Europäisches Parlament will Jean-Claude Junckers Kommission stützen

Kleine Rochade

d'Lëtzebuerger Land vom 10.10.2014

Das endgültige Ja des Europäischen Parlaments zur ersten Kommission Juncker sollte an diesem Donnerstag nach Redaktionsschluss dieser Zeitung fallen. Die stundenlangen Befragungen der neuen Kommissare durch die EU-Parlamentarier wird wohl niemand in Gänze verfolgt haben, dafür war der Unterhaltungswert doch zu dürftig. Die Anhörungen haben ein festes Ritual entwickelt, deren politischer Gehalt fraglich ist. Das „Wiegen“ der designierten EU-Kommissare, auch „Grillen“ genannt, ist nicht viel mehr als ein eingeübtes Schauspiel, das nach festen Regeln abläuft. Eine Regel lautet: Das Parlament muss etwas am Gesamttableau verändern. Eine zweite: besser eine bestätigte Kommission als eine abgelehnte. Kommission und Parlament sind aufeinander angewiesen, wollen sie mehr tun, als die Politik der Mitgliedstaaten umsetzen. Nutzlos sind die Anhörungen nicht, können sie doch grobe Fehlentscheidungen verhindern.

Der kluge Mann baut vor und so hat Jean-Claude Juncker einen Ungarn, der im eigenen Land die Pressefreiheit eingeschränkt hat, zum Menschenrechtskommissar ernennen wollen. Seine Sollbruchstelle hat das EU-Parlament prompt geknackt, der Mann wird in der Kommission bleiben, aber auf einem anderen Posten arbeiten. Eines hat Juncker damit schon erreicht: Alle Augen blicken auf Ungarn. Die neue Kommission wird sich in den nächsten fünf Jahren unter anderem darum kümmern müssen, dass die Demokratie in Ungarn nicht vollends zur Staffage verkommt. Die Mittel dazu hat sie und muss sie nutzen.

Sich selbst demontiert hat die slowenische Ex-Regierungschefin Alenka Bratušek. Juncker hatte kein Problem mit ihr, obwohl sie sich, gerade frisch abgewählt, selbst nominiert hatte. Bratušek ist nicht an dieser Unverfrorenheit gescheitert, sondern an ihren Fähigkeiten. Sie hatte den Fragen der Abgeordneten nichts als Sprechblasen entgegenzusetzen. Das war selbst für ein Parlament zu wenig. Wie’s geht, zeigte Kollege Hill. Aalglatt in seiner ersten Anhörung war er nirgends zu fassen. Politisch legte er sich auf nichts anderes fest, als die Arbeit seines Vorgängers weiterzuführen, eigene Positionen offenbarte er nicht. Die Frage, ob er als Mitglied des englischen Oberhauses seinen Eid auf die britische Königin mit seinen Verpflichtungen als Kommissar vereinbaren könne, rief bei Hill keinen Widerstand hervor. Der Wille der Königin und die neue EU-Kommission schienen ihm eins zu sein. Vielleicht bleiben die Briten ja in der EU, falls diese ihr Staatsoberhaupt als obersten Repräsentanten Europas adoptiert. Hill musste ein zweites Mal in die Bütt, die Abgeordneten konnten von seiner Prosa offensichtlich nicht genug bekommen. Der Vorwurf, er sei womöglich immer noch ein geistiger Banklobbyist, war nur ein Vorwand für eine parlamentarische Pirouette. Nach der zweiten Sitzung wurde Hill vom zuständigen Ausschuss bestätigt.

Glänzend aus der Affäre gezogen hat sich die designierte Außenministerin Federica Mogherini aus Italien. Sie machte nicht nur bella figura im Ausschuss, sondern schaffte sich auch aus dem Nichts eine eigene Machtbasis für eine zukünftige Außenpolitik der Kommission. Ihr Hauptbüro wird sie vom diplomatischen Dienst in die Kommission verlegen. Damit gibt sie zu verstehen, dass ihre erste Loyalität der Kommission gilt und nicht den Mitgliedstaaten im Rat. Sie wird den Außenministerrat als Kommissarin leiten und wenn sie ihre Stimme erhebt, wird dies die Stimme Europas sein, nicht die der Mitgliedstaaten. Lady Catherine Ashton hat in ihrer Zeit gar keine Stimme erhoben, nicht mal die der Mitgliedstaaten. Außer routinierten Pressemeldungen und Fototerminen der Atomgespräche mit dem Iran wird nicht viel von ihr in Erinnerung bleiben. Federica Mogherini ist ehrgeizig genug, eigene Akzente zu setzen. Mit der Rückendeckung von Juncker und einer Außenpolitik, die das Parlament hinter sich weiß, kann sie den Mitgliedstaaten mitunter vorangehen statt ihnen immer nur hinterherzulaufen.

Der ehemalige französische Finanzminister Pierre Moscovici durfte sich ebenfalls besonderer Beobachtung erfreuen. Vorwürfe, er haben keinen einzigen Etat vorlegen können, der den europäischen Regeln entsprochen hätte, konterte Moscovici damit, dass jeder seiner Etats die Zustimmung der Kommission erhalten habe. Selbst wenn er diese Frage zum 17ten Mal beantworten musste, bewahrte er seine Contenance, konnte sich seinen Spott aber nicht immer verkneifen. Politisch gibt es für Moscovici die Regeln und nicht als die Regeln. Die aber sind, zum Glück, „intelligent“. Was er damit meinte, wird er bei der Erledigung seiner Strafarbeiten – er musste eine Reihe weiterer Fragen schriftlich beantworten – vertieft haben. Sollte Juncker tatsächlich sein 300-Milliarden-Investitionsprogramm durchbringen, wird Moscovici leichtes Spiel haben. Kommt es anders, muss er gegenüber einigen Regierungen vielleicht direkter werden, als es ihm lieb sein wird. In seiner Anhörung betonte der Franzose immer wieder, dass die Kollegialität die „force unique“ der Kommission sei und dass sie seine Arbeitsmethode sei und nichts anderes. Damit hat er Juncker und seiner hierarchischen Strukturreform den Fehdehandschuh hingeworfen. Ihn so einzubinden, dass er immer das Gefühl haben kann, er sei es selbst, der entscheide, wird nicht leicht werden.

Juncker hat seine Kommission insgesamt mit Bravour durch‘s EU-Parlament gebracht, einer großen Koalition sei Dank. Der Europäische Rat wird die neue Kommission am 23./24. Oktober offiziell einsetzen, ihm bleibt das letzte Wort. Jean-Claude Juncker und Martin Schulz haben es geschafft, so etwas wie eine Aufbruchsstimmung zu erzeugen. In den zehn Jahren José Manuel Barrosos war es immer der Rat, der den Ton angegeben hat. Die neue Kommission hat die Chance, das Ruder selbst in die Hand zu nehmen.

Christoph Nick
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