Nach zehn Jahren Krise der Monarchie soll die Hochzeit des Thronfolgers das Land wieder mit der Dynastie versöhnen

Popularitätstest

d'Lëtzebuerger Land du 19.10.2012

Die  Fernsehansprache von Premierminister Jean-Claude Juncker am Donnerstagabend zeigte, dass die Hochzeit von Erbgroßherzog Guillaume mit der belgischen Gräfin Stéphanie de Lannoy an diesem Wochenende nicht nur ein privates Familienfest, sondern auch eine Staatsangelegenheit ist. Als solche muss die Eheschließung – wie immer – die Geburt des übernächsten Thronfolgers vorbereiten und  so den Erhalt der Dynastie sowie der Staatsform sichern, der Herrschaft eines von 30 verbliebenen Monarchen auf Erden.
Darüber hinaus muss die Hochzeit – wie immer – die in den letzten Jahren arg strapazierte Legende von schönen Prinzessinnen und edlen Prinzen weiterspinnen, die gerade in Zeiten der Arbeitslosigkeit und ausfallenden Rentenanpassung tröstlich wirken soll. Diese Aufgabe übernehmen, eher eigennützig als patriotisch, die in der Krise verzweifelt um Publikum und Anzeigen ringenden Zeitungen, Radio- und Fernsehsender.
Doch diesmal, anders als bei der Hochzeit von Großherzog Jean oder Großherzog Henri, fällt der Hochzeit des Thronfolgers noch eine besondere Bedeutung zu: Sie stellt einen Popularitätstest für eine Monarchie dar, deren öffentliches Ansehen das niedrigste seit fast einem Jahrhundert ist. Ein Staatsoberhaupt, das nicht demokratisch gewählt wurde, kann sich aber auf keine andere politische Legitimierung berufen als auf sein öffentliches Ansehen.
„Meine Großmutter und mein Vater bezogen ihre Legitimität aus dem Krieg und der wirtschaftlichen Entwicklung“, hatte Großherzog Henri in einem am 1. Oktober 2000 ausgestrahlten Fernsehinterview zum Thronwechsel festgestellt und daraus geschlussfolgert: „Wir müssen unsere eigene Legitimität finden.“
Zur Legitimierung ihrer Würde versprachen der neue Großherzog und die neue Großherzogin damals, „einen neuen Stil zu finden und in den nächsten Monaten zu verfeinern“. Obwohl er sich „nicht zu politischen Fragen äußern darf und es auch niemals tun wird“, hatte der Großherzog doch gemeint, „einen ziemlich großen Spielraum“ zu haben, um „einen eigenen Stil und die eigene Persönlichkeit“ in die öffentlichen Angelegenheiten einfließen zu lassen.
Doch das Ausmaß der solchermaßen an­ge­kün­dig­ten Katastrophe hatte vor einem Jahrzehnt niemand ahnen können. Denn die Krise, in der sich die Monarchie inzwischen befindet, ist nicht nur selbst verschuldet, sie steigerte sich auch im Laufe der Zeit vom Privaten über das Geschäftliche bis zum Politischen.
Die Familie
Den versprochenen neuen Stil hatten sich viele und wohl auch die Herrscher selbst als jung und unverkrampft unter Einbeziehung der dynamischen Großherzogin vorgestellt. Doch anderthalb Jahre nach dem Thronwechsel hatte Großherzogin Maria Teresa Mitte Juni 2002 die Chefredakteure der heimischen Presse ins Palais bestellt, um ihnen zu erzählen, wie ihre Schwiegermutter Joséphine-Charlotte ihr das Leben zur Hölle mache. Das kann in jeder Familie vorkommen, aber eine Dynastie lebt davon, dass sie keine Familie wie jede andere und der Großherzog als Oberbefehlshaber der Armee kein Pantoffelheld ist. So schaffte es die großherzogliche Familie sogar unter dem Titel: „La grande-duchesse du Luxembourg se plaint de sa belle-mère et pleure“ auf die Titelseite von Le Monde und ließ das Land als das erscheinen, wogegen es seit Jahren mit viel Geld und guten Worten kämpfte: ein Operettenstaat.
Im Herbst 2005 musste der großherzogliche Hof dann mitteilen, dass einer der Söhne des Großherzogs, Prinz Louis, mit 19 Jahren Vater werde. Auch das kann in jeder Familie und selbst in einer erzkatholischen wie der großherzoglichen vorkommen. Aber eine Dynastie lebt davon, dass sie keine Familie wie jede andere ist – sonst könnte auch jede andere Familie auf die Idee kommen, das Staatsoberhaupt stellen zu wollen.
