Es ist schwer, nicht den Vergleich zu ziehen, wenn man You go to my Head hört. Den Dreißigerjahre-Song von John F. Coots und Haven Gillespie hat fast jede Größe der amerikanischen Jazz-, Blues- und Popszene gesungen, von Judy Garland und Bing Crosby über Billie Holliday und Louis Armstrong bis zu Frank Sinatra, Diana Krall und Rod Stewart. Auf dem Album só ar ser von Marly Marques klingt er ganz unvorbelastet: sinnlich und samtig, verspielt, unbeeindruckt von der Vorgeschichte und dem Pathos, der der Nummer in nicht wenigen Interpreta-tionen anhaftet.
Die im Dezember 2013 im württembergischen Sandhausen eingespielte CD des Marly Marques Quintet ist zugleich das Debütalbum der Formation rund um die in Luxemburg geborene Sängerin mit portugiesischen Wurzeln. Marly Marques hat über das Zusammenspiel von Fado mit klassischem Blues und Jazz zu ihrem ganz eigenen Stil gefunden. Auf sie aufmerksam geworden ist der Schlagzeuger der Band, Paul Fox. Der Drummer, der zugleich komponiert – vier der elf Nummern des Albums stammen aus seiner Feder –, ist der eigentliche Drahtzieher des Quintetts. Seit zwei Jahren musizieren die beiden im Rahmen des Marly Marques Quintet. Auch die anderen Musiker der Band sind alles andere als unbeschriebene Blätter in der Jazzszene Luxemburgs: der Saxophonist und Klarinettist Jitz Jeitz, der Bassist Laurent Peckels und der Pianist Claude Schaus. Ihren wohl größten Erfolg konnten Marly Marques und ihre Jungs vor drei Monaten verbuchen, als sie den ersten Preis beim Jurywettbewerb des Crest Jazz Vocal Festival im französischen Departement Drôme gewannen – ein Auftritt, der durch das Luxemburger Musikexportbüro Music LX vermittelt wurde. Im März 2015 führt eine weitere Tour die Formation nach Beirut zum Al Bustani Festival.
Das Album só ar ser stellt Neukompositionen von Paul Fox und Jitz Jeitz Jazz- und Pop-Evergreens sowie portugiesischen und lateinamerikanischen Nummern entgegen. Marly Marques singt Jazz und Fado, Swing, Samba und Bossa Nova. Die stilistischen Einflüsse sind so unterschiedlich und vielseitig wie die Musiker der Band, und doch entsteht im Rahmen dieses Albums ein erstaunlich homogener Melting Pot.
Der von Jitz Jeitz auf ein Gedicht des Portugiesen Daniel Ferreira Jerónimo komponierte Titelsong só ar ser („nur Luft sein“) gibt der jungen Sängerin die Möglichkeit, mit allen Facetten ihrer attraktiven, warmen Stimme zu betören. Nummern wie Hard Times von Ray Charles, Seven Nation Army der Band The White Stripes, He’s Trouble von Paul Fox oder das ungemein sensibel ausgelegte Lagrimas negras von Bebo Valdés und Diego El Cigala trägt die Sängerin mal rauchig und stumpf, mal mit Biss und Ironie, mal strahlend und kraftvoll vor. Dazu greift Claude Schaus am Klavier und am Fender Rhodes inspiriert und kultiviert in die Tasten, Laurent Peckels mit Dynamik und Impuls in die Saiten von Kontrabass und E-Bass. Paul Fox sorgt an den Drums für einen gefällig-lässigen Beat und Jitz Jeitz am Saxophon und auf der Klarinette für einen gefühlvoll erdigen Klang. Der Jazz des Marly Marques Quintet ist stimmig und ehrlich. Ein zwischen unkonventionellen Klangmischungen und modischem Mainstream geschickt ausgewogenes Album.