Nach dem Zweiten Weltkrieg herrschte großer Wohnungsmangel. Viele Häuser waren zerstört, die Baubranche war zum Erliegen gekommen. Deshalb verabschiedete die Regierung der Union nationale 1946 ein Gesetz, das den Gemeinden die Pflicht auferlegte, dafür zu sorgen, dass jeder Einwohner ein Dach über dem Kopf hat. Das Gesetz räumte den Gemeinden weitreichende Befugnisse ein: Sie konnten Wohnungen beschlagnahmen, die leer standen oder von Kollaborateuren besetzt waren. Die Mieten wurden von einem vom Staat ernannten Office local de Logement festgelegt. Eigentümer, die Zimmer leer stehen ließen, wurden mit einer Gebühr bestraft. Der Wohnungsmarkt wurde von der öffentlichen Hand geregelt.
1950 wurde das Gesetz angepasst. Um den Bau neuer Wohnungen zu fördern, begrenzte die Regierung die staatliche Preisregulierung fortan auf Immobilien, die vor Kriegsende gebaut worden waren. Für neue Wohnungen galt sie nicht. Das führte zwar dazu, dass neuer Wohnraum entstand, doch der Markt geriet außer Kontrolle. Der Preisunterschied zwischen regulierten älteren und nicht-regulierten neuen Wohnungen wurde immer größer. Um dieser „Spéculation intolérable“ (CSV-Innenminister Pierre Frieden) entgegenzuwirken, verabschiedete die Kammer 1955 ein neues Mietgesetz, das es den Eigentümern zwar weiterhin erlaubte, die Mietpreise für neuere (nach Oktober 1944 gebaute) Wohnungen selbst festzulegen, allerdings innerhalb eines begrenzten gesetzlichen Rahmens. Die Jahresmiete durfte nicht höher sein als fünf Prozent des Gesamtkapitals, das der Besitzer in den Kauf und/oder den Bau und den Unterhalt der Immobilie investiert hatte. Fünf Prozent entsprachen in etwa dem damaligen langfristigen Durchschnittszinswert für Geldanlagen.
Diese Regulierung sollte aber nur vorübergehend in Kraft bleiben, bis ein Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage hergestellt sei. Spätestens dann werde „le libre jeu du marché“ gerechte Preise etablieren, war sich Pierre Frieden sicher. Andere teilten seinen Optimismus nicht. Der Sozialist Jean Fohrmann forderte schon damals „Normen“, damit die Miete einen gewissen Prozentsatz des Bruttoeinkommens nicht überschreiten könne.
Die Fünf-Prozent Regelung, die eigentlich nur ein Provisorium sein sollte, ist bis heute gültig. Wegen hoher Zinsen und Renditen war es in den 1980-er und 1990-er Jahren für Anleger/innen weitaus attraktiver, ihr Geld auf dem Sparkonto anzulegen oder in Wertpapiere zu investieren. Um neue Anreize für Investitionen dans la pierre zu schaffen, nahm die Regierung 1987 eine weitere Anpassung des Mietgesetzes vor. Es wurde präzisiert, dass auch der Wert des Grundstücks in den Kapitaleinsatz einfließt. Anhand von Koeffizienten, die von der Steuerverwaltung veröffentlicht werden, wurde der Wert der Immobilien regelmäßig angehoben. Das Gesetz erlaubte es Eigentümer/innen, die Mieten nun alle drei Jahre zu erhöhen. Gleichzeitig wurde für ältere Wohnungen eine Abschlagsregelung eingeführt, nach der sie an Wert verloren, wenn der Besitzer nicht in sie investiert.
Als im Jahr 2000 die Finanzmärkte einbrachen und die Zinsen stark sanken, wurden Investitionen in Immobilien wieder interessant. 2006 wurde das Mietgesetz erneut reformiert. Die Mietpreise durften nun alle zwei Jahre erhöht werden. Die Kammer beriet darüber, ob die garantierte Rendite von fünf Prozent angehoben werden sollte, der Staatsrat sprach sich in seinem Gutachten gar dafür aus, das „régime de fixation légale des loyers“ abzuschaffen und durch einen „régime de fixation libre“ zu ersetzen. Dadurch würden die Mietpreise zwar ungezügelt in die Höhe schießen, doch dieser Anstieg sei nur vorübergehend, denn spätestens wenn die Eigentümer merkten, dass die Mieter/innen die Preise nicht mehr zahlen könnten und ihre Wohnungen leer blieben, müssten sie die Preise wieder senken, argumentierte der Staatsrat in seinem Gutachten von 2005. Im Sinne des Mieterschutzes entschied die CSV-LSAP-Mehrheit, es vorerst bei den fünf Prozent zu belassen.
