Die Wirtschaft wird nächstes Jahr langsamer wachsen als bisher gedacht. Das ist nur eine der Unbekannten in der Haushaltsvorlage, denn da wäre noch die Frage der Rulings ...

Wundersame Geldvermehrung

d'Lëtzebuerger Land vom 28.11.2014

Kommt der Zukunftsbeitrag von 0,5 Prozent schon 2015 oder erst 2016? Gibt es sonstige Änderungen an der Haushaltsvorlage fürs kommende Jahr? Darüber diskutiert die Regierung heute zum dritten Mal binnen einer Woche mit den Vertretern der drei großen Gewerkschaften. Dabei scheinen sich die Regierungsmitglieder auch untereinander nicht ganz einig zu sein. Finanzminister
Pierre Gramegna (DP) zeigte sich gegenüber RTL am Dienstag zögerlich – gebe es ein Moratorium, müsste die Einnahme von rund 120 Millionen „woanders gefunden werden“, weil „unter dem Strich das Gleiche bleiben“ müsse.

Dass unter dem Strich das Gleiche bleibt, ist eher unwahrscheinlich. Denn ohnehin sind die Hypothesen, auf denen Gramegnas Haushaltsentwurf für 2015 beruht, dabei, sich in Luft aufzulösen. Am Mittwoch stellte das Statec die Note de Conjoncture 2-2014 vor, machte offiziell bekannt, was den Mitgliedern der parlamentarischen Finanz- und Haushaltskommission schon vor zwei Wochen mitgeteilt worden war. Nämlich dass die Luxemburger Wirtschaft nächstes Jahr nicht so stark wachsen werde, wie bisher angenommen. Die Risiken sind vielfältig. In der Eurozone, unter den Haupthandelspartnern Luxemburgs, ist das Wachstum schwach, nur ein Prozent im dritten Quartal, und die Aussichten für 2015 sind nicht besser. Außerdem geht die Angst vor der Defla­tion um, vergangenen Monat betrug die Inflationsrate in der Währungsunion nur 0,4 Prozent, während die Europäische Zentralbank eine Rate von knapp zwei Prozent anpeilt. In Luxemburg selbst zeigen die Ergebnisse der Konjunkturumfragen nach unten. Firmenchefs und Verbraucher sind wenig optimistisch, was die kommenden Monate betrifft. Anstelle der in der Haushaltsvorlage vorgesehenen 2,7 Prozent geht das Statec nun für 2015 von einem Wirtschaftswachstum von 2,2 Prozent aus.

Das Statec hatte aber nicht nur schlechte Nachrichten. Die Ökonomen haben den zaghaften Beginn einer Stabilisierung auf dem Arbeitsmarkt ausgemacht, rechnen damit, dass die Arbeitslosenrate auch nächstes Jahr bei 7,2 Prozent liegen wird. Und was die immer inflationsbesorgten Arbeitgeberkreise beruhigen wird: Es wird 2015 noch weniger Inflation geben als bisher gedacht. Trotz Mehrwertsteuererhöhung würden die Verbraucherpreise 2015 um nur 1,3 Prozent statt wie bisher prognostiziert um 2,1 Prozent steigen. Die nächste Indextranche würde damit erst im zweiten Quartal 2015 fällig. Für das laufende Jahr geht das Statec von einer kümmerlichen Inflationsrate von 0,7 Prozent aus zum ersten Mal seit drei Jahren wurde im Oktober 2014 keine Indextranche fällig. Dass die Inflationsrate so niedrig ist, liegt an den im Vergleich zum Vorjahr niedrigen Erdöl- und Lebensmittelpreisen, aber auch daran, dass die administrierten Preise – beispielsweise die Kinderkrippentarife via Dienstleistungschecks – dieses Jahr nicht angehoben wurden.

Für das laufende Jahr liegt die heimische Wirtschaft im Soll. Sogar wenn das Wachstum im dritten und im vierten Quartal stagnieren sollte, werde die Wachstumsrate über das ganze Jahr gesehen fast drei Prozent betragen, so Ferdy Adam vom Statec am Mittwoch. Doch für 2015 könnten es sogar noch weniger als 2,2 Prozent werden. Denn in dieser Vorhersage sind lediglich der Einnahmenausfall wegen des veränderten EU-Mehrwertsteuerregimes beim elektronischen Handel sowie die bereits Anfang des Jahres angekündigte Mehrwertsteuererhöhung berücksichtigt. Die Haushaltsvorlage und das Zukunftspaket wegen fehlender konkreter Angaben hingegen noch nicht. Dennoch hat das Statec überschlagen, wie sich das Sparpaket der Regierung auf die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes auswirken wird: Es könnte 0,3 Prozent Wachstum kosten.

Wie sich das Spar- und Zukunftspaket letztendlich auf das öffentliche Saldo auswirken wird? In der Präsentation des Statec heiß es dazu ein wenig geheimnisvoll: „Impact sur le solde : appliquer les modèles“. Mangels handfester Daten, wie viel die einzelnen Maßnahmen tatsächlich einsparen oder einbringen sollen, bleibt das Statec vorerst vorsichtig und hat seine Vorhersage wenig angepasst: -0,1 Prozent, so die derzeitige Defizitprognose für die öffentliche Hand für 2015.

