Anderthalb Jahre, nachdem Premier Jean-Claude Juncker im April 2010 die Tripartite-Verhandlungen für beendet erklärt hatte, weil die Gewerkschaften nicht zu strukturellen Änderungen am Indexsystem, dem von ihm und der CSV [-]befürworteten „ökologischen“ oder „gedeckelten Index“, bereit waren, soll die Tripartite am nächsten Donnerstag erstmals wieder zusammenkommen. Auf den Tag genau ein Jahr nach dem „Bipartite“-Abkommen zwischen Regierung und Gewerkschaften über eine mit einer Verringerung des geplanten Sparpakets erkauften Indexmanipula[-]tion. Zwei Tage später soll dann eine Indextranche ausgezahlt werden, unmittelbar vor den Gemeindewahlen eine Woche später.
Der Direktor des Unternehmerdachverbands UEL, Pierre Bley, meinte Anfang der Woche, dass keine detaillierte Tagesordnung der Tripartite-Sitzung eingegangen sei. Bley geht aber davon aus, dass ein Meinungsaustausch über die „traditionellen Themen“, wie Arbeitslosigkeit, internationale Wettbewerbsfähigkeit der Produktionskosten und öffentliche Finanzen, stattfinden soll. Die Unternehmer scheinen jedenfalls ihren Boykott sozialpartnerschaftlicher Institutionen, wie der Tripartite, des Wirtschafts- und Sozialrats oder der Krankenkassenleitung, diskret aufgegeben zu haben und werden am Donnerstag pünktlich zur Stelle sein.
Schließlich hatte die Regierung vor einem Jahr bei den Einzelabkommen mit den Unternehmern und den Gewerkschaften den Unternehmern größere Zugeständnisse gemacht. Pierre Bley bescheinigt der Regierung auch, sich seither angestrengt zu haben, um die Abmachungen in die Tat umzusetzen. Dies gelte beispielsweise für die Verkürzung der Verwaltungswege, wozu die Regierung vor der Sommerpause verschiedene Prozeduren vereinfacht hatte. Auch liege inzwischen der Gesetzentwurf über die Ausbildung vor allem unqualifizierter Jugendlicher und älterer Lohnempfänger vor. Die Kompensierungen nach dem Ende der Übergangsbestimmungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall bestünden noch nicht, aber das habe nicht mit fehlendem politischen Willen, sondern damit zu tun, dass die mit dem arbeitsrechtlichen Einheitsstatut gegründete Unternehmermutualität ihre Berechnungen noch nicht abgeschlossen habe.
Vom Index spricht Bley dagegen eher beiläufig. Auch die Unternehmer gehen nach der Koalitionskrise vor einem Jahr offenbar davon aus, dass es wenig Sinn macht, das Reizthema aufzubauschen, so lange die ihrer Meinung nach vom OGB-L ferngesteuerte LSAP in der Regierung ist. Trotzdem zeigt Bley sich „erstaunt“ darüber, dass LSAP-Präsident Alex Bodry kürzlich gemeint habe, eine weitere Indexmanipulation sei nicht mehr nötig, die Inflation habe sich beruhigt.
Um so hellhöriger sind die Gewerkschaften, die schon seit Tagen das Sperrfeuer organisieren. CGFP-Generalsekretär Romain Wolff hatte vergangene Woche in einem Kommentar klargestellt: „In einem solchen Augenblick, den kaufkraftfördernden und über lange Jahre den sozialen Frieden erhaltenden Indexmechanismus erneut in Frage zu stellen, wäre in höchstem Maße politisch unvorsichtig, denn Tatsache bleibt, dass dieser nachträgliche Infla[-]tionsausgleich für viele Lohnabhängige die einzige Möglichkeit darstellt, um überhaupt in den Genuss einer Lohnerhöhung zu kommen.“
Auf den ersten Blick überrascht die Aufregung der Gewerkschaften. Denn sie selbst hatten vor einem Jahr eine Abmachung mit der Regierung getroffen, in der es heißt: „Dans l’hypothèse où en 2012 une tranche indiciaire serait à appliquer après un délai de moins de 12 mois depuis l’application de la tranche indiciaire précédente, le Gouvernement et les partenaires sociaux se concerteront pour évaluer la situa[-]tion et les conclusions qu’il convient d’en tirer.“
Das sieht auch der LCGB so: „In der Tat wurde in diesem Abkommen festgehalten, dass eine erneute Verständigung über eventuelle Maßnahmen mit Bezug auf den Index stattfinden wird falls die Inflation dazu führen würde, dass eine erneute Indextranche im Laufe der 12 Monate nach der Ausbezahlung der Indextranche von Oktober 2011 erfallen würde. Da dies nun der Fall ist, müssen die Vertragspartner dieses Abkommens ihrer Verpflichtung nachkommen“, räumte die LCGB-Exekutive am Montag ein, um dann jedoch gleich zu betonen: „Der LCGB ist der Auffassung, dass es in der momentanen Situation keinerlei Argumente für eine eventuelle Modulierung der automatischen Indexierung der Löhne und Renten gibt.“
Auch OGB-L-Präsident Jean-Claude Reding stellte nach der Sitzung seines Nationalvorstands am Dienstag klar, dass es derzeit „keine Ursache gibt, um eine Tranche zu verschieben“, das heißt, dass die im Frühjahr oder Frühsommer nächsten Jahres fällige Tranche ausgezahlt werden soll, wenn sie fällig wird. Mit dieser klaren Ablehnung wolle der OGB-L Regierung und Unternehmern die Gelegenheit geben, „sich vorzubereiten, um zu antworten“.
