Beamte bei der Durchsuchung eines Tatorts, ein Mann in einem traumartigen Durcheinander, in dem hunderte Glühbirnen von der Decke zu wachsen scheinen, ein anderer, der als leere, gewaltvolle Geste ein unsichtbares Gewehr im Anschlag durch die Straße zieht. Die hintergrundbeleuchteten Fotografien Jeff Walls wirken oft wie Standbilder einer Kinoleinwand. Der 72-jährige Kanadier zählt unzweifelhaft zu den bedeutendsten zeitgenössischen Fotografen. Unter dem Titel Appearance sind einige seiner bedeutendsten Fotografien in Zusammenarbeit mit der Kunsthalle Mannheim im Mudam zu sehen.
Während sich die Arbeit der meisten Fotografen in Serien gliedert, steht bei Wall jedes seiner aufwändig inszenierten Bilder für sich. Der studierte Kunsthistoriker hat in seiner über 40-jährigen fotografischen Praxis 166 zumeist großformatige Fotografien veröffentlicht, von denen 27 nun als riesige Lichtkästen oder als Abzüge im Mudam ausgestellt sind.
Anlässlich der Eröffnung war Jeff Wall zu Gast in Luxemburg und zeigte sich im gut besuchten Gespräch mit dem französischen Kunsthistoriker Jean-François Chevrier als überaus reflektierter und eloquenter Künstler. Die Ausstellung, an deren Selektionsprozess er intensiv beteiligt war, erlaube auch ihm, die Bilder in den großen Räumen nebeneinander zu sehen, statt sie als fertige Einzelwerke aus seinem Studio zu verabschieden. Von der Tradition kleinformatiger Fotografie, in der Bilder im Hinblick auf eine Veröffentlichung in Magazinen erstellt wurden, und den daraus hervorgehenden Konventionen hebe er sich bewusst ab. Ab einer gewissen Größe werde jedes Bildelement zu Detail, was den Begriff des Details für seine Werke überflüssig mache. Tatsächlich ersetzt Wall das Bildelement durch einen formalen Aspekt: Nähert man sich Walls Bildern, bemerkt man die der Vergrößerung geschuldeten Unschärfen – die Körnung des Films wird auf dieser Skalenebene zum Detail.
Wall erklärt, ein wichtiger Einfluss sei das Kino gewesen, in dem die Übergänge von Fakt zu Fantasie fließend seien: „Mir wurde klar: als Filmemacher kann man gleichzeitig fantastische und realistische Filme drehen. Ich wollte, dass die Fotografie so frei wird. Es ist paradox, aber eine industrielle Kunstform hat uns etwas über künstlerischen Ausdruck beigebracht.“
Das Label der „staged photography“ für seine Fotografien, in denen selbst scheinbare Belanglosigkeiten inszeniert sind, erscheint Wall problematisch. Dabei ist die Auseinandersetzung mit dem Bühnenhaften eigentlich charakteristisch für seine Herangehensweise. Da ist das Werk mit dem Titel Monologue, das drei Männer am Rande eines Fußballfelds zeigt. Hier gesteht Wall ein, dass nur der Bilderhintergrund vor Ort aufgenommen wurde, während der Vordergrund als Bühne in seinem Studio entstand. Wie auf Godot wartend sitzen zwei der dunkel gekleideten Männer auf Holzstühlen, während ein dritter neben seinem Stuhl steht und seine Sitzgelegenheit so zu einem Bedeutungsträger macht, fast, als handele es sich um eine vierte Figur.
Überhaupt gehe es auch um die Präsenz dessen, was nicht im Bild zu sehen sei, sagt Wall. „Es war Beckett, der sagte, um ein Objekt richtig zu beschreiben, müsse man auch dessen fehlenden Teile erklären.“ Als Bildkünstler sehe er seine Arbeit nicht als Repräsentationen, sondern als „depiction“, als Darstellungen der Welt an.
Was hat es mit den hispanischen Messerwerfern auf sich, weshalb finden sich Seesterne in einem überfluteten Grab und was ist die Geschichte der drei wartenden Männer? Walls Motive irritieren, da sie sich einer unmittelbaren Interpretation entziehen; er betont, dass seine Interpretation nicht mehr wert sei als die eines Betrachters.
Eine Ausnahme macht Wall, als es um die bedrückende Atmosphäre des Werks Listener geht. Es zeigt einen Mann mit nacktem Oberkörper, der entkräftet auf einem sonnenbeschienenen Boden sitzt, umringt von grimmigen Männern. Das grelle Licht impliziere einen geografischen Kontext, erklärt Wall, er habe auf eine südliche Atmosphäre abgezielt. Durch Enthauptungsvideos und Kriegsreportagen aus dem Nahen Osten hätten wir alle entsprechende Konnotationen davon, wie sich die Szene von hier aus weiterentwickele. „Die Person in der Mitte wird zum Subjekt der Gruppe, das Gespräch ist vorbei, jetzt ist eine Handlung gefragt.“ Es ginge jedoch auch hier eher um die inszenierte Ästhetik einer Reportage als um die mutmaßliche Hintergrundgeschichte.
Entlang dieses Grenzbereichs zwischen theaterartiger Inszenierung, Reportage und Fiktion bewegt sich Wall, der die Bildkunst als grenzenlos erachtet. „Der Künstler hat nicht die geringsten Einschränkungen.“ In Walls außergewöhnlichen Fotografien stecken Stoffe aus Romanen, Literatur und erdachten Alltagsszenen. Der reichhaltige Inhalt dieser verblüffenden Werke multipliziert die Interpretationsmöglichkeiten. Schon allein deshalb ist es nur folgerichtig, dass seine Bilder so viel Raum einnehmen.