„It turns out, that party will have to wait“, schrieb Boeing-Manager Randy Tinseth vergangenen Freitag in seinem Firmenblog, nachdem die für Anfang dieser Woche angesetzte Lieferung des ersten Boeing 747-8F (Frachter) an den Erstkunden Cargolux geplatzt war– und damit auch die geplanten drei Tage Feierlichkeiten. Freitag Nachmittag hatte der Verwaltungsrat der Luxemburger Frachtgesellschaft entschieden, die Lieferung wegen „ungelöster vertraglicher Angelegenheiten“ abzulehnen. Einstimmig war die Entscheidung, und es war das erste Mal, dass auch die Vertreter des neuen Teilhabers Qatar Airways im Verwaltungsrat präsent waren. Weil das Nachrichtenmagazin Spiegel am Wochenende meldete, der Wüstenstaat plane, einen Teil der Daimler-Anteile am EADS-Konzern zu kaufen, zu dem der europäische Flugzeugbauer Airbus gehört, witterten Verschwörungstheoretiker dies- und jenseits des Atlantiks Morgenluft. Qatar wolle über den Umweg von Cargolux und die abgelehnten Lieferungen Druck auf Boeing aus-üben, so die Theorie. Dass der Chef von Qatar Airways, Akbar Al Baker, der dem neuen Cargolux-Verwaltungsrat angehört, sauer auf Boeing ist, ist kein Geheimnis. Seine Fluggesellschaft gehört zu den Kunden, die auf den Dreamliner 787 warten, dessen Lieferung sich bereits um drei Jahre verzögert. Verschiedentlich wurde er in der Vergangenheit mit den Worten zitiert, Boeing werde von „Erbsenzählern und Anwälten“ geleitet.
Dabei kann Cargolux gar nicht anders, als auf Boeing-Flugzeuge zu setzen. Die Strategie der Airline sieht vor, eine homogene Flotte vom gleichen Flugzeugtyp zu betreiben. Weil sich am Motto der Firma „You name it, we fly it“ wenig geändert hat, kann sie nicht auf Airbus-Flugzeuge umsteigen – Airbus baut weiterhin kein Modell, dessen Nase sich zur Be- und Entladung aufklappen lässt –, die Voraussetzung dafür, dass auch große, sperrige Frachtgüter transportiert werden können. Deswegen halten sich Boeing wie Cargolux mit Aussagen zum ak-tuellen Konflikt zurück. „Es wird intensiv verhandelt“, heißt es aus der Firmenleitung, man hofft auf eine baldige Lösung.
Auch wenn nun viele gerne den neuen Referenzaktionär Qatar Airways als Schuldigen für die Auseinandersetzung sehen wollen – der Vorschlag, die Lieferung abzulehnen kam vom Management. Denn Cargolux hat, Qatar hin oder her, selbst Grund genug, um auf Boeing wütend zu sein. Auch im 747-8-Programm gibt es nunmehr zwei Jahre Verspätung. Der neue Flieger, eine gestreckte Version des Vorgängermodells 747-400, soll 16 Prozent mehr Fracht aufnehmen können. Durch den geringeren Kerosin-Verbrauch sollen die Kosten pro Meile und Tonne ebenfalls um 16 Prozent niedriger sein. Die neuen Motoren von General Electric, versprach Boeing bei der Vorstellung 2005, sollen zudem besonders geräuscharm sein.
Doch Boeing musste die Lieferung des neuen Super-Jumbos immer wieder aufschieben. Mal geriet das Programm durch Werkstreiks in Verzug, mal weil die Ingenieure abgezogen wurden, um beim Dreamliner-Programm auszuhelfen. Dass es immer wieder Rückschläge gab, konnte man auch während der Testphase beobachten. Sollten ursprünglich drei Flugzeuge das Testprogramm absolvieren, beeilte sich Boeing Anfang 2011, zwei weitere Maschinen in die Tests einzubeziehen, damit es endlich schneller gehe. Allerlei Probleme waren aufgetaucht: Das Flugzeug vibrierte zu stark, dann gab es noch Schwierigkeiten mit den Klappen. Letzendlich auch mit den GE-Motoren.