Selbstverständlich wissen die Gewerkschaften, dass sie mit ihrer [-]Haltung schwerlich durchkommen. Denn Regierung und Unternehmer dürften sich einig sein, dass zwei [-]Indexanpassungen innerhalb von sechs oder acht Monaten eine übertriebene Belastung der Betriebe darstellen, und dies um so mehr als derzeit die größte Ungewissheit über die konjunkturelle Entwicklung bei den Haupthandelspartnern herrscht. Aber die Gewerkschaften wollen vielleicht auch für ein Nachgeben in der Indexfrage Gegenleistungen aushandeln, etwa das vom OGB-L verlangte vorzeitige Ende der bis 2014 geplanten Sonderbeiträge der ehemaligen Arbeiter zur nunmehr einheitlichen Krankenversicherung.
Doch in Wirklichkeit geht es nicht bloß um eine erneute Verzögerung der nächsten Index-Tranche. Denn Premier Jean-Claude Juncker hatte den Unternehmern seit den gescheiterten Tripartite-Verhandlungen im Frühjahr 2010 eine strukturelle Reform des Index-Systems versprochen, wie sie auch von der Euro[-]päischen Union und internationalen Finanzorganisationen verlangt wird. Und selbst LSAP-Wirtschaftsminister Jeannot Krecké und die oppositionelle DP hielten das vorübergehend für gar nicht so abwegig.
Deshalb stellte die Salariatskammer vergangene Woche eine mehr als hundertseitige Studie über Inflation, modulations de l’index et compétitivité vor, die unter anderem darauf verweist, dass in den vergangenen Jahren die Luxemburger Inflationsrate „völlig innerhalb der Norm“ anderer europäischer Staaten lag, in denen es keine automatische Indexanpassung und teilweise deutlich niedrigere Wachstumsraten gab. Zudem sei ein wesentlicher Teil der Infla[-]tion durch die Erhöhung verordneter Preise hausgemacht.
Auf der Suche nach Verbündeten hatte der OGB-L in den vergangenen Tagen die CSV, LSAP, DP und die Grünen um Unterredungen gebeten, in denen er Mehrheit und Opposition seine Sicht der Dinge darlegte. Dabei ließ er sich unter anderem von der LSAP bescheinigen, dass auch diese „in der Indexfrage [...] gegen strukturelle Reformen“ sei, „die das System dauerhaft abändern würden. Ideen wie zum Beispiel ein gedeckelter Index kämen für die LSAP überhaupt nicht in Frage. Sollte sich allerdings die wirtschaftliche Lage dramatisch verschlechtern, beziehungsweise die Inflationsentwicklung dazu führen, dass mehrere Indextranchen in einem Jahr erfallen würden, dann müssten die Sozialpartner zusammentreten und nach wettbewerbsverträglichen Lösungen suchen. Dies sei allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht der Fall.“
Auch bei der CSV scheine es „kein Must zu sein, das System mordicus zu ändern“, schätzte Jean-Claude Reding nach der Unterredung. Die Partei habe den Gewerkschaftern zudem zu verstehen gegeben, dass in der CSV die Ansichten auseinandergehen zwischen jenen, „die froh sind mit dem Index, und jenen, die weniger froh damit sind“.
Nach den Unterredungen mit zwei Regierungs- und zwei Oppositionsparteien scheint der OGB-L zufrieden, dass alle Parteien eine strukturelle Reform des Indexsystems derzeit nicht für politisch machbar halten und deshalb auch keine weitere Energie in diesen für aussichtslos gehaltenen Kampf investieren wollen. Obwohl sich im Frühjahr bei den Debatten über die Verzögerung der diesjährigen Index-Tranche eine heimliche Zweidrittelmehrheit von CSV, DP und Grünen für einen „nachhaltigen“ Index unter Ausschluss der Energiepreise abgezeichnet hatte.
OGB-L-Präsident Reding gewann nun sogar den Eindruck, dass die Parteien das System der automatischen Indexanpassungen für „gar nicht so schlecht“ hielten. Deshalb sei vor allem über eine „zeitliche Verschiebung der Auszahlung von In[-]dextranchen“ geredet worden, wie es in dem Abkommen zwischen Regierung und Gewerkschaften steht. Eine Globalreform sei dagegen kaum ein Thema gewesen. Wobei der OGB-L sowieso weiterhin kategorisch gegen Änderungen am Indexwarenkorb sei und auch einen „gedeckelten Index“ für den falschen Weg halte, um die Einkommensunterschiede zu verringern. Dem hatte die LSAP schon vor 14 Tagen weitgehend beigepflichtet.