Presserecht

Das Redaktionsgeheimnis

d'Lëtzebuerger Land vom 27.05.1999

Die Geschichte des Presserechts ist in der Bundesrepublik auch eine Geschichte der Auseinandersetzung zwischen Presse und Obrigkeitsstaat. Die Presse war schon immer Instrument zur - bei Bedarf anonymen - Verbreitung freiheitlicher (oder eben "umstürzlerischer") Ideen und galt deshalb als gefährlich. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts mußte in Deutschland mit Folter rechnen, wer Angaben über die Herkunft von Druckschriften in seinem Besitz verweigerte.

Längst hatte der autoritäre Staat auch vorgesorgt, um die Ungebühr von "Preßbengeln" zu ahnden: Die Presse muß seit 400 Jahren im Impressum einen "verantwortlichen Redakteur" mit vollem Namen und Anschrift angeben, der das Druckwerk von strafbarem Inhalt freizuhalten hat und für die Verbreitung strafbarer Inhalte auch bestraft wird. Noch heute droht das Presserecht dem "verantwortlichen Redakteur" mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr, wobei allerdings seit einiger Zeit Geldstrafen anstelle von kurzzeitigen Freiheitsstrafen verhängt werden. Früher aber gehörte es auch zum Beruf des "Verantwortlichen", eine Haftstrafe wegen Majestätsbeleidigung oder dergleichen "abzusitzen". Daher der alte Ehrentitel "Sitzredakteur".

Der Besitzer einer Druckschrift braucht heute nicht mehr mit der Tortur zu rechnen, der Sitzredakteur nicht mehr zu "sitzen". Ungebrochen übergegangen ist allerdings vom Obrigkeitsstaat auf den freiheitlich demokratischen Staat der Wunsch, in Redaktionen zu ermitteln: Die Einleitung eines Verfahrens gegen "Unbekannt", die Befragung von Journalisten unter Androhung von Zwangsmitteln und die Durchsuchung von Redaktionen sind geblieben.

Ein Beispiel: "In der Ermittlungssache ... wegen Beleidigung wird ... die Durchsuchung der Geschäftsräume ... der Zeitung ... angeordnet. Die Durchsuchung kann dadurch abgewendet werden, daß der Staatsanwaltschaft oder ihren Hilfsbeamten die zutreffenden Personalien des ... Verfassers bekannt gegeben werden." (Amtsgericht Berlin-Tiergarten, Beschluß vom 21. Oktober 1993) Ermittelt wurde wegen eines Artikels, in dem eine Richterin als "Skandalrichterin" bezeichnet worden war - eine Richterin am Amtsgericht Berlin-Tiergarten, ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

Auch dazu ein Blick in die Historie: Erstmalig gewährleistete die Strafprozeßordnung von 1926 (§ 53 StPO) ein Zeugnisverweigerungsrecht für Journalisten, verquickte es allerdings eng mit der Funktion des "Sitzredakteurs": Die Aussage "über die Person des Verfassers oder Einsenders einer Veröffentlichung strafbaren Inhalts" durfte nur verweigert werden, wenn "ein Redakteur der Druckschrift als Täter bestraft ist oder seiner Bestrafung kein rechtliches Hindernis entgegensteht". Der Preis der Zeugnisverweigerung war also die Bestrafung eines Kollegen. Schlimmer noch: War nichts Strafbares geschehen und konnte aus diesem banalen Grund auch kein Redakteur bestraft werden, bestand kein Zeugnisverweigerungsrecht. 1953 wurde diese Regelung revidiert - allerdings nur um Rundfunkredaktionen einzubeziehen, obwohl zuvor einige Bundesländer liberalere Regeln verabschiedet hatten. Das Bundesrecht blieb beim archaischen "Aug' um Aug', Zahn um Zahn". Bei dieser Regelung konnte es aber langfristig nicht bleiben. 1966 forderte das Bundesverfassungsgericht ein Redaktionsgeheimnis: "Der Staat ist ... verpflichtet, in seiner Rechtsordnung überall, wo der Geltungsbereich einer Norm die Presse berührt, dem Postulat ihrer Freiheit Rechnung zu tragen" (Spiegel-Urteil). So sieht seit 1975 die Strafprozeßordnung immerhin ein Redaktionsgeheimnis unabhängig davon vor, ob nun ein "Sitzredakteur" auch wirklich "sitzt" oder Geldstrafe zahlt.

