Private Kindergärten boomen. Doch manche sorgen sich um ihre Zukunft

Ohne sie geht’s nicht

d'Lëtzebuerger Land vom 18.12.2015

Als die damalige CSV-LSAP-Regierung 2005 beschloss, die professionelle Kinderbetreuung zu fördern, wuchs ein Bereich besonders rasant: die privaten Kindertagesstätten. Trotzdem blieben sie meist im Schatten des konventionierten Betreuungssektor. Während über konventionierte Einrichtungen etliche Informationen vorliegen, weil diese vom Staat subventioniert sind, wusste man bisher über die Privaten vergleichsweise wenig. Wissenschaftler des Forschungsbereichs Frühe Kindheit der Universitätt Luxemburg um Pädagogikprofessor Michael-Sebastian Honig wollten das ändern und haben nun die 86-seitige vom Erziehungsministerium in Auftrag gegebene, und von Uni und Ministerium kofinanzierte Studie Eine black box wird geöffnet. Einblicke in Organisation und Praxis privatwirtschaftlicher Kindertagesbetreuung in Luxemburg vorgelegt, in der sie sich intensiv mit den „Privaten“ befassen.

Neben allerlei Datenmaterial und Analysen von Gesetzestexten gibt es Fallstudien, die Betreiber sowie Tageseltern kamen zu Wort. Herausgekommen ist das Porträt eines Sektors, der in den vergangenen Jahren wie kein zweiter gewachsen ist. 346 private crèches, foyers de jour und garderies, sowie 689 Tagesmütter wurden Ende 2014 hierzulande gezählt. Vorrangig werden Kleinkinder betreut, aber nicht nur: Über 8 200 Plätze gab es 2013 für Kinder unter vier Jahren, bei den Vier- bis Zwölfjährigen waren es rund 900 Plätze. Zum Vergleich: Im konventionierten Bereich waren es 3 500 Plätze für die ganz Kleinen und fast 29 500 der Vier- bis Zwölfjährigen.

Besonderen Auftrieb erfuhren die Privaten nach 2009, als die schwarz-rote Regierung die Dienstleistungsschecks (chèques-service) einführte, um den Ausbau von dringend benötigten Kinderbetreuungsplätzen voranzutreiben: Immer mehr Kinderkrippen entstanden, binnen fünf Jahren verfünffachte sich die Zahl der Betreuungsplätze, Tageseltern nicht eingerechnet. Die meisten entstanden in Ballungsgebieten, um Luxemburg-Stadt und im Süden. Im Norden und im Osten decken konventionierte Betreiber die Nachfrage weitgehend ab. Parallel zum Boom stieg die Zahl der Beschäftigten: Die Stellenausschreibungen für Betreuer füllen die Jobseiten der Zeitungen. Zwischen 2004 und 2014 vervierfachte sich der Fachkräftebedarf in dieser Branche, die große Mehrheit der Beschäftigten sind Frauen und kommen aus der Grenzregion: Zwei Drittel, 67 Prozent, haben ihren Wohnsitz in Luxemburg, das andere Drittel reist jeden Tag aus den Nachbarländern an.

Demgegenüber wohnen und arbeiten Tageseltern vorrangig in Luxemburg, oder vielmehr Tagesmütter (nur zwei von den insgesamt 629 Tageseltern sind männlich). Sie sind in 87 von 106 Gemeinden tätig und damit fast im ganzen Land präsent. Mehr als die Hälfte hat einen portugiesischen Pass und fast zwei Drittel sprechen ausschließlich Französisch. Von 536 staatlich zugelassenen Tageseltern haben nur 57 einen Abschluss im sozio-edukativen oder im Gesundheitsbereich. Um die 80 Prozent der Tageseltern sind zwischen 25 und 47 Jahre alt, verheiratet und haben eigene Kinder. Die Forscher schlussfolgern, dass sich die Tageseltern „kulturell und sprachlich von anderen Betreuungsformen“ unterscheiden. Leider ist nicht zu erfahren, welche Kinder von welchen Tageseltern betreut werden und welchen Einfluss das auf ihre Bildungslaufbahn hat. Im Gespräch mit den Forschern schildert eine Tagesmutter, ihre Kundschaft gehöre „zur Mittelschicht“, ihr Betreuungsangebot werde hauptsächlich über Bildungsgutscheine finanziert und einem Stundentarif von 3,50 Euro. Doch in nachfolgenden Schilderungen wird deutlich, dass eine Tariferhöhung von 50 Cents die Stunde das Risiko berge, „KundInnen zu verlieren“.

