Letzte Woche endete die zweite Amtszeit des Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso. Zehn lange Jahre hat er dieses Amt ausgefüllt. Erst jetzt, an seinem Ende, wird er mit Respekt behandelt. Guy Verhofstadt, damals belgischer Ministerpräsident und leidenschaftlicher Verfechter eines europäischen Bundesstaates, hatte sich 2004 selbst als Kandidat ins Spiel gebracht. Die Staats- und Regierungschefs wollten alles, bloß keinen, der ihnen die Macht beschneiden wollte. Dass es Barroso wurde, galt als Überraschungscoup der damals noch die deutsche Opposition anführenden Angela Merkel.
In seiner ersten Amtszeit wurde Barroso als Schoßhündchen der Mitgliedstaaten betrachtet. Vom Initiativrecht der Kommission machte er so gut wie keinen Gebrauch. Dieses steht formal allein der Kommission zu, aber es ist der Europäische Rat, der die Leitlinien der Politik bestimmt. Von 2004 bis 2009 hütete sich Barroso irgendetwas zu unternehmen, das nicht vorab den Segen der Mitgliedstaaten, vor allem Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens hatte.
Schon diese Amtszeit war turbulent. Die EU musste den Big Bang, die Erweiterung der EU im Mai 2004 um zehn und drei Jahre später um zwei weitere Mitglieder auf dann 27 Mitgliedstaaten verkraften. Der Verfassungsvertrag scheiterte 2005 spektakulär in Frankreich und den Niederlanden, der Lissabon-Vertrag konnte 2009 nur mit Mühe gerettet werden. Zu diesem Zeitpunkt steckte die EU schon in einer handfesten Wirtschaftskrise, Ende 2009 begann die Euro-/Schuldenkrise.
Bevor Barroso im Herbst 2009 zum zweiten Mal vom EU-Parlament bestätigt wurde, musste er viel Kritik einstecken. Er selbst hat in einer Rede vor dem Thinktank Chatham House in London am 20. Oktober eingeräumt, dass er die Kultur des Parlaments zu Beginn nicht richtig verstanden habe. Daniel Cohn-Bendit sagte 2010, Europa verdiene etwas Besseres als Barroso, Guy Verhofstadt verlangte einen Bruch, denn die Kommission Barroso I sei kein Motor der europäischen Integration gewesen, und Martin Schulz warf ihm vor, dass er stets zu Diensten der Regierungen bereit gestanden habe. Laut Adriaan Schout, Wissenschaftler am Clingendael Institut in Den Haag, wurde Barroso von den EU-Parlamentariern als langsam, uninspiriert und unbedeutend charakterisiert. Mit dem Lissabon-Vertrag hatte er zudem zwei Konkurrenten bekommen, die die Macht der Kommission schmälerten: Van Rompuy als Ratspräsident und Ashton als Außenministerin.
Zwar gelang es Barroso nicht, in der Krise das Heft des Handelns an sich zu reißen, aber das schaffte das Parlament auch nicht. Es waren am Ende die Mitgliedstaaten und EZB-Präsident Mario Draghi, die den Euro retteten. Der britische Economist, nicht bekannt für große EU-Freundlichkeit, bescheinigte Barroso schon vor einem Jahr, dass seine Führung in der Euro-/Schuldenkrise seine größte Leistung gewesen sei. Angela Merkel drückte es in einer Abschiedsrede laut dem Deutschlandfunk so aus: „Du kanntest dich wunderbar aus in dem, was wir alles an Kompetenz an die EU abgegeben haben, und hast uns des häufigeren, wenn wir es vergessen wollten, daran erinnert.“
Barroso gilt als der, der die Bankenunion angestoßen und das Six Pack, die verschärften Gesetze zum Stabilitäts- und Wachstumspakt, innerhalb des normalen Gesetzgebungsverfahrens gehalten hat, was die Mitbestimmung des Parlaments sicherte, die am Ende dafür entscheidend war, dass es überhaupt zu schärferen Bestimmungen kam. Dass der Fiskalpakt allein von den Mitgliedstaaten beschlossen wurde, konnte er nicht verhindern. Eine Behandlung im Parlament hätte einen neuen EU-Vertrag vorausgesetzt.