So hapert es beispielsweise an der von den Zulassungsstellen vorgesehenen Warnsystemen im Fall von groben Treibstoffverunreinigungen. Kein direktes Sicherheitsproblem; deswegen – und weil das Testprogramm schon so weit fortgeschritten war – haben die Federal Aviation [-]Administration (FAA) wie auch die European Aviation Safety Agency (EASA) einer zeitlich begrenzten Ausnahmeregelung stattgegeben – bis 2016 spätestens müssen die aktuellen Motoren durch solche ersetzt werden, die den amtlich vorgesehenen Normen entsprechen. Hinzu kommt, dass auch nach dem Abschalten der Motoren sichtbar Kerosin-Dunst austritt. Weshalb FAA und EASA ein Auswechseln der Motoren bis spätestens Ende 2014 verlangen.
Ohnehin war das Timing knapp. Das Amended Type Certificate (ATC) und das Amended Production Certificate (APC) der Zulassungsbehörden, durch die erstens die Konstruktionsmuster bestätigt werden, wie auch die Fähigkeit des Konstrukteurs, besagte Pläne beim Bau jeder neuen Maschine ausführen zu können, wurden erst am 19. August ausgestellt. Die Bestätigung, dass andere Flugzeuge wegen der verursachten Luftwirbel nicht zusätzlich Abstand halten von der 747-8 müssen und deswegen an Flughäfen keine längere Wartezeiten bei Ab- und Anflug entstehen als beim Vorgängermodell, erfolgte am 13. September. Da man bei Cargolux zweifelte, ob Boeing die Liefertermine überhaupt einhalten könne, plante man vor Wochen vorsichtshalber mit den Belegschaft für den Fall, dass für die Hochsaison in der Vorweihnachtszeit anderwärtig Kapazitäten angemietet werden müssten. Pläne, die man, wenn es nicht bald eine Lösung gibt, wohl aus der Schublade [-]holen wird.
Vor allem aber dürfte die Kunden ärgern, dass die Motoren offenbar nicht die vertraglich festgelegte Leistung bringen, beziehungsweise mehr Sprit brauchen als versprochen – eines der Hauptverkaufsargumente von Boeing in Zeiten von hohen Rohstoffpreisen und Emis-sionshandel. Auch dieses Problem ist nicht neu. Im Februar 2011 berichteten Fachblätter über das Tauziehen zwischen Boeing und GE; damals war Letztere gerade dabei, das dritte Performance Improvement Package (PIP) auszuarbeiten, durch das der Verbrauch der 747-8-Motoren gesenkt werden sollte.
Dass Cargolux nicht die einzige Airline ist, die sich mit dieser Sachlage nicht abfinden will, zeigte sich am Donnerstag. Atlas Air stornierte wegen langer Verzögerungen und Leistungserwägungen drei Maschinen, will statt zwölf nur noch neun Maschinen kaufen. Boeing-Sprecher Jim Proulx kam nicht umhin, gegenüber Bloomberg einzuräumen, dass die ersten 747-8-Modelle die vereinbarten Leistungswerte nicht erreichen – das Flugzeug ist wegen Änderungen an den Flügeln schwerer als ursprünglich geplant.
So dürfte es im aktuellen Streit zwischen Cargolux und dem Hersteller vor allem darum gehen, wer wem welche Entschädigungen zahlen muss; eine Situation, die dadurch erschwert werden dürfte, dass sich nicht nur Konstrukteur und Kunde gegenüberstehen, sondern Konstrukteur, Kunde und die Drittpartei Motorenlieferant, deren Interessen sich alle widersprechen.