Auch mit Betreibern einzelner und mehrerer Krippen (die Forscher unterscheiden in Einzelinitiativen, short-tail companies/Kleinanbieter, crèches d’entreprise/Betriebskindergärten und corporations/Großanbieter) über Organisation, Finanzierung und Konzept gesprochen und dabei teils Bemerkenswertes zutage gefördert: Das Bild der Öffentlichkeit über die Kommerziellen, die nur da seien, um schnelles Geld zu machen, scheint in der Form nicht zu stimmen. Die Fälle sind zwar nicht repräsentativ, veranschaulichen aber einen schwierigen Balanceakt, den kleinere Anbieter leisten müssen, um zu bestehen.

Dabei sind die Kommerziellen nicht wirklich privatwirtschaftlich: Die Forscher sprechen von einem „Quasi-Markt“, denn ein Großteil der Einrichtungen sei von Dienstleistungsschecks abhängig, manche sogar zu über 90 Prozent. Insbesondere im Süden, wo viele einkommensschwächere Familien leben und Private daher nur den vom Staat vorgegebenen Mindesttarif von 6,50 Euro verlangen (nicht 7,50 Euro wie in der Hauptstadt), ist die professionelle Kinderbetreuung mit einem nicht unerheblichen Geschäftsrisiko verbunden. Hohe Mieten und verschärfte Qualitätsauflagen machen es kleinen Anbieter nicht leicht. Fortbildungen kosten und werden bei den Privaten nur zu einem kleinen Prozentsatz staatlich subventioniert. Kein Wunder, dass die Sorge unter den Betreibern umgeht, was die Zukunft bringt, wenn erst das geplante Gesetz mit strengeren Qualitätskriterien, wie einem verbesserten Betreuungsschlüssel und mehr Fortbildung, verabschiedet ist. Schon jetzt ist Fachpersonal knapp. Gerade für Einzelinitiativen sind Krankheitsfälle schwer zu ersetzen, weshalb Betreiber dazu übergehen, mehrere Standorte zu haben, um Kosten auszugleichen. Zudem sind Privatanbieter im Nachteil, weil sie meist nur den Mindestlohn zahlen (können), während konventionierte Betreiber an den SAS-Kollektivvertrag gebunden sind.

Die Privaten stecken deshalb nicht den Kopf in den Sand; sie versuchen, sich teils proaktiv den Herausforderungen zu stellen, indem sie ihre Mitarbeiter bereits in Fortbildungen schicken und ihr sprachliches und/oder ihr pädagogisches Profil schärfen. Wie viele Einrichtungen nach Reggio, Pikler, Montessori oder Erlebnispädagogik anbieten (und diese auch umsetzen), hat die Studie nicht untersucht. Aber es scheint klar, dass schon um im Wettbewerb mit konventionierten Einrichtungen mithalten zu können, immer mehr Privatbetreiber versuchen, mit Konzept und (Sprach-)Zusatzangeboten zu punkten, so wie es die Regierung ja auch anstrebt. Betreiber berichten, dass Luxemburgisch als Qualitätsmerkmal diene, um nicht-luxemburgische Eltern zu gewinnen und ihre Kinder besser auf die Schule vorzubereiten. Ob allerdings Luxemburgisch die zugedachte Brückenfunktion zur Alphabetisierung in Deutsch überhaupt erfüllen kann, steht auf einem anderen Blatt. Für die Personalsuche ist der Schwerpunkt kniffelig, denn Luxemburger streben eher in den besser bezahlten (luxemburgischsprachigen) konventionierten Sektor.

