Gabriel Chevalier, der Erzengel als Ritter, alias Jérémie Renier macht in La Confrérie des larmes eine beachtenswerte Wandlung durch. Vom heruntergekommenen Ex-Cop mit existenzbedrohenden Spielschulden im Penner-Style zum elegant gewandeten Helden und Retter gegen alle Widerstände. Möglich macht das ein eigenwilliger Auftraggeber, der den Ex-Flic für einen ziemlich simplen Dienst mit Geld überschüttet. Er muss elegante schwarze Hardcover-Köfferchen rund um die Welt abliefern, darf jedoch nicht nach dem Inhalt der kostbaren Ware fragen, geschweige, die Köfferchen öffnen. Ist aber alles völlig legal, wird ihm versichert.
Ziemlich suspekt das Ganze, findet auch Chevalier, der dennoch gern den Geldsegen annimmt. Endlich ist er seine finanziellen Sorgen los und kann seiner Tochter (Mélusine Mayance) ein besseres Leben bieten. Wenngleich er kaum mehr Zeit für sie hat, jettet er doch im eleganten, schwarz lackierten Privatflugzeug, das an eine Riesenzigarre erinnert, um die Welt. Doch irgendwie lässt ihn die Geheimniskrämerei nicht zur Ruhe kommen, und als es die erste Leiche gibt, beginnt er ernsthaft mit Recherchen.
So weit, so gut. Bis hierher kann man diesen Film wirklich noch als Thriller erkennen, der in seiner Ästhetik zwischen gemütlich-schmuddeligen Brauntönen (Chevaliers abgehalfterte Vergangenheit und sein Zuhause) und Bildern in klaren, kalten Farben mit scharf geschnittenen Linien (die Welt des Jobs) wechselt. Und auch die Hauptfigur selbst hat zwei Seiten – hier der liebevolle und leicht verlorene Familienvater, dort der scharfdenkende, furchtlose Polizist, der zum Rächer der Entrechteten wird. Wild-West-Moral gekoppelt mit Agenten-Thriller-Stimmung. Aber halt nicht stimmig.
Und so sitzt man im Zuschauerraum und fragt sich zusehends, ob der Film nicht vielleicht doch eine Persiflage sein soll. Eine Parodie auf beide Genres? Dafür spricht die Redundanz mit der gewisse Eindrücke wiederkommen. Jérémie Renier muss eine Athletenkonstitution haben, so viel, wie der in diesem Streifen rennen muss. Die Ellbogen angezogen rast er in einem Höllentempo über die Leinwand, gegen Ende sogar mit Schulterschuss. Slapstick lässt leise grüßen. Und dann noch diese Szene gegen Ende der Story, als der einsame Kämpfer denn doch gegen den zweifelhaften Club seiner Auftraggeber gewonnen hat. In bester Sheriff-Manier schreitet er in angedeuteter Slow-Motion siegesreich von der hinter ihm lodernden Feuersäule weg, in der gerade ein Bösewicht verbrennt.
Doch für eine richtiggehende Parodie reicht das alles dann doch wieder nicht. Wollte Regisseur und Ko-Autor Andrea sich hier in Tarantino-Manier präsentieren und hat sich nicht richtig getraut? Oder meint er seine Inszenierung wirklich ernst? Für eine misslungene Parodie spricht auch die mehr als unrealistische Geschichte. Nicht dass man in einer dekadenten Welt keine Leute finden würde, die für das edel-grausame Produkt in den Koffern (was, darf hier nicht verraten werden) nicht Millionen bezahlen würden. Aber dass die Confrérerie ihren Versand so dilettantisch aufzieht, dass sie die Aufmerksamkeit zwangsläufig auf die dubiosen Aktivitäten ziehen muss, ist nicht realistisch.
Fazit für diese belgisch-französisch-luxemburgische (Red Lion) Koproduktion: Gutes Schauspiel (auch vom Luxemburger Marco Serafini), gut inszenierte Einzelszenen mit perfekter musikalischer Untermalung, ansprechendes ästhetisches Konzept. Doch leider kein kohärenter Film.