 

Das Redaktionsgeheimnis wird auf den Informantenschutz verkürzt

 

Unzulänglich ist die Regelung trotzdem geblieben: "Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ... berechtigt ...  Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von periodischen Druckwerken oder Rundfunksendungen berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben, über die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmanns von Beiträgen und Unterlagen sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen und Mitteilung für den redaktionellen Teil handelt" (§ 53 StPO, geltende Fassung). Die komplizierte Formulierung steht für eine komplizierte und zugleich - absichtsvoll - lückenhafte Regelung.

Das Redaktionsgeheimnis schützt nur Rundfunksendungen und "periodische Druckwerke" (d.h. im Abstand von nicht mehr als sechs Monaten erscheinende Blätter). Journalisten, die an Buchprojekten oder Dokumentarfilmen arbeiten, bleiben schutzlos. Beiträge für den Anzeigenteil, auch politische Werbung von Verbänden oder Bürgerinitiativen, sind ebenfalls vom Redaktionsgeheimnis ausgenommen; gleichwohl umfaßt die in der Verfassung (Art. 5 des Grundgesetzes) garantierte Pressefreiheit auch den Anzeigenteil einer Zeitung oder Zeitschrift. Ein Zeugnisverweigerungsrecht steht zudem nur "berufsmäßig" tätigen Mitarbeitern der Medien zu. Nebenberufler, oft gute Quellen und Gewährsleute, bleiben schutzlos, ein Effekt, den auch die "berufsmäßigen" Kolleginnen und Kollegen wenig schätzen.

Vor allem aber erlaubt das Zeugnisverweigerungsrecht nur, auf Fragen nach "der Person" einer Verfasserin, eines Einsenders oder einer Gewährsfrau die Aussage zu verweigern. Sind weder Gewährsleute noch eingesandte Unterlagen oder Mitteilungen im Spiel, besteht nach dem Gesetzeswortlaut kein Zeugnisverweigerungsrecht. Seit Jahrzehnten urteilen die Gerichte, "selbstrecherchiertes Material" falle nicht unter das Redaktionsgeheimnis. Soweit die Medien sich auf eigene Recherchen stützen, wird ein Zeugnisverweigerungsrecht nicht anerkannt. Damit wird das Redaktionsgeheimnis der Medien auf einen Informantenschutz verkürzt, obwohl es eigentlich nicht nur Informanten schützen soll, sondern die Funktionsfähigkeit und Unabhängigkeit der Medien.

Die Unterscheidung zwischen "Informantenschutz" und "selbstrecherchiertem Material" ist allemal realitätsfremd. Im publizistischen Alltag ist es die Ausnahme, daß jemand unaufgefordert den großen Knüller in der Redaktion abliefert. Gewährsleute oder Unterlagen finden sich meist erst nach intensiven Recherchen. Dann aber ist eigentlich schon der Name des Informanten "selbstrecherchiert". Fatal ist die Praxis für Fotografen: Jedes Foto im Archiv ist "selbstrecherchiert" - durch den Sucher der Kamera - und deshalb vom Redaktionsgeheimnis ausgenommen.

Als Zeuge im Gerichtsverfahren auszusagen, ist Bürgerpflicht. Für andere Beweismittel (z.B. Dokumente, Tatwerkzeuge) gilt das gleiche Prinzip: Wer solche Gegenstände besitzt, muß sie herausgeben; andernfalls werden sie zuerst gesucht - Hausdurchsuchung - und danach weggenommen - Beschlagnahme. Ausgeschlossen ist das nur, wo ein Zeugnisverweigerungsrecht besteht. Eine Durchsuchung von Redaktionsräumen kann also angeordnet werden, etwa um "selbstrecherchiertes", also nicht unter das Zeugnisverweigerungsrecht fallendes Material zu finden. Das ist schon vom Ansatz her kein hinreichender Schutz, der obendrein vollständig wegfällt, "... wenn die zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten einer Teilnahme ... verdächtig sind oder wenn es sich um Gegenstände handelt, die durch eine Straftat hervorgebracht oder zur Begehung einer Straftat gebraucht oder bestimmt sind oder die aus einer Straftat herrühren" (§ 97 StPO). Der Verdacht, ein Journalist sei an einer Straftat beteiligt gewesen, oder die Behauptung, in der Redaktion liege das "Tatwerkzeug", rechtfertigt schon eine Redaktionsdurchschuchung.

