Während ich diese Zeilen schreibe, ist die Arbeitsfläche meiner Küche mit dem Taxi unterwegs aus Brüssel und wird gegen 22 Uhr eintreffen. Diese etwas unorthodoxe Art des Warentransports, die sonst eher lebenswichtigen Organen oder Medikamenten vorbehalten ist, ist das Ergebnis eines Wutausbruchs epischen Ausmaßes, für den ich mich fast ein wenig schäme.
Aber tatsächlich nur fast, denn dass meine Arbeitsfläche nun geliefert wird, ist ein Sieg des einzelnen Konsumenten (in diesem Fall ich) gegen einen internationalen Großkonzern (mit Steuer-Ruling!) und das Corporate system – Sie dürfen sich gerne mit mir freuen.
Ich habe diese Arbeitsfläche verdient. Mit Geduld, mit sportlichem Einsatz, körperlichen Entbehrungen und nicht zuletzt mit purer Sturheit. Seit vier Monaten habe ich keine funktionsfähige Küche, weil mir ein schwedisches Möbelhaus im nahen Ausland einen Gasherd verkauft hat, der in Luxemburg nicht zulässig ist, und die Arbeitsoberfläche wegen eines Herstellungsfehlers bei der Montage gerissen ist.
Unsere Transaktion Geld gegen Küche stand von Anfang an unter einem schlechten Stern. Binnen zehn Tagen fuhr ich drei Mal nach Arlon, verbrachte jeweils mehrere Stunden, erst damit zu warten, dass ich bedient werden könnte, weil es nicht möglich ist, einen Termin zu vereinbaren und man wie beim Metzger eine Nummer zieht. Dann mit der gemeinschaftlichen Planung meiner doch recht winzigen Küche. Jedes Mal stellte sich heraus, dass die Pläne, die beim vorherigen Treffen angefertigt wurden, realitätsfern waren – die Schränke sollten sich doch öffnen lassen. Oder aber dass die ausgewählten Apparate, beziehungsweise Möbel, trotz gegenteiliger Angaben und obwohl vorhanden, dank konzerninterner Logistikstrategie nicht lieferbar seien – eine Situation, die jeden rational denkenden Menschen um den Verstand bringen kann.
Dabei hatte ich beim dritten Anlauf Vorkehrungen getroffen, war extra früh hingefahren, noch vor Ladenöffnung, um die Nummer „eins“ zu ziehen. Leider war ich nicht die einzige, die derart vorbereitet kam. Vor den Flughafenabsperrbändchen, mit denen sich das Personal früh morgens die Kunden vom Leib hält, um ungestört die Regale einräumen und die Gänge wischen zu können, tummelten sich außer mir noch ein halbes Dutzend Kunden in Turnschuhen, um um Punkt ehn Uhr Richtung Küchenabteilung lossprinten zu können. Da ich mir bei meinen vorherigen Besuchen die kürzeste Route (gegen die „Fahrtrichtung“ durch die Kinder- und die Schlafzimmerabteilung über Betten springend, quasi durch Schrankwände hindurch) eingeprägt hatte, gewann ich das Rennen. Ich konnte, erschöpfungs- und verzweiflungstränenreiche Stunden später, meine Küche bestellen. Ich versuchte zu relativieren – meine Mutter hatte schließlich 15 Jahre an ihrer neuen Küche geplant. Was waren da zusammengezählt fünfzehn Stunden, auch wenn ich während der Zeit mangels Picknick weder essen noch trinken konnte, geschweige denn, die Toilette benutzen?
Dann stellte sich heraus, dass mein belgischer Gasherd in Luxemburg nicht zugelassen war und mit einem lautstarken „Scheiße, Mann!“ brachte der von mir zur Montage des 3-D-Puzzle engagierte deutsche Schreinermeister zum Ausdruck, dass die maßgefertigte Arbeitsfläche wegen eines Produktionsfehlers gerissen war.
Meine Odyssee durch das vierstufige Menü der Telefonzentrale der Kundenservice-Hotline begann. Ich habe das Experiment aufgrund der Ferngesprächsgebühren nicht zu Ende geführt, aber meine Testversuche zeigen, dass man wahrscheinlich einen ganzen Tag damit verbringen könnte, zwischen den verschiedenen Optionen auszuwählen, ohne je einen Mitarbeiter aus Fleisch und Blut an die Strippe zu bekommen. Passierte das doch, war es jedesmal ein anderer Mitarbeiter und trotz eigener Beschwerdeaktennummer habe ich mindestens einem Dutzend verschiedener Leute auf ein Neues das Problem mit meiner Küche erklärt. Meine E-Mails an standardisierte Adressen gingen ins Leere und blieben unbeantwortet. Irgendwann ergab ich mich in meine Machtlosigkeit, ich aß Salat und Take-Away. Als es kälter wurde, brachten Freunde und Familie warme Suppe vorbei – warum sollte ich da überhaupt noch selbst kochen wollen und mich dafür dem niederschmetternden Streit mit dem Möbelhaus aussetzen?