Dass das Statec erst einmal abwartet, was bei den aktuellen Verhandlungen zwischen Regierung und Sozialpartnern herauskommt, ist vielleicht keine so schlechte Taktik. Denn Haushaltsvorlage und Zukunftspak drohen, auch nach den dort getroffenen eventuellen Anpassungen überholt zu sein. Das Statec versucht aktuell zu beziffern, was die Steuervorabentscheidungen, auch Rulings genannt, die nicht erst seit den Luxleaks-Enthüllungen durch das internationale Journalistenkonsortium ICIJ in der Kritik stehen, auf makroökonomischer Ebene für Luxemburg darstellen. Und vor allem: Was sie an Einnahmen für die Staatskasse generieren. Je nachdem, so Statec-Direktor Serge Allegrezza am Mittwoch, ob es „ein Batzen“ ist oder nicht, müsse das Statec dies spätestens bei der nächsten Aktualisierung des Stabilitätsprogramms im Frühjahr thematisieren, wenn Luxemburg neue Vorhersagen über die Entwicklung der öffentlichen Finanzen an die EU-Kommission nach Brüssel melden muss. Dass es „ein Batzen“ ist, hatte Finanzminister Pierre Gramegna gegenüber RTL angedeutet: „hunderte Millionen Euro“. Zum Vergleich: Die Mehrwertsteuereinnahmen aus dem elektronischen Handel liegen bei 700 Millionen Euro. Werden die „hunderte Millionen Euro“ Ruling-Gelder weiter in die Kasse kommen, wenn die Vorabentscheidungen künftig automatisch zwischen Staaten ausgetauscht würden, so wie das EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker plant? Gegen Ende dieses Jahres oder zu Beginn des neuen Jahres, so Pierre Gramegna gegenüber RTL, werde absehbar sein, was zu erwarten ist. Ob ein Rückgang der  Körperschaftsteuereinnahmen zu erwarten ist, wie schnell und in welcher Höhe, dürfte ihn noch längere Zeit beschäftigen.

Da sollte sich Pierre Gramegna noch ein bisschen mit den guten Nachrichten für das laufende Jahr trösten. Denn 2014 lief es, wie auch 2013 schon, „unerwartet“ prächtig. Der Blick auf die neuesten Statec-Zahlen – für den Finanzminister muss es sein, als hätte er beim Picco Bello gewonnen, auch wenn er am Dienstag dem Radiopublikum noch einmal einschärfte, die Lage sei ernst und es müsse gespart werden. Denn ging die Regierung in ihrer Haushaltsvorlage für 2015 für das laufende Jahr noch von einem Überschuss der öffentlichen Hand – also Staat, Gemeinden und Sozialversicherung – von 91,1 Millionen beziehungsweise 0,2 BIP-Prozent aus, rechnet das Statec mit einem Überschuss von 446 Millionen Euro oder 0,9 BIP-Prozent: ein Plus von 354,9 Millionen Euro. Das ist noch spektakulärer als die Verbesserung, die zwischen Frühjahr und Herbst für 2013 festgestellt wurde: Ging man im Stabilitätsprogramm im April noch von einem gesamtstaatlichen Überschuss von 63 Millionen Euro für 2013 aus (0,1 BIP-Prozent) war daraus im Oktober bei der Haushaltsvorlage ein Überschuss von 286 Millionen geworden. Die Differenz: 223,3 Millionen Euro.

Diese wundersame Geldvermehrung, versicherte Ferdy Adam vom Statec am Mittwoch, ist nicht das Ergebnis neuer Berechnungsmethoden oder auf andere technische Faktoren zurückzuführen, sondern beruhe auf den Erfahrungswerten des Statec im Hinblick auf die konjunkturelle Entwicklung 2014. Mit der Finanzgeneralinspektion (IGF), die die einzelnen Haushaltsposten im Blick hat, gebe es „keine qualititative Meinungsverschiedenheit“ im Bezug auf die Zahlen. Den Finanz- und Haushaltsausschuss hatte Finanzminister Pierre Gramegna am 24. Oktober, keine zehn Tage nach der Vorstellung der Haushaltsvorlage, davon in Kenntnis gesetzt, dass nach den ersten neun Monaten des Jahres absehbar sei, dass die Ausgaben weniger schnell als geplant stiegen, die Einnahmen dafür umso schneller. Und dass also beim Zen­tralstaat, statt einem Defizit von rund einer halben Milliarde, eines von 330 Millionen übrig bleibe. Das ist ein Bruchteil des Betrages von „einer bis eineinhalb Milliarden Defizit jedes Jahr beim Zentralstaat, wenn wir nichts unternehmen“, vor denen er am Dienstag bei RTL warnte. Ob der Finanzminister etwa an einer Dyskalkulie leidet, dass er sich derart in der Größenordnung vergriff? Dann wäre die Lage allerdings sehr ernst.

Michèle Sinner
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