tripartite-Melodramen. Die Geschichtsbücher erinnern bloß daran, wer gesiegt hat, nicht wie er gesiegt hat.