Ich habe einiges gelernt in diesen vier Monaten. Zum Beispiel, dass die konkurrenzlos billigen Küchenapparate mit den schwedischen Fantasienamen von sehr guten Herstellern stammen. Oder meine maßgefertigte Arbeitsoberfläche deutsche Wertarbeit ist. Dass die Mitarbeiter alle einzeln wunderbar freundliche und hilfsbereite Leute sind – nur sind sie meist nicht zuständig, nicht befugt, haben leider auch Anrecht auf Urlaub oder es gibt sonst ein systemisches Problem, das einer schnellen und pragmatischen Problemlösung im Wege steht. Und, dass man das System manchmal schlagen kann, indem man aufhört, es zu bekämpfen. Tut sich lange genug nichts in einem Kundendossier, beauftragt die konzerninterne Software nach dem Zufallsprinzip einen Mitarbeiter damit, den Kunden zu kontaktieren. Folglich fingen sie an, mich anzurufen, was zumindest für meine Telefonrechnung vorteilhaft war. Insgesamt hätte in meiner Küche trotz falschen Gasherds und gerissener Arbeitsplatte mindestens sieben Wochen früher gekocht werden können, wenn sich beim Möbelhaus tatsächlich jemand um die Akte 3846313 gekümmert hätte. Weil das die Mitarbeiter sehr wohl wissen, waren sie schon vor vier Wochen bereit, mir einige fehlende Küchenteile und deren Montage zu schenken.
Heute morgen, plötzlich nach wochenlanger Funkstille, schien es, als würde alles ins Lot kommen. Morgen endlich würde die Arbeitsplatte geliefert und montiert, die anderen fehlenden Teile auch. Das Kundenservice-Team hatte ohne Witz halb Belgien nach einem freien Montageteam abgesucht. Binnen Stunden organisierte ich generalstabsmäßig die Installation des Gasherds und die Kontrolle der Dichtungen durch Creos. Und dazu noch den Obergeneral, aka meine Mutter, um die Monteure im Haus zu „empfangen“, während ich meiner regulären Beschäftigung nachgehe.
Dann um 16.03 Uhr wieder ein Anruf von „Anonym“, ein unmissverständlicher Hinweis, dass jemand aus einer belgischen Telefonzentrale anruft, der das Warnsystem auf Alarmstufe Rot schalten lässt. Meine Arbeitsplatte, erklärte mir wieder eine neue Mitarbeiterin, befände sich irgendwo zwischen dem Hersteller, einem Logistikzentrum in Dortmund, dem in Brüssel oder Arlon und folglich nicht morgen früh bei mir zu Hause. „Es ist unmöglich!“, so die Mitarbeiterin, als ich protestierte, auf keinen Fall würde ich alle anderen Leuten absagen. Das sollte sie bereuen, denn diese drei Wörter höre ich mindestens so ungerne wie: „Das haben wir schon immer so gemacht“ oder: „So funktioniert unser System“. Sätze, die sie ebenfalls äußern sollte und die in mir den über vier Monate gereiften Entschluss bestärkten: „Ich scheiß, auf das System!“
Ohne in die Details zu gehen: Mein Mundwerk lief Amok. „Unmöglich“ sei ein großes, ein absolutes Wort, das eher die Friedensaussichten im Nahen Osten beschreibe als die Lieferung einer Küchenplatte. Ich rechnete mir aus, wie schnell ich über die Autobahn in Zaventem sein könnte, um diese Leute Auge in Auge zur Rede zu stellen und die Platte in einer Lara-Croft-würdigen Aktion freizukämpfen und auf dem eigenen Rücken rauszutragen, sollte es notwendig werden. So weit musste es nicht kommen. Die Supervisorin zog es vor, auf meinen Vorschlag einzugehen, sie solle gefälligst extern einen Lieferwagen mieten, und wenn sie dafür eine Genehmigung aus Stockholm brauche. Es ist nun 21.45 Uhr und vor meiner Tür fährt ein Taxi vor. Die Fahrt hat 130 Euro gekostet. Das Möbelhaus zahlt. Ich kann es kaum fassen. Ich habe gewonnen.