Als vor gut einem Jahrhundert das Taschenbuch die Verbreitung der Literatur industrialisierte und damit demokratisierte, wurde das handwerkliche, seltene und teuere Künstlerbuch erfunden. Seit der digitale Fotoapparat und das Handy die Kosten für Film und Entwicklung entfallen lassen und Schnappschüsse um so billiger werden, je mehr man davon macht, gibt es auch die entsprechende Gegenbewegung, die Rückkehr zur Fotochemie, die sich wie die Romantik zur Französischen Revolution verhält.
Diese Gegenbewegung begann als technische Hochrüstung mittels quasi unbezahlbarem optischem Präzisionsmaterial und setzte sich als ironische Gegenbewegung zur Gegenbewegung mit demonstrativ untertreibenden Rollfilmkameras aus ehemals sozialistischen Staaten fort, hart an der Grenze zum Spielzeugapparat von der Schueberfouer. Die bekanntesten Produkte letzterer Gattung sind die russische Lomo (Ленинградское оптико-механическое объединение) und die chinesische Holga als billiges, sozialistisches Spielzeug für das junge, neue Proletariat der Werbebranche.
Für Tom Hermes, im Zivilleben Funktionär eines Unternehmerverbands, der der blinden Masse der Digitalfotografen trotzig „Film is not dead“ zuruft, ist der Griff zur bei Ebay ab 26 Dollar erhältlichen Holga und ihr betonter Effekt der Ärmlichkeit vor allem eine ästhetische Wahl, vergleichbar Lars von Triers sich für kurze Zeit authentisch und unschuldig gebenden Dogma-Bewegung gegen das hyperkinetische Digitalkino. Seiner Sammlung von 50 im Offset reproduzierten und sorgfältig von Hand in Pappschachteln verpackten Holga shots. A toy camera diary stellt Hermes das Zitat „Take things as they are. Punch when you have to punch. Kick when you have to kick.“ von Bruce Lee voran, dem Kung-fu-Schauspieler aus der Holga-Heimat, um mit der pragmatischen B-Lebensweisheit aus dem B-Movie eine Art B-Fotografie zu beanspruchen (und damit auch das „unechte“ Lomo-App für iPhones zu verwerfen).
Tatsächlich werden die schwarzweißen Porträts, Landschaftsaufnahmen, Urlaubsfotos, Tierbilder und weitgehend technikfreien Alltagsdetails durch die primitive Aufnahmetechnik verfremdet: die Bilder sind nicht ganz scharf, die Ränder sind nicht ganz aus-geleuchtet, die Kontraste sind nicht ganz ausgeprägt. So entsteht eine stille, nostalgische Melancholie, mit der gezielt ungeschickt von kleinen privaten, grauen Belanglosigkeiten erzählt wird, abseits der großen, bunten und lärmenden Belanglosigkeiten.