Für findige Strafverfolger ist es kein Problem, solche Verdachtsmomente zu konstruieren. Zahllose Aktionen gegen die Presse in jüngerer Vergangenheit belegen das. Am spektakulärsten war wohl die als "Medien-Razzia" bekannt gewordene Aktion, bei der in Bremen fast alle Redaktionen von Rundfunk und Presse durchsucht wurden. Anlaß war die vorzeitige Bekanntgabe eines behördeninternen Berichts, Ziel der Ermittlungen war es, die "undichte Stelle" zu finden. Gesucht wurde nach einer Kopie des Berichts. Die Staatsanwaltschaft sah darin das "Tatwerkzeug". Eine abenteuerliche Konstruktion, weil das Redaktionsgeheimnis zumindest eingereichte "Unterlagen" schützen soll. Durchsucht wurde trotzdem.

 

Findige Strafverfolger wissen, die Nischen zu nutzen

 

Mit dem journalistischen Zeugnisverweigerungsrecht war das Bundesverfassungsgericht in jüngerer Zeit wiederholt befaßt, etwa wegen eines Beschlusses zur Durchsuchung des ZDF nach Filmmaterial (Beschluß vom 1. Oktober 1987 - 2 BvR 1434/86). Das Gericht übte deutliche Kritik am unklaren und lückenhaften Gesetz: "Die für die Grenzen der Beschlagnahmefreiheit maßgebliche Vorschrift des § 53 Abs. 1 Nr. 5 StPO enthält keine abschließende Regelung. ... Die Vorschrift gibt damit Raum für eine weitere Begrenzung des Aussagezwangs und der Beschlagnahme, die sich nach Abwägung der widerstreitenden Interessen in besonders gelagerten Fällen auch direkt aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ergeben kann". Auch dort, wo sich aus dem Wortlaut des Gesetzes gerade kein Zeugnisverweigerungsrecht herleiten läßt, kann ein solches direkt aus der verfassungsrechtlich verbürgten Medienfreiheit folgen.

Wenn also etwa wegen eines Bagatelldelikts wie Beleidigung Redaktionsräume durchsucht werden, ist das nicht bloß ein Zeichen mangelnder Sensibilität, sondern ein klarer Verstoß gegen die Verfassung. Das allerdings wird von vielen Gerichten, die Durchsuchungsbeschlüsses erlassen, ganz offenkundig ignoriert - z.B. vom Amtsgericht Berlin-Tiergarten (s.o.) oder vom Amtsgericht Hamburg, das gleichfalls (am 11. Februar 1988) in einem Ermittlungsverfahren wegen Beleidigung die Beschlagnahme von Pressefotos anordnete, übrigens auch vom Bundeskriminalamt, das zwecks Feststellung eines "Maulwurfs" zuerst die Redaktionsräume einer Zeitschrift durchsuchen ließ, und erst Monate später im eigenen Haus zu ermitteln anfing.

Der Bundestag ist seit Jahren übereinstimmend von Journalisten- und Verlegerverbänden wie von den Rundfunkanstalten aufgefordert, klare und vollständige Regelungen zum Redaktionsgeheimnis zu schaffen. Kurz vor der Bundestagswahl 1998 gab es zu einer solchen Reform auch eine breite Zustimmung; nur umgesetzt ist die Reform bis heute nicht.

Dabei ist die Lage für die Medien prekär: Sobald sich Ermittlungsbehörden Zugang zu Redaktionsräumen verschaffen und Unterlagen mitnehmen können, ist ein Redaktionsgeheimnis nicht mehr gewährleistet. Das Vertrauen in die Diskretion journalistischer Arbeit ist zerstört.

 

Wolfgang Schimmel
© 2024 d’Lëtzebuerger Land