Der Winter 1918 und das Frühjahr 1919 gehören zu den aufregendsten Episoden der Landesgeschichte: Beim Abzug der deutschen Besatzungstruppen bildeten sich Arbeiterräte nach dem Vorbild der Sowjets, die gerade gegründeten Massengewerkschaften erkämpften den Achtstundenarbeitstag und das allgemeine Wahlrecht, demonstrierende Arbeiter belagerten das Parlament, die Republik wurde ausgerufen, die Großherzogin musste zurücktreten, die Armee meuterte.
Vor allem in den Industriestädten fehlte es während des Kriegs an Lebensmitteln. Gegen Kriegsende kam der Handel zusätzlich ins Stocken, weil das Geld ausging: Nach Jahrzehnten im deutschen Zollverein lehnten die Leute das ziemlich offizielle Zahlungsmittel, das deutsche Geld, ab, weil sie befürchteten, dass es wertlos würde, und zogen luxemburgisches Geld aus dem Verkehr, um es zu horten. Schon Ende 1916 gaben Escher Geschäftsleute ihren Kunden selbstgemachte Gutscheine als Wechselgeld. 1917 waren keine Luxemburger Geldscheine und Münzen mehr in Umlauf. Die Handelskammer warnte, dass der Tauschhandel wichtiger würde als die Geldwirtschaft. Kurz vor Weihnachten 1918 rief das Bistum im Luxemburger Wort seine Pfarrer auf, mit den „Neujahrsgeldern“ zu warten, bis Luxemburger Geld verfügbar würde, und den Dechanten keine Reichsmark mehr abzuliefern.
Weil er eine ständige Schikane im Alltag darstellte, drohte der Geldmangel, die explosive politische Stimmung zu verschärfen. Doch die Regierung, die unter der deutschen Besatzung im Amt geblieben war, reagierte zögerlich und ratlos, also gar nicht. Sie erwog, Kleingeld durch Briefmarken zu ersetzen, und veröffentlichte in der Presse Mitteilungen gegen die „Kleingeldhamsterei“. Bis dahin gab es nicht einmal ein richtiges nationales Zahlungsmittel. Das Münzprivileg war einer Privatbank, der Banque Internationale, überlassen worden, statt Banknoten gab der Staat lediglich Kassenscheine, Bons de caisse, aus. Schecks spielten im Alltag keine Rolle, von Kreditkarten gar nicht zu reden.
René Link, bis zu seinem Ruhestand für Papiergeld zuständiger Abteilungsleiter der Zentralbank, beschäftigt sich in einer schmalen Schrift mit einem Phänomen dieser Systemkrise, das bisher lediglich auf das Interesse von Numismatikern gestoßen war: dem Notgeld. Bereits am 3. Februar 1917 hatte die Arbed den liberalen Staatsminister Victor Thorn um die Erlaubnis gebeten, als Ersatz für die fehlenden gesetzlichen Zahlungsmittel eigenes Geld herzustellen, „Metallmarken von 1 bis 10 Pfennig“ als „Kleingeld-Ersatzmarken“, und zur „Auslöhnung unserer Arbeiter- und Beamtenschaft“ zu benutzen. Die Regierung lehnte den Antrag jedoch unter Verweis auf die Verteidigung des staatlichen Münzprivilegs als Hoheitsrecht ab.
Ein Jahr später wollten dann die Gemeindeverwaltungen von Echternach und Bettemburg Notgeld drucken lassen; im Herbst 1918 schrieben auch die Geschäftsverbände von Grevenmacher, Hollerich-Bonneweg, Esch-Alzette, Bettemburg, Eich und anderen Ortschaften an die Regierung. Weil sie keine eigene Lösung parat hatte, um die Krise des Zahlungsverkehrs zu entschärfen, machte die Regierung eine Kehrtwende und erteilte schließlich die Erlaubnis, Privatgeld zu drucken. So entglitt ihr ein weiteres Stück Hoheitsrechte und Staatlichkeit.
Denn bevor die Regierung Ende 1918 auch den Stahl- und Grubengesellschaften grünes Licht zum Druck eigenen Geldes gab, hatten offenbar schon diskrete Vorgespräche stattgefunden. Und anders als den lokalen Geschäftsverbänden ging es der Schwerindustrie nicht mehr darum, Kleingeld für die Bäckereien zu beschaffen, sondern Scheine, um die Löhne auszuzahlen. Ein Ausbleiben der Lohnzahlungen in den Schmelzen hätte in der Systemkrise vor dem Hintergrund der Oktoberrevolution in Russland und der Novemberrevolution in Deutschland möglicherweise zur sozialen Explosion geführt.
So setzten mit der halbherzigen Erlaubnis der Regierung die luxemburgischen Werke der Arbed, der Deutsch-luxemburgischen Bergwerks- und Hütten-AG, der Gelsenkirchener Bergwerks-AG und der Eisen- und Stahlwerke Steinwort Notgeld für insgesamt 7,5 Millionen Franken in Umlauf, so die Schätzung von René Link. Dieses Notgeld half, den Zahlungsverkehr aufrecht zu erhalten und wohl auch die soziale Lage vorübergehend zu entspannen. Obwohl die Post, die Eisenbahngesellschaften und die Geschäftsleute laut René Links Recherchen nicht immer bereit waren, Notgeld in Empfang zu nehmen.
Im Frühjahr 1919 hatte die Regierung schließlich bei einheimischen Druckereien Kassenscheine drucken lassen, gegen die das Notgeld eingetauscht wurde. War das Notgeld Symbol eines Bröckeln staatlicher Macht, drückte sein Einzug die erfolgreiche Stabilisierung des politischen und wirtschaftlichen Systems aus, bevor das Referendum über die Staatsform ausging wie geplant.
Von Dokumenten des Staatsarchivs und der Arbed bis hin zu numismatischen Katalogen hat Link alles zusammengetragen, was er finden konnte, um in seiner kleinen, feinen, reichhaltig und farbig illustrierten Monografie alle Aspekte des Notgelds, vom juristischen Status bis zum Druck und möglichen Fälschungsversuchen, beleuchten zu können. Hätte er seine Beschreibung durchgehend in den Zusammenhang der politischen und ökonomischen Wirren der Zeit zu stellen gewusst, wäre sie zur Parabel für eine Epoche historischer Umwälzungen und sogar spannend geworden.