Deutschlands EU-Skeptiker

Alternativlos

d'Lëtzebuerger Land vom 17.10.2014

Alternative. Es ist nicht gerade das Lieblingswort von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die ihre Politik gerne als alternativlos darstellt. Alternativlos zumindest für das konservative Klientel in Deutschland, denn im politischen Spektrum ließ sich bislang rechts von der Christdemokratischen Union (CDU) in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten keine Partei etablieren, die sich der Nähe zum Rechtsextremismus entledigen konnte. Nun soll es eine Alternative geben. Die Alternative für Deutschland (AfD). Mit ihr findet sich auch in Deutschland eine Entsprechung des zunehmenden Konservativismus in der Europäischen Union: rechtspopulistische Parteien und Gruppierungen im konservativen Spektrum, die Wahlerfolge erzielen können und es sogar bis in die Regierungsverantwortung schaffen. Was ein Paradoxon an sich ist, denn etwa über Erfolge bei den Europawahlen im vergangenen Mai sitzen europafeindliche Parteien plötzlich in dem Europäischen Parlament, das sie eigentlich abschaffen wollen. Ihre Parolen basieren auf Ängsten – in erster Linie xenophoben Parolen –, Momenten der individuellen Wohlstands- und Besitzstandswahrung und traditionellen Klischees.

In Deutschland wähnte man sich lange Zeit gegen diesen Trend gefeit, denn das konservative Klientel wurde einzig durch CDU und CSU bedient. Doch mit der Politik Angela Merkels die CDU zunehmend in der politische Mitte zu etablieren, sie sogar in einigen Themen zu sozialdemokratisieren und gerne in einer Koalition mit der SPD zu regieren, öffnete die rechte Flanke. Viele Erzkonservative fühlen sich von ihrer CDU nicht mehr verstanden und machen sich auf die Suche nach einer neuen politischen Heimat. Sie bilden das wichtigste Fundament bei den Wählern und bei den Funktionären der AfD. Zwei weitere finden sich einerseits im Niedergang der FDP, andererseits im Abgesang der rechtsextremen NPD. Neben diesen Wählerströmen gibt es, das zeigten die Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen im Spätsommer, zahlreiche Denkzettel-Wähler aus dem linken Spektrum.

Die AfD hat es einfach. Noch. Wie jede neue Partei kann auch sie eine Politik ins Leere hinein machen mit vielen bunten, unbezahlbaren, utopischen, phantastischen, Ressentiments schürenden, eurokritischen, europafeindlichen, Wohlstand suggerierenden, spaltenden und ausgrenzenden Wahlversprechen. Wohl wissend, dass sie diese kurz- und mittelfristig nicht in Regierungsprogramme umsetzen müssen. Das dies so bleiben wird, zeigt sich im Umgang mit der AfD seitens der etablierten Parteien, die sich pflichtschuldigst in der Stigmatisierung der neuen Partei üben. Allen voran die CDU. Die konservative Volkspartei erhob sofort einen Alleinvertretungsanspruch für das konservative Lager in Deutschland. Sie läuft damit in die gleiche Falle, in der sich auch die Sozialdemokraten befinden, die sich im Umgang mit der Partei Die Linke äußerst schwertut. Diesen Ausschließlichkeitsanspruch wird die CDU nicht lange aufrechterhalten können. Konservative Kurskorrekturen verkommen zur Kosmetik bei der CDU. Zu tief sind die Enttäuschungen bei den Konservativen.

In der Beurteilung der Zukunftschancen der AfD werden viele Parallelen zu den Piraten gezogen. Eine Partei, die vor drei Jahren das politische Spektrum in Deutschland gehörig aufmischte, den Einzug in die Länderparlamente in Berlin, Düsseldorf und Saarbrücken schaffte, von der heute aber niemand mehr spricht. Parallelen zwischen beiden Parteien sind marginal. Zu gerne wird übersehen, dass die Wähler der Piraten aus einem anderen soziologischen Milieu stammen als diejenigen der AfD. Hier gelten Beständigkeit, nicht der Wechselwille.

Gemeinsamkeiten gibt es dennoch: Die AfD kann – ähnlich wie die Piraten – nur an sich selbst zerbrechen. Ein erstes Anzeichen dafür ist das schnelle Wachstum der Partei bei fehlenden inneren Strukturen. In den ostdeutschen Landesparlamenten müssen Abgeordnetenplätze besetzt werden, doch Personal dafür kann die AfD nicht vorweisen – vor allem aber keine Politiker, die in der Partei „sozialisiert“ wurden, die die Politik der Partei kennen und für diese eintreten. So wurden eiligst Menschen aus anderen Parteien – gerne auch von der NPD – rekrutiert. Das Manko dabei ist jedoch, dass damit auch die Konflikte und Grabenkämpfe aus den anderen Parteien eingekauft wurden. Mit Folgen: In Brandenburg ist der erste Mandatsträger der AfD bereits aus der Fraktion ausgetreten und liebäugelt mit der NPD. Für die Listenplätze zu den kommenden Wahlen in Bremen und Hamburg werden „makellose“ Politikerinnen und Politiker gesucht, die nicht mit einer skandalträchtigen Vergangenheit aufwarten.

AfD-Chef Bernd Lucke weiß um dieses Dilemma: Auf der einen Seite möchte er seine Partei raus aus der Schmuddelecke führen. Auf der anderen Seite braucht er für die Erfüllung der Wähleraufträge Personal, das sich der Angriffe gegen die Partei erwehren kann, das Politik kann und sich im administrativen Alltag der Parlamentsarbeit bewährt. Er braucht vor allen Dingen auch Politikerinnen. Zwar bedient die AfD das Bild, dass die Frau vor allen Dingen am heimischen Herd ihr Glück und ihre Erfüllung finden sollte, doch weiß Lucke durchaus um die Lebensrealitäten. Denn gerade hier kann die AfD von den Piraten lernen, in deren Reihen man Frauen vergeblich suchte, was die Partei für Frauen nahezu unwählbar machte. Entgegen dem piratösen kurzen Sturm im Politikbetrieb erwächst mit der AfD eine Partei, die zum Korrektiv der CDU/CSU werden wird und den politischen Betrieb endgültig aus der Dichotomie der beiden Volksparteien herausführt.

Martin Theobald
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