Anderes bedeutsames Auswahlkriterium für die Eltern ist die Flexibilität bei den Öffnungs- und Betreuungszeiten. Seien es Mütter und Väter, die im Schichtbetrieb arbeiten, oder Alleinerziehende oder Eltern, die am Wochenende arbeiten müssen – flexible Öffnungszeiten sind bei der Wahl einer passenden Kinderbetreuung für Eltern oft mitentscheidend. Das hatte bereits eine andere Befragung der Uni ergeben. Private Einrichtungen können sich auf längere, wechselnde Öffnungszeiten besser einstellen und versuchen, mit dem Angebot zu punkten.

Das geschieht nicht nur aus Profitüberlegungen. Es gibt Betreiber, die versuchen, im Interesse der Kinder die Betreuungszeit auf zehn Stunden am Tag maximal zu begrenzen oder gemeinsame längere Urlaubspausen mit der ganzen Familie empfehlen – nicht immer zum Gefallen der Eltern, die sich bevormundet fühlen können. Reines Gewinnstreben ist auch nicht in der Entscheidung mancher Betreibern zu erkennen, Dienste anzubieten, die nicht extra kosten, wie ein Ausflug ins Schwimmbad oder in den Märchenpark. Laut den Forschern spielen Überlegungen, sich von der Konkurrenz abzuheben und mit Zusatzdiensten Kunden längerfristig zu binden, eine Rolle. Manche verzichten gar auf eine Kaution, um Zahlungsausfälle abzusichern, die entstehen, wenn Eltern ihr Kind plötzlich aus der Gruppe herausnehmen oder Rechnungen nicht bezahlen. Im Gespräch wurde auf die Bedeutung des guten Rufs einer Einrichtung verwiesen, wie schnell sich Vor- aber auch Nachteile herumsprechen würden. Deutlich wird: Die Führung insbesondere einer kleinen Einrichtung ist kein Zuckerschlecken und kostendeckend zu arbeiten, verlangt den Betreibern einiges ab. Wenn es jemals eine Goldgräberstimmung im Sektor gegeben hat, so scheint sie wieder vorbei zu sein.

Ob das für die großen „Player“ ebenso gilt, bleibt unklar: Sie konnten nicht für tiefergehende Gespräche gewonnen werden. Soeben hat ein großer Anbieter aus Frankreich, Lavorel Kids & Baby, seinen Einstieg in den Luxemburger Markt angekündigt. Er übernimmt laut eigenen Aussagen 36 crèches und foyers de jour mit über 1 400 Plätzen. Sicher scheint: Neue Vorschriften, die weitere Anforderungen an die Betreiber in punkto Qualität und Professionalisierung stellen, werden den Druck insbesondere auf Einzel- und Kleinanbieter verschärfen und vielleicht zu mehr Konzentrationen führen. Das muss nicht per se schlecht sein, wenn Kosten für Personal- und Fortbildungen geteilt und kompensiert werden können und Betreiber sich noch mehr als bisher durch Qualität oder Originalität abzuheben versuchen. Die Privaten bringen sich jedenfalls in Stellung und haben vor zwei Jahren einen Dachverband, Felsea, gegründet, um ihre Interessen zu verteidigen. Präsidentin Maria Castrovinci, selbst Krippenbetreiberin, hat die Veröffentlichung der 250 000-Euro-Studie mit Interesse zur Kenntnis genommen. Man werde sie genau lesen – um im neuen Jahr ins Gespräch mit dem Erziehungsministerium zu treten. Eine Unterredung mit Minister Claude Meisch (DP) sei angefragt, ein konkreter Termin für ein Treffen stehe noch aus.

Ines Kurschat
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