Wenige Monate später überbrachte dann Premier Jean-Claude Juncker persönlich dem Staatsanwalt den Bericht eines Zeugen, der einen Bruder des Großherzogs als Bommeleeër identifiziert haben wollte. Das kommt eindeutig nicht in jeder Familie vor und zerstörte den Nimbus der Dynastie ein weiteres Stück.
Das Geschäft
Der Tod von Großherzogin Joséphine-Charlotte legte zwar den Streit mit Großherzogin Maria Teresa bei, aber er warf neue Probleme auf und hob die Krise auf eine höhere Ebene. Weil das private Nassauer Fürstenrecht das gesetzliche Erbrecht außer Kraft zu setzen vermag, hat der Großherzog als Fideikommiss das alleinige Nießbrauchsrecht des Familienvermögens – seine Geschwister liefen Gefahr, als Erben ihrer Mutter leer auszugehen. Doch während in der ausländischen Presse das Vermögen des Großherzogs zu den größten in Europa gezählt wurde, endeten seine verzweifelten Versuche, den Geschwistern Bargeld zu verschaffen, mit einem Fiasko.
Eine für Dezember 2006 geplante Versteigerung der Juwelen von Großherzogin-Charlotte musste abgesagt werde, weil der Großherzog die „symbolische Bindung“ und die „Emotionen unterschätzt“ hatte, wie er sich öffentlich entschuldigte. In den Augen enttäuschter Anhänger, für die ein Fürst reich und großzügig über allem Materiellen stehen musste, erschien die großherzogliche Familie plötzlich als knauserig und kleinlich, wie jede andere Familie auch.
Mehrere Jahre lang brachte die Domänenverwaltung des Großherzogs die Regierung mit Verhandlungen über den Verkauf des Grünewalds in eine peinliche Lage. Schließlich willigte die Regierung in den Erwerb eines kleinen Teils und den Unterhalt des restlichen Teils sowie in das Versprechen ein, die staatlichen Zuwendungen an den großherzoglichen Hof zu erhöhen. Die laut Verfassung gewährte Zivilliste des Großherzogs von 1 131 882 Euro macht inzwischen weniger als zehn Prozent der staatlichen Zuwendungen aus (d’Land, 29.7.2010).
Erratisch ist auch die Personalpolitik des Hofs. Mehrfach wurden die Berater ausgetauscht, welche den versprochenen neuen Stil der Dynastie in Szene setzten sollten und sich eher am Weltbild der Klatschpresse als am Verfassungsauftrag eines Staatsoberhaupts orientierten. Auch mehrere Vermögensverwalter mussten einander ablösen. Schließlich trennte sich der Großherzog sogar von seinem Hofmarschall, Jean-Jacques Kasel, der Ende 2006 gegenüber Le Jeudi geklagt hatte über „le climat qui hante le Palais grand-ducal ces derniers temps. Tout cela alimente sa désillusion“.
Die Politik
Als der Großherzog dann aber auch noch das Tabu brach, das seine Großtante Marie-Adelheid den Thron gekostet hatte, und sich in die Politik einmischte, provozierte er einen Konflikt mit dem Parlament und der Regierung: Die Krise drohte, sich zur politischen Katastrophe zu steigern. Hatte der Großherzog im Juni 2002 noch in einem Interview mit dem italienischen Magazin L’Espresso zur heiß diskutierten Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft bekannt: „Io sono favorevole“, und beim Referendum über den Europäischen Verfassungsvertrag vorschnell angekündigt, mit Ja zu stimmen, so zeigte sich bald, dass der neue Stil in Wirklichkeit ein sehr alter, klerikal-konservativer und  vordemokratischer ist.
Die Weigerung des Großherzogs, unter dem Jubel des Erzbistums und des Luxemburger Wort Ende 2008 seinem Verfassungsauftrag nachzukommen und das Euthanasiegesetz zu „bestätigen und zu verkünden“, erschien als Kriegserklärung an die parlamentarische Demokratie. Das Parlament beschnitt umgehend die Vorrechte des Großherzogs in einer Verfassungsreform. Waren die Rechtspartei und die CSV traditionell die stärksten Verbündeten des Throns, nannte CSV-Premier Jean-Claude Juncker es Mitte Dezember vor dem Parlament „unannehmbar“, dass der Großherzog kurz zuvor ratsuchend zu einer Privataudienz in den Vatikan geflogen war und der Papst daraufhin am Tag des Votums des Euthanasiegesetzes den Luxemburger Gesandten zu sich bestellt hatte.
