Cargolux

Achtung, Baustelle!

d'Lëtzebuerger Land vom 31.03.2011

Endlich. Zum ersten Mal in vier Jahren konnte die Frachtfluggesellschaft Cargolux ein positives Jahresergebnis vorlegen. Ein Nettoergebnis von 59,8 Millionen Dollar stellte der Vorstand, der am Mittwoch erstmals unter Führung von CEO Frank Reimen antrat, für 2010 vor. Im Krisenjahr 2009 hatte der Verlust 153 Millionen Dollar betragen; das Ergebnis konnte innerhalb eines Geschäftsjahres um 213 Millionen Dollar verbessert werden. Der Umsatz stieg von 1,3 Milliarden Dollar im Jahr 2009 auf 1,74 Milliarden Dollar 2010. Der Vorsitzende des Verwaltungsrat, Marc Hoffmann, freute sich, es werde wohl die letzte Bilanzvorstellung sein, bei der man noch auf die Kartellverfahren eingehen müsse, welche die Ergebnisse 2007 und 2008 belasteten.

Dürften die schlimmsten Jahre damit hinter Cargolux liegen, bleiben dennoch wichtige Fragen unbeantwortet. Der neue CEO hat einen internen, ergebnisoffenen Revisionsprozess in Gang gesetzt. „Ich habe einen Prozess eingeleitet, um unsere Strategie und unser Geschäftsmodell prüfen zu lassen“, so Reimen im Gespräch mit dem Land. „Dazu gehört, dass man sich Fragen über Streckennetz und Flottenplanung stellt.“ Und dann stehen eventuell bis zu 49 Prozent der Firmenanteile zum Verkauf, die halbe Firma also.

Das gute Ergebnis 2010 geht indes noch auf das Konto von Ulrich Ogiermann, der vergangenen November seine CEO-Aufgaben abgab, nachdem die US-Behörden im Oktober wegen Verstößen gegen das Kartellrecht Anklage gegen ihn erhoben, wie auch gegen Cargolux-Verkaufschef Robert van de Weg, der nach wie vor seine Aufgaben wahrnimmt. Dabei konnte die Firma 2010 davon profitieren, dass die Konkurrenten, die im Vorjahr die Kapazitäten reduziert und Flugzeuge eingemottet hatten, diese nicht so schnell wieder in Betrieb nehmen konnten wie die Cargolux, die ihre Maschinen gar nicht erst in der Wüste geparkt hatte. Das Angebot an Luftfrachtkapazität hinkte fast das gesamte Jahr der Nachfrage hinterher, was zu einer Erholung der Preise führte, die nur noch 2,5 Prozent unter dem Vorkrisenniveau lagen. Diese Angebotsknappheit hätte die Gesellschaft besser ausnutzen können, hätte sie bereits über ihr neues Fluggerät, die Boeing 747-8, verfügt. Stattdessen musste sie für teures Geld fünf Maschinen von außen hinzuleasen.

Die ersten beiden der neuen Superjumbos 747-8 sollen voraussichtlich Mitte dieses Jahres mit rund zwei Jahren Verspätung ausgeliefert werden. Dann auch will Frank Reimen, der ehemalige Regierungsrat im Nachhaltigkeitsministerium, dem Verwaltungsrat die Ergebnisse des internen Revisionsprozesses vorlegen, den er nach seinem Amtsantritt zum Jahresbeginn angeleiert hat (d’ Land 44/45 2010). Die 13 Festbestellungen für 747-8, die beim Konstrukteur Boeing ausstehen, stellt auch Reimen nicht in Frage. Doch wie die Firma die zwei Kaufoptionen und die zehn Kaufrechte nutzen will, die Cargolux als Erstkunde für den neuen Flugzeugtyp erwarb, dessen Ladegewicht mit 140 Tonnen 15 Prozent höher ist als das der 747-400, lässt er offen. Die Flotte solle auch künftig 15 bis 16 Flugzeuge umfassen. „Doch auf verschiedenen, eventuell neuen Strecken, die wir derzeit noch nicht fliegen, ergäben Maschinen mit geringerer Ladekapazität Sinn“, so Reimen. „Das könnte so aussehen, dass man neben den 13 747-8 einige 747-400 behält, wie wir sie momentan haben“, sagt er. „Es könnten aber auch Airbus oder Boeing 777 sein, die beispielsweise ein Ladegewicht von 100 Tonnen haben.“ „Ich will, dass alle Optionen, die in Frage kommen, geprüft werden“, unterstreicht Reimen.