Nur wenige Jahre nachdem das Gesetz in Kraft getreten war, setzte die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise ein. Die Zinsen sanken und sinken weiter. Immobilien entwickelten sich mehr denn je zu einer sicheren Anlage, die hohe Renditen verspricht. Die vom Gesetz vorgesehene Fünf-Prozent-Regel wird kaum noch eingehalten (wenn sie es denn je wurde), die Preise sind insbesondere in den vergangenen drei Jahren förmlich explodiert.
Seit 2010 haben sich die Mieten in Luxemburg mehr als verdoppelt. Laut Obsevatoire de l’habitat lag der durchschnittliche Loyer annoncé 2009 bei 15 Euro pro Quadratmeter. 2020 waren es 32 Euro. Die höchste Mietpreissteigerung ist mit 140 Prozent in Esch/Alzette zu beobachten (gegenüber „nur“ 115 Prozent in der Stadt Luxemburg), alleine im vergangenen Jahr wurde dort ein Zuwachs von 35 Prozent verzeichnet. In Luxemburg wohnen 30 Prozent der Haushalte zur Miete, fast die Hälfte davon gehört zur ärmsten Einkommensschicht.
Theoretisch haben Mieter/innen die Möglichkeit, die Einhaltung der Fünf-Prozent-Regel einzuklagen. Schon das Gesetz von 1955 sah vor, dass Gemeinden kommunale Mietkommissionen einsetzen sollten, um in Streitfällen zu schlichten. Wenn die Schlichtung scheitert, kann vor dem Friedensgericht geklagt werden. Obwohl die Wichtigkeit der Mietkommissionen 1987 und 2006 bekräftigt wurde, verfügen viele Gemeinden bis heute nicht über eine solche Instanz. Und dort, wo es sie gibt, werden sie nur selten befasst. Das liegt einerseits daran, dass bis vor einigen Jahren die Fünf-Prozent-Regel kaum bekannt war, andererseits ist das Gesetz von 2006 so gestrickt, dass Eigentümer die Mietbegrenzung leicht umgehen können.
Ein rezenter Prozess hat das verdeutlicht. Ein Mieter hatte vor zwei Jahren Beschwerde bei der Mietkommission der Stadt Luxemburg eingelegt, weil seine Miete ihm zu hoch erschien. Da der Vermieter die zur Berechnung des investierten Kapitals benötigten Dokumente aber nicht vorlegte und es dem Mieter nicht gelang, sie aufzutreiben, wies die Mietkommission die Beschwerde zurück. Der Mieter zog daraufhin vor das Friedensgericht. Da die Dokumente über das investierte Kapital aber offenbar immer noch nicht aufzufinden waren, wurde ein Bauexperte damit beauftragt, den Kapitaleinsatz anders zu ermitteln. Er schätzte den gesetzlich regulierten Mietbetrag für die um 1958 erbaute Wohnung auf 286 Euro. Er ermittelte aber auch den Marktwert und leitete daraus eine „realistische“ Miete von 1 800 Euro ab. Daraufhin beschloss der Richter – aufgrund eines (zweideutigen) Paragrafen im Gesetz von 2006 –, dass statt des investierten Kapitals der Marktwert zur Berechnung der Miete herangezogen werden müsse. Damit hatte er einen juristisch legitimen Weg gefunden, den Begriff des investierten Kapitals für nichtig zu erklären.
Kurz nachdem der Richter sein erstes Urteil in diesem Prozess gesprochen hatte (im Dezember 2020 wurde es in zweiter Instanz bestätigt), stellte der grüne Wohnungsbauminister Henri Kox die im Koalitionsvertrag angekündigte Reform des Mietgesetzes von 2006 vor. Die Regierung reagierte damit auf einen Gesetzvorschlag von déi Lénk, der für Höchstmieten eine neue Berechnungsgrundlage vorsah, die neben dem investierten Kapital noch die Entwicklung der Lebenshaltungskosten und einen vom Statec zu berechnenden regionalen Immobilienpreis-Koeffizienten berücksichtigt. So sollte es gelingen, die Mietsteigerungen in den Griff zu bekommen. In seinem Gesetzentwurf ging Kox nicht auf den Vorschlag der Linken ein, sondern übernahm quasi unverändert die Berechnungsgrundlage, die seit 1955 in Kraft ist. Neu ist lediglich, dass der Vermieter dazu verpflichtet werden soll, den Betrag des investierten Kapitals in den Mietvertrag einzuschreiben. Eine Kontrollinstanz, die die Einhaltung dieser Verpflichtung überwacht, ist nicht vorgesehen.