Dass dabei für alle Parteien viel auf dem Spiel steht, versteht sich beim Blick auf die Preisliste von selbst: 319,3 Millionen Dollar beträgt der Listenpreis für einen 747-8-Frachter. Als Erstkunde zahlt Cargolux zwar nicht den vollen Preis und aufgrund der Verspätungen wurde schon in der Vergangenheit über finanzielle Entschädigungen verhandelt. So deckt die vom US-amerikanischen staatlichen Exportförderer Exim Bank ausgestellte Garantie für sechs Maschinen und die dazugehörigen Motoren einen Betrag von knapp unter einer Milliarde Dollar. Doch wenn die Motoren über den gesamten Zeitraum der Nutzung mehr Sprit verbrauchen als versprochen, hat das natürlich langfristige Konsequenzen auf die Rentabilitätsrechnung. Boeing selbst sollen die Verspätungen bislang um die zwei Mil-liarden Dollar gekostet haben.
Auch in punkto Finanzierung ziehen die Verspätungen für Cargolux weitere finanzielle Folgen nach sich. Für die ersten sechs Maschinen konnte die Firma, wie bekannt, Exportkreditgarantien von der Exim-Bank sichern. Doch nach jahrelangem Gerangel um unlauteren Wettbewerb zwischen den Flugzeugbauern wurden kürzlich bei der OECD in Paris die Spielregeln geändert. Die Prämien, die Cargolux für kommende Exim-Garantien zahlen muss, werden dadurch 2,5 Mal so teuer wie bislang, sagt Finanzchef David Arendt. Sehr wahrscheinlich also, dass die Finanzierung der verbleibenden sieben Maschinen teurer wird.
Dabei war es ohnehin nicht ganz einfach, die Finanzierung der sechs ersten von insgesamt 13 neuen Flugzeugen, die Cargolux erhalten soll, auf die Beine zu stellen. Die beiden ersten werden von der US-Bank JP Morgan finanziert, wobei einige Luxemburger Banken helfen, den Eigenkapitalanteil, den die Exim-Bank fordert, zu stellen. Die Flugzeuge werden über zwölf Jahre abgeschrieben und auf den Büchern der Cargolux bleiben. Die dritte 747-8 kauft Cargolux im Rahmen eines neuen Joint-Venture mit [-]verschiedenen Banken, dem die Maschine dann gehört. Maschine Nummer vier wird von der Private Export Funding Corporation (Pefco) finanziert, einem Fonds mehrerer US-Banken, der sich ausschließlich an Exim-garantierten Projekten beteiligt. Zur Finanzierung der fünften Maschine wird ein weiteres Joint-Venture gegründet, und die Mittel für die sechste wahrscheinlich über eine Operation an den Kapitalmärkten gesammelt, wie Arendt erklärt.
Die Kreativität und Ideenvielfalt, mit der Cargolux vorgeht, ist ein Hinweis darauf, dass sich niemand wirklich um die Finanzierung reißt. Allgemein würden die Banken eher Passagier- als Frachtmaschinen finanzieren, sagt Arendt. Der Markt für Passagiermaschinen sei größer und das Risiko der Finanziers, auf den Maschinen sitzen zu bleiben, geringer, weil es mehr Abnehmer gebe. Als neues, unerprobtes Produkt stelle die 747-8 in den Augen potenzieller Kreditgeber ein größeres Risiko dar als andere Maschinen, die sich bereits im Dienst bewährt haben, fügt er hinzu.
Die Finanzierung der weiteren bestellten Maschinen aufzustellen, ist eine Herausforderung, die David Arendt seinem Nachfolger überlässt (siehe Seite 11). Er verlässt die Cargolux noch vor Jahresende und wird fortan als CEO der Betreibergesellschaft Natural Le Coultre den Aufbau des Freihafens am Flughafen Findel vorantreiben. Mit der Auseinandersetzung mit Boeing oder dem Einstieg von Qatar Airways habe das nichts zu tun, unterstreicht er.