Dass dieses Vorgehen nicht allen Cargolux-Mitarbeitern und Entscheidungsträgern gefällt, davon ist auszugehen. „You name it, we fly it“ lautete bislang das Motto der Spezialisten für übergroße Frachtstücke. Dieses Versprechen ließ sich mit der Flotte von 747-400, die sich durch die Nasenklappe beladen lässt, einlösen. Einen Umstieg auf Airbus oder eine gemischte Flotte hatte das Firmenmanagement in der Vergangenheit immer ausgeschlossen. „Zu hohe Komplexitätskosten, keine Naseenklappe“ hatte Ex-CEO Ogiermann allen erklärt, die wissen wollten, warum Cargolux seine Flotte nicht auf den A-380, der damals noch als Paradestück europäischer Ingenieurskunst galt, umstellen wollte.

Natürlich stelle sich die Frage der Ausbildung von Piloten und Mechanikern, wie auch die der Ersatzteile, relativiert Reimen. Das seien entscheidende Elemente der Analyse, gibt er, auf die Komplexitätskostenproblematik angesprochen, zu Protokoll.

Wer kleinere Flugzeuge und kleine Frachtstücke erwägt, denkt demnach auch über den Einstieg in einen anderen Frachtmarkt nach, aus dem sich Cargolux bisher rausgehalten hat: Post- und Expressdienste. Zwar wächst auch in diesem Segment der Umsatz in Asien. Doch der Markt ist hart umgekämpft und von ausgewiesenen Spezialisten besetzt. UPS, Fedex und DHL warten nicht auf die Cargolux, um die Kapazitäten nach Asien zu erhöhen, und verfügen auch am Boden über eigene, ausgedehnte Verteilungsnetze. Außerdem hat die Cargolux mit ihrem Geschäftsmodell außer im Krisenjahr 2009 immer positive operative Resultate erzielt. Diese wurden zwar von den Rückstellungen für Kartellstrafen überschattet, die das Unternehmen in den vergangenen Jahren anlegen musste. Doch ohne Rückstellungen hätte Cargolux 2007 anstatt eines Verlusts von 47 Millionen Dollar, einen Gewinn von 108 Millionen Dollar erzielt, und auch 2008 noch, anstatt eines Verlusts von 61 Millionen Dollar, einen Gewinn von 16,7 Millionen Dollar ausgewiesen.

Wie sich die Firma für die kommenden Jahre positionieren wird, dabei wird letztendlich wohl auch der strategische Partner mitreden wollen, den Marc Hoffmann sucht, seit die historischen Anteilseigner und der Luxemburger Staat Ende 2009 einsprangen, um die 35 Prozent der Anteile aus der Konkursmasse der SAir aufzukaufen und das Kapital aufzu-stocken. Weil die Übernahme der SAir-Anteile von vornherein als Übergangslösung gedacht war, und zudem der Investmentfonds BIP Investment Partners seine 11,5 Prozent Cargolux-Anteile abgeben will, steht sozusagen die halbe Firma zum Verkauf. Je nachdem, wer neben dem Staat, der seine direkte Beteiligung von acht Prozent aufgeben will, und der Luxair, die ihren Anteil auf jeden Fall wieder unter die 50 Prozent-Marke bringen will, noch wie viel verkauft.

Dabei muss die Firma mindestens zur Hälfte in Luxemburger Hand bleiben, wie Hoffmann erklärte, um weiterhin von den internationalen Verkehrsrechten – Start-, Lande- und Kabotagerechte – zu profitieren, die der Luxemburger Staat verhandelt hat. Den Einstieg eines Finanzinvestors, also eines Private-Equity-Fonds, auch Heuschrecke genannt, die von Anfang nur darauf aus ist, die Beteiligung wieder mit Gewinn zu verkaufen, schloss Hoffmann ausdrücklich aus. Dass der gesuchte industrielle Partner also über eigenes Fluggerät, ob groß oder klein, und ein bestehendes Streckennetz verfügt, ist wahrscheinlich. Entscheidend für die Zukunft der Cargolux wird also sein, welche Synergien mit dem industriellen Partner geschlossen werden können. Einen Zeitplan für den Verkauf der Anteile gibt es den Cargolux-Verantwortlichen zufolge indes nicht.

