„Ich hasse dieses sinnlose Zierstück der Männerkleidung!“, wetterte einst der Poet André Breton: „Immer wieder ärgere ich mich, jeden Morgen Zeit an etwas so Erbärmliches zu verschwenden. Ein Stück Stoff, das nur das ohnehin schon idiotische Erscheinungsbild der Reversjacke durch ein Aufmerksamkeit erheischendes Nichts noch steigern soll.“ Aufsehen erregte Prinz Claus der Niederlande, als er bei einem Empfang die „Schlange um den Hals“ auf den Boden warf und dazu aufrief, sich endlich ins „Paradies offener Hemdkrägen“ zu wagen.
Heute lassen sich Krawatten immer seltener blicken. Politiker gehen nicht nur in Griechenland oben ohne, um sich von Bankern, aber auch alten Kommunisten abzusetzen. Das deutsche Parlament hat unlängst den Krawattenzwang für seine Schriftführer kurzerhand abgeschafft. Mittlerweile sind die meisten Männer froh, wenn sie vor einer Beerdigung ohne viel Googeln überhaupt einen Knoten am Hals zustande bringen. Geht es den Bindern an den Kragen?
Von den Anhängern konservativer Kleidung hätte man mehr Gegenwehr erwarten dürfen. Immerhin ist die Bedeckung der Gurgel ein traditioneller Bestandteil von Soldatenuniformen. Nach dem Vorbild kroatischer Söldner ging im 17. Jahrhundert in Paris kein Adliger mehr aus dem Haus ohne ein weißes Spitzen-Lätzchen „à la Croate“. Louis XIV beschäftigte sogar einen eigenen Cravatier, der direkt seinem Grand Maître de la Garde Robe unterstellt war und nichts anderes zu tun hatte, als für den königlichen Hals Tücher zu binden.
In den meisten Sprachen kann man sich immer noch mit einer französierten „Kroatin“ umschlingen. Die Skandinavier nehmen einen vergleichsweise biederen „Schlips“; dieses niederdeutsche Wort bezeichnete ursprünglich einen langen Rock- oder Hemdzipfel. Eigentlich müsste der Kulturstrick aber überall „Necktie“ heißen. Es waren schließlich die Engländer, die aus der Krawatte einen Kult machten und weltweit verbreiteten. Der New Yorker Schneider Jesse Langsdorf kreierte 1924 schmale Langbinder in ihrer heutigen Form: Der Stoff wird diagonal zur Webrichtung verarbeitet, der Schlips dann aus drei Teilen zusammengenäht.
In Russland wird die Knopfleiste des Hemds mit einem „Galstuk“ verdeckt – also einem deutschen „Halstuch“. Das ist kein Zufall: Krefeld und Zürich waren früher die weltweit wichtigsten Zentren der Krawatten-Produktion. Die Seidenstoffe dafür bezogen beide meist aus Como, einer italienischen Kleinstadt an der Schweizer Grenze. Im Jahr 1965 verkauften allein die damals 55 westdeutschen Hersteller 35 Millionen Krawatten. Ultrabreite, psychedelisch kolorierte Schlipse waren modern; vor allem Amerikaner bestellten wie wild.
Die Umgarnung des Frauenhalses gelang selbst zu Hochzeiten nicht. Es gab immer wieder mal Ansätze: Adlige Reiterinnen schmückten sich mit Lederkrawatten; Emanzen wie George Sand oder Coco Chanel vergriffen sich an dem Phallussymbol; Marlene Dietrich startete ihre Hosenrock-Karriere mit dem Revue-Stück „Zwei Krawatten“. Der Schlips blieb trotzdem vor allem ein männliches Accessoire. Und dann fingen selbst die Herren zu schwächeln an – gleichzeitig drängten ab den 1970er Jahren billige Polyester-Lätzchen aus Asien auf den Markt.
Die Zürcher Firma „Schwarzenbach & Co.“, berühmt für besonders feine Krawatten-Stoffe und einst das größte Textilunternehmen der Welt, ging 1981 ein. In Deutschland sanken die Krawatten-Verkäufe von fast 21 Millionen im Jahr 1994 auf nur noch 9,9 Millionen im Jahr 2003. Seither hat das Deutsche Modeinstitut dazu keine Zahlen mehr veröffentlicht, was vermutlich kein gutes Zeichen ist. Nach wie vor wird aber unverdrossen jeden Dezember der deutsche „Krawatten-Mann des Jahres“ gekürt.
Dass die maskuline Dekoration bald ganz in Vergessenheit gerät, ist jedoch nicht zu befürchten. In China überwinden kommunistische Funktionäre ihre Berührungsängste vor teurem Halsschmuck aus italienischen Manufakturen. Im Westen experimentieren junge Designer unbefangen mit dem ehemaligen Zwangsobjekt: Wie wär's mit einer Krawatte aus Strickwolle, Holz oder Glas? Vielleicht findet sich für den Binder doch noch ein praktischer Nutzen, etwa als Warnfahne, Babylätzchen, Beleuchtungskörper oder auch als Halter für USB-Sticks.
In der Schweiz werden neuerdings – nach 100 Jahren Unterbrechung – von acht Bauernfamilien als Nebenerwerb sogar wieder Seidenraupen gezüchtet. Die erste Ernte von zehn Kilo Seide wurde zu 150 Krawatten verarbeitet, das heißt genau genommen nur zu den jeweiligen Schussfäden, denn die Kettfäden mussten noch aus brasilianischer Seide zugeliefert werden. Die exquisiten Stücke werden von der traditionsreichen Seidenhandlung Weisbrod unter dem Label „Swiss Silk“ zu einem Preis von jeweils 150 Euro verkauft. Mit diesem Halsschmuck während des Karnevals im Rheinland herumzulaufen, wenn mit Scheren bewaffnete Frauen unterwegs sind, wäre tatsächlich ziemlich dumm.