Den umstrittenen Paragrafen aus dem Gesetz von 2006, der vorsieht, dass der Marktwert herangezogen werden kann, falls das investierte Kapital nicht berechnet werden kann, hat Kox in dem Entwurf streichen lassen. Stattdessen hat er eine neue Regelung eingeführt, derzufolge das investierte Kapital nicht mehr nur wie bisher bei Veräußerungen von Immobilien, sondern auch bei Vererbungen und Schenkungen automatisch angepasst würde. Während bei einer Veräußerung das investierte Kapital an den Verkaufspreis angeglichen wird, ist noch unklar, wie das bei Vererbungen vonstatten gehen soll. Laut Entwurf wäre der Wert in der Erbschaftserklärung ausschlaggebend, sodass auch eine Vererbung eine beträchtliche Erhöhung des investierten Kapitals mit sich bringen würde, ohne dass der Erbende (oder der Beschenkte) dafür etwas tun müsste. Da bei Erbschaften in direkter Linie der Wert der geerbten Immobilien aber nicht in der Erklärung aufgeführt ist (weil sie steuerfrei sind), könnte das Prinzip in diesem Fall nicht angewandt werden, merkt der Staatsrat an.
Selbst wenn es an der rechtlichen Umsetzung noch hakt, die Absicht dahinter ist erkennbar: Die Fünf-Prozent-Regelung, die wegen der extrem hohen Grundstückspreise eh nur bei älteren Wohnungen greift, würde durch Vererbung und Schenkung problemlos umgangen werden können und dem von Kox angekündigten „Paradigmenwechel“ sowie allen im Gesetzentwurf geäußerten Bekundungen hinsichtlich der Wichtigkeit von Mieterschutz widersprechen. Sollte der Entwurf, wie er jetzt vorliegt, angenommen werden, wird sich nichts an der Situation ändern, die seit Jahren in Luxemburg Realität ist: Der Markt diktiert die Preise und er verdrängt inzwischen nicht mehr nur die ärmeren Schichten in die strukturschwächeren Regionen jenseits der Grenze.
Die Regierung hat ihren Gesetzentwurf am 31. Juli 2020 in der Kammer deponiert. Seitdem hat sich der Wohnungsbauausschuss des Parlaments nicht mehr mit dem Text beschäftigt. Alle betroffenen Institutionen haben ihre Stellungnahmen abgegeben, die des Staatsrats kam im Mai. Ein/e Berichterstatter/in wurde noch nicht genannt. Die Priorität liege zurzeit auf dem Gesetzesentwurf, der die individuellen Wohnungshilfen und die Aides à la pierre reformiert, heißt es aus dem Ministerium. Im Januar soll er in der Kammer hinterlegt werden. Erst danach werde man sich wieder dem Mietgesetz widmen, das noch einmal überarbeitet werden soll. Dabei soll auch untersucht werden, ob die Mietpreisbegrenzung noch den aktuellen Gegebenheiten entspricht. Was das genau heißen soll, ist unklar.
Während die Handelskammer kaum etwas an dem Entwurf auszusetzen hatte, präsentierte die Salariatskammer in ihrem äußerst kritischen 44-seitigen Gutachten ein Modell zur Mietbegrenzung, das sich an der Kaufkraft orientiert und sowohl die vom Vermieter geleisteten Investitionen (z.B. energetische Sanierung) als auch die Zinssätze für Hypothekendarlehen berücksichtigt. Das Modell könne es erlauben, die Mieten in Zukunft (halbwegs) erschwinglich zu halten.
Ob die Regierung das überhaupt will, ist jedoch fraglich. Auf seiner Internetseite hat das Wohnungsbauministerium eine Excel-Tabelle bereitgestellt, mit der die Bürger/innen die Miete einer Unterkunft gemäß der Fünf-Prozent-Regel berechnen können. Gleich daneben finden sie einen Mietpreissimulator, den das Observatoire de l’habitat in Zusammenarbeit mit seinem Partner Immotop ausgearbeitet hat. Für eine vor zehn Jahren gekaufte 100 Quadratmeter große Altbauwohnung mit Garage und Balkon in Esch/Alzette gibt die Excel-Tabelle eine – gesetzlich erlaubte – Höchstmiete von 1 600 Euro an. Der Marktwert-Simulator empfiehlt für die gleiche Wohnung eine Miete von 2 200 Euro.