Weil über die Partnersuche nichts bekannt ist, außer dass Hoffmann Gespräche mit zwei Interessenten führt, ist die Frage nach dem eventuellen Verkaufspreis derzeit noch müßig. Doch seit Ende 2009 konnte das Stammkapital von 469,5 auf 504,9 Millionen Dollar gesteigert werden – und die Gesamtverschuldung von 568,1 auf 289,7 Millionen Dollar gesenkt werden. Der Schuldenstand wird allerdings 2011, wenn Boeing endlich die neuen Flugzeuge liefert – voraussichtlich drei bis Jahresende –, wieder in die Höhe schnellen. Zumal Cargolux, wie Reimen erklärt, versuchen wird, so viele Flugzeuge wie möglich vor Ende 2013 entgegenzunehmen. Bis dann gilt die Übergangsregelung für Kreditexportgarantien auf bestehenden Verträgen für zivile Luftfahrzeuge, die durch ein Anfang dieses Jahres in Kraft getretenen OECD-Abkommen teurer werden.

Im gleichen Rhythmus, wie die 747-8 ankommen, sollen die 747-400 abgebaut werden. 2009 besaß Cargolux sechs 747-400, 2011 sind es noch zehn: Vier wurden an den Paketdienstanbieter UPS verkauft, zwei an die aserbaidschanische Silk Ways. Die Leasingverträge auf weiteren drei Maschinen laufen bis Ende 2013 aus, so dass weitere sieben Maschinen veräußert werden müssten. Weil die 747-8 mit 140 Tonnen Ladegewicht größer sind als die 747-400 mit ihren 128 Tonnen Ladegewicht, steigt die Kapazität der Flotte auch bei gleichbleibender Flottengröße.

Nach wie vor ist Robert van de Weg, Senior Vice President, Sales, Marketing and Ground Services, dafür zuständig, diese Kapazitäten zu verkaufen, für gut geladene Flugzeuge zu sorgen. Van de Weg kommt damit eine Schlüsselrolle im Unternehmen zu. Eine Rolle, der er, wie auch externe Beobachter meinen, bislang immer gerecht wurde. Doch am 11. April muss er laut Gerichtsschreiber in Miami gemeinsam mit Ulrich Ogiermann für das Hauptverfahren wegen Kartellrechtsverletzungen vor das Geschworenengericht in Florida treten. Am 4. Januar waren die beiden vor dem Haftrichter erschienen und gegen eine Kaution von jeweils 300 000 Dollar wieder auf freien Fuß gesetzt worden. Wie lange sich das Verfahren hinziehen wird, ist ungewiss. Van de Weg wollte sich am Mittwoch nicht zum Verfahren oder der daraus resultierenden Doppelbelastung äußern. Das sei in gewissem Sinne auch eine Privatangelegenheit, meinte an seiner Stelle Marc Hoffmann.

Das kann man trotz Unschuldsvermutungs prinzip wohl kaum gelten lassen – 200 Millionen Dollar Bußgelder wird die Firma in den kommenden Jahren noch abstottern müssen. Zwar sei diese Summe durch die Rückstellungen gedeckt, erklärt Finanzchef David Arendt. Sollte das von den europäischen Wettbewerbsbehörden erteilte Bußgeld durch ein erfolgreiches Einspruchsverfahren reduziert werden, könnten es weniger werden. Gewiss ist das aber nicht und Entschädigungen für amerikanische Zivilparteien, die sich nicht der außergerichtlich getroffenen Vereinbarung über 35,1 Millionen Dollar Entschädigungsgelder beteiligen wollen, sind nicht durch Rückstellungen gedeckt. Verhandlungen mit ersten Parteien, die eine Sondervereinbarung erzielen wollten, liefen bereits, sagt Arendt. Berücksichtigt man dazu auch noch die Anwaltskosten, die seit Beginn der Kartellverfahren angefallen sind, dürfte sich die Rechnung am Ende auf über 310 Millionen US-Dollar belaufen.

Michèle Sinner
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