Die Kulisse vermittelt Leere. Im Hintergrund ertönt Gemurmel und Geraune – Wortfetzen fliegen einem entgegen. Der Zuschauer wird verwirrt und damit ansatzweise in den Zustand derjenigen hineinversetzt, um die es hier geht: von Demenz Betroffene und ihre Angehörigen. Bereits der Titel des Stücks Disko Dementia verweist auf die machtlose Situation der Betroffenen: ein Rausch an Sinneseindrücken, eine Flut von Bildern und Emotionen, die der- oder diejenige nicht mehr einordnen kann, eben wie in einer Diskothek.
Linda Bonvini (Regie) schafft so bereits dramaturgisch einen Effekt: Der Zuschauer wird in die Welt Demenzkranker hineinkatapultiert. Dann wird ein alter Mann auf die Bühne geschoben; er ist ganz offensichtlich verwirrt. Die beklemmende Atmosphäre wird kurz dadurch aufgebrochen, dass das Pflegepersonal beschwingt auf die Bühne tritt und Stühle umherschiebt wie auf einer Schlittschuhbahn. Zugleich wird durch das Geläster unter den Schwestern klar, dass hier etwas Ungeheuerliches geschehen ist. Die Tochter des demenzkranken Mannes will wissen, woher seine Wunden kommen und was an jenem Ostersonntag geschehen ist. – Ereignisse, die zum Suizid eines Pflegers geführt haben und die nun vertuscht werden, während der alte Mann sich mit der flachen Hand ins Gesicht schlägt: „I want to go home!“ Die Beklemmung überträgt sich auf den Zuschauer. Eine Stunde der Anspannung, in der das Publikum bewusst verwirrt wird, denn die Ereignisse werden nicht chronologisch dargestellt, die Handlung setzt sich vielmehr wie ein Puzzle aus Versatzstücken zusammen. So wie die Krankheit Demenz selbst als unverständliches, medizinisch noch weitgehend unerforschtes Phänomen: ein schwarzes Loch.
Disko Dementia entführt den Zuschauer in den Mikrokosmos eines Pflegeheims, in dem das Personal überfordert ist. Irgendwann kommt es zu einem Vorfall, von dem im Nachhinein keiner mehr sagen kann, wessen Idee es war. Einem Patienten wurden die Hosen runtergezogen und seine Hoden eingefärbt. Ein abgeschmackter Scherz, der tragisch endet. Was sich hier zugetragen hat, spiegelt menschliche Abgründe wider. Die Pfleger schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe, klagen über schlechten Lohn und eine hohe Verantwortung, die nicht die Ärzte übernehmen würden, sondern sie. Fremdscham – Beklemmung – Peinlichkeit verspürt der Zuschauer beim Anblick des alten Mannes im Rollstuhl. Birgt das Stück nicht die Gefahr, jemanden vorzuführen? „Für uns nicht“, meint die Autorin des Stücks, Larisa Faber, die selbst darin die Rolle der Heimleiterin spielt. „Es ist wichtig, dass man hinschaut, dass man den Blick nicht abwendet!“
Für Faber war die Situation ihrer Großmutter, die von Demenz betroffen war, der Auslöser, das Stück zu schreiben. „Dass ich gesehen habe, wie sich ihr Leben verändert hat, also quasi die Entmündigung; zuerst durch die Krankheit und dann, als meine Mutter sie nicht mehr pflegen konnte, durch das Pflegesystem, in das sie kam.“ Faber hofft, dass die Zuschauer dahin kämen, sich selbst zu hinterfragen. Sie wünscht sich, dass man sich fundamentale Fragen stellt wie die, was das Menschsein für uns noch bedeutet. Entmündigung sei natürlich ein starkes Wort, aber die Krankheit nehme einem das Intimste. Was aber löst Demenz bei uns aus? Was bei den Familienangehörigen und Pflegern? Das waren die Überlegungen, die am Anfang standen.
Umso enttäuschter war Faber, als sie erfuhr, dass das Familienministerium dem Künstlerkollektiv Maskénada die anfangs in Aussicht gestellte Unterstützung für das Rahmenprogramm nicht bewilligte. Man habe gemerkt, dass es da einen großen Widerstand gab, wie aus Angst gespeist. Doch der Rückzug habe das Projekt ironischerweise viel relevanter gemacht, meint Faber, die die Sorge, das Stück beruhe auf einer wahren Begebenheit, zerstreut. „Das Stück ist fiktiv. Es gab nur Gerüchte. Als ich mit dem Schreiben begann, habe ich nichts von einem Vorfall gewusst. Ich habe die Figuren frei erfunden.“ Es sei also gewiss nicht darum gegangen, jemanden bloßzustellen.
Sollte das Stück auf einer wahren Begebenheit beruhen, könnte die Zurückhaltung des Ministe-
riums darauf beruhen, konkrete Personen schützen zu wollen. Die künstlerische Freiheit des Kollektivs, das sich auf die Fahnen schreibt, mit Disko Dementia eine Debatte über das tabuisierte Thema Demenz auszulösen, steht solchen Erwägungen diametral entgegen.
Keine Frage, Disko Dementia polarisiert und rüttelt auf. Die etwas nacherzählt wirkende Inszenierung hinterlässt Beklemmung – ohne je in Betroffenheitstheater abzugleiten. Dies auch dank eines sehr starken Textes und des facettenreichen Schauspiels der Akteure. Vor allem Fabienne Elaine Hollwege überzeugt als wütende Tochter, zugleich zerbrechlich und rigoros in ihrem Auftritt gegenüber dem Pflegepersonal. Und selbst wenn das Stück am Ende durch eine gemeinsame Gesangseinlage von Vater und Tochter kurz ins Seichte abzugleiten droht, bleibt die aufrüttelnde Wirkung nicht aus. Man stellt sich Fragen über unseren Umgang mit Demenzkranken, die wir gesellschaftlich ausgrenzen, weil sie nicht mehr ins System passen. Förderung hin- oder her: die Diskussion ist damit längst angestoßen, das Ziel des Künstlerkollektivs erfüllt.