Die großherzogliche Familie, die Beziehungen zu der sehr rechten Charismatischen Bewegung unterhält, hatte sich so am rechten Rand der CSV und des Erzbistums isoliert. Im Herbst 2009 hatte der Großherzog sogar im Vatikan als Glaubensmärtyrer den Van-Than-Menschenrechtspreis entgegengenommen und damit die Sichtweise des Vatikans bestätigt, der durch die Verabschiedung des Euthanasiegesetzes die Menschenrechte in Luxemburg gefährdet sah. Vier Wochen später hatte das Parlament dann in einem beispiellosen Akt den Großherzog kurzfristig wieder ausgeladen, als er nach den Kammerwahlen die neue Legislaturperiode mit einer Thronrede eröffnen sollte.
Schließlich einigten sich die politischen Parteien vor drei Jahren im zuständigen parlamentarischen Ausschuss auf eine Verfassungsrevision, welche fast sämtliche Vorrechte  des Großherzogs ersatzlos streichen würde. Der großherzogliche Hof hat inzwischen via die Regierung und mit einiger Unterstützung des Staatsrats den Kampf um die Verteidigung seiner Vorrechte aufgenommen. Die Entscheidungsschlacht soll in den kommenden Monaten hinter den Kulissen ausgetragen werden.
Die Ablehnung
Die politischen Folgen dieser Ungeschicklichkei­ten sind verheerend. Zur Zeit des Thronwechsels im Jahr 2000 sprachen sich acht Prozent der von Ilres für Le Jeudi Befragten für eine Republik aus. Ein Jahr später, im Herbst 2001, war der Anteil sogar auf sechs Prozent gesunken. Im Herbst 2005 hatte sich der Anteil aber mit elf Prozent schon fast verdoppelt. Nach der Verfassungskrise Ende 2008 wollten 32 Prozent der Befragten die Monarchie abschaffen. Doch anders als erwartet, haben sich auch vier Jahre später die Überzeugungen kaum geändert. Laut einer vom Luxemburger Wort und von RTL diese Woche veröffentlichten Umfrage sprechen sich noch immer 29 Prozent der Befragten „grundsätzlich für eine Republik“ aus, 43 Prozent halten den „großherzoglichen Hof nicht mehr für zeitgemäß“.
Dass fast ein Drittel der Luxemburger eine Republik verlangen, ist ein historischer Rekord. Denn in der bis dahin tiefsten Krise der Monarchie entfielen beim Referendum von 1919 nur 20 Prozent der gültigen Stimmen auf die Republik.
Wie gering der politische Rückhalt in der Bevölkerung geworden ist, zeigte Anfang 2009 der Versuch, ein Referendum gegen die Verfassungsrevision zur Beschneidung der großherzoglichen Vorrechte anzuzetteln. Von 223 842 eingeschriebenen Wählern hatten lediglich 796 ihre Unterschrift für den Großherzog gegeben, das waren nicht einmal 0,4 Prozent.
Das war die Strafe dafür, dass der Großherzog den Zweck einer Monarchie in bürgerlich-parlamentarischen Zeiten verkannt hatte. Der Zweck ist ein konservativer, denn eine Monarchie, deren Wirken über Generationen absehbar ist, soll, unabhängig von Wahlen, Koalitionen und Krisen, nichts als Berechenbarkeit, Beständigkeit und Sicherheit vermitteln. Gleichzeitig soll sie über den Klassen und Parteien stehen, um als letzter Rekurs des staatlichen Zusammenhalts zu dienen, wenn alle anderen gesellschaftlichen Kräfte und Institutionen unheilbar zerstritten sind. Deshalb hatte insbesondere die CSV mit Großhezog Henri anfänglich eine patriotische Re-Monarchisierung der Politik angestrebt, um den sozialen Zusammenhang in Zeiten wachsender ökonomischer Ungleichheiten zu fördern.
Doch der Großherzog und die Großherzogin waren dieser Rolle nicht gewachsen. Mit den Eskapaden der großherzoglichen Familie, ihren ungeschickten Geschäften und der offenen politischen Parteinahme für die klerikale Rechte verfehlt die Monarchie ihr Ziel, Beständigkeit und Überparteilichkeit zu verkörpern.
Die Hochzeit des Thronfolgers an diesem Wochenende ist deshalb der Versuch, das Ansehen der Monarchie in breiten Teilen der Bevölkerung zurückzugewinnen und das Volk mit einer neuen Generation künftiger Herrscher zu versöhnen. Ob der Versuch gelingt, wird sich schon bei den öffentlichen Feiern zeigen, an der Zahl derjenigen, welche die Hochzeit am Straßenrand begleiten, und an der sozialen Zusammensetzung des fähnchenschwingenden Publikums. Die Erfahrung in den beiden anderen Benelux-Staaten lehrt, dass sich in der Regel nur noch Rentnerinnen und Schulkinder für Monarchien begeistern können. Ihr politischer Einfluss aber ist gering.

Romain Hilgert
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