Da kann man sich nur ungläubig die Augen reiben: Ausgerechnet das Centre pour l’égalité de traitement (CET) kann an der Tatsache, dass homo- und bisexuelle Männer in Luxemburg pauschal vom Blutspenden ausgenommen sind, nichts Anstößiges finden. Als Ausnahmeregelung zur Sicherheit der Patienten“ sei die Ausgrenzung zulässig, sagte Präsident Patrick de Rond dem Land. Das Kollegium hatte kürzlich ein Gutachten veröffentlicht, nachdem Schwulenorganisationen gegen den Ausschluss protestiert hatten. „[...] le don du sang n’est pas consideré comme un droit fondamental, mais constitue bel et bien un acte de générosité bénévole et non remuneré“, rechtfertigt das fünfköpfige Kollegium die Praxis. Im Juni 2009 hatte es mit dem Comité de surveillance du Sida gesprochen, die Schwulen selbst wurden in der Sache nicht angehört.
Dass das Aidskomitee zuvorderst die medizinische Sicherheit der Patienten im Blick hat und daher weit reichende Ausnahmen fordert, ist nachvollziehbar. Dass sich die Antidiskriminierungsstelle dieser Praxis anschließt, überrascht dann doch. Schließlich sind Deutschland und die Schweiz dabei, die Regelung zu überdenken, und haben Spanien und Italien den Generalverdacht bereits abgeschafft: Statt eine Gruppe pauschal des risikohaf-ten Sexualverhaltens zu verdächtigen, müssen homo-, bi- und heterosexuelle Spendenwillige dort Fragen zu ihrer Sexualität, ob ungeschützt, ob mit wechselnden Partnern, ob Oral- oder Analverkehr und so weiter beantworten. Der Qualität der Blutspenden hat das, ersten Meldungen zufolge, keinen Abbruch getan. Das Centre pour l’égalité de traitement weiß davon nichts oder will es nicht zur Kenntnis nehmen, behauptet es doch, dass „toute organisation de transfusion sanguine européen ou international maintient sa position actuelle“. Also Ausschluss.
Das passt in die Linie: Bislang ist das Gremium nicht eben durch mutige Positionen aufgefallen. Viele kennen es nicht einmal. Laut einer Umfrage von TNS-Ilres über Diskriminierung, die das CET vor zwei Jahren in Auftrag gegeben hatte, gab gerade einmal ein Prozent der Befragten auf die Frage, welche Einrichtung sie im Falle eines Verdachts auf Diskriminierung einschalten würden, das Zentrum an. Gleichwohl bescheinigten 48 Prozent der Befragten einer solchen Einrichtung einen „sehr großen Nutzen“. Präsident de Rond begründete dies damit, dass die Umfrage vor der Sensibilisierungskampagne stattgefunden hatte.
Interessanter ist, was nicht gefragt wurde: ob die Befragten mit den Handlungsmöglichkeiten, die das Zentrum hat, zufrieden sind, und ob sie diese für ausreichend halten. Laut Gesetz vom November 2006 darf das Zentrum beraten, für juristische Beratungen aber fehlt das Know-how – Direktorin Nadine Morgenthaler ist Politikwissenschaftlerin – und bei einem Budget von 89 000 Euro für 2010 (abzüglich der Funktions- und Personalkosten von rund 49 000 Euro) auch das Geld. Ein Klagerecht, um mutmaßliche Diskriminierungsopfer vor Gericht zu begleiten, gibt es ebenfalls nicht.
Eben diese fehlende Durchschlagskraft hatten Nichtregierungsorganisationen und Oppositionsparteien von Anfang an bemängelt. Wie schwer sich die schwarz-rote Regierung mit einer ernsthaften Antidiskriminierungspolitik tut, lässt sich nicht nur an ihrem Umgang mit dem CET ablesen – mit der Menschenrechtskommission teilt es das Schicksal, von der Politik bei wichtigen Gesetzen gar nicht erst um ein Gutachten gebeten zu werden. Sondern vor allem an der erheblichen Verspätung, mit der die Regierung die Brüsseler Vorgaben von 2000 zur Antidiskriminierung umsetzte. In den ersten Entwürfen fehlte die von der EU-Kommission vorgeschriebene Kontrollstelle, wegen der großen Verspätung musste Luxemburg dann Strafe zahlen.
An der Salamitaktik änderte sich trotzdem nichts: Die Luxemburger Version der EU-Richtlinie, die den gleichberechtigten Zugang von Frauen und Männern zu öffentlichen Dienstleistungen regelt, klammerte die Bereiche Bildung und Medien aus. Sie müssen nun nachgereicht werden. Auf der Liste der verbotenen Diskriminierungen fehlt zudem die Nationalität, obschon das Zentrum hierzu verhältnismäßig viele Beschwerden erhält. Einige betreffen diskriminierende Sprachregelungen am Arbeitsplatz, den Zugang zum Beamtendienst oder Beförderungen.
Viel Handhabe hat das CET nicht: Es kann nicht einmal Unternehmen, die im Verdacht zu diskriminieren stehen, zwingen, Stellung zu nehmen. Oppositionspolitiker und Zeitungskommentatoren hatten deshalb von einem „zahnlosen Papiertiger“ gesprochen. Auf der Antrittskonferenz im Juni 2008 auf das Manko angesprochen, hatte de Rond zugegeben, die Regelung sei verbesserungswürdig. Dabei ist es bis heute geblieben. Die Arbeit des CET konzentriert sich neben der Organisation von Rundtischgesprächen in erster Linie auf Beratungen mutmaßlicher Opfer von Diskriminierungen, um gegebenenfalls daraus Empfehlungen abzuleiten: Eines von fünf unter www.cet.lu veröffentlichten Gutachten befasst sich mit der Beschwerde eines Mannes, der sich durch Frauenangebote und Eintrittspreise einer Sauna diskriminiert fühlte. Das CET verteidigte die Existenz von Frauen-Saunatagen als „mesures de renforcement de sécurité et de prévention de harcèlement et/ou de violence“. Eine komische Logik: Wenn Saunaangebote für Frauen dazu dienen, sie vor Übergriffen böser Männer zu schützen, warum ist dann nicht jeder Tag ein Frauen-Saunatag?
So viel Eifer hätte man sich bei anderen, wichtigen Themen gewünscht: bei der Lohndiskriminierung beispielsweise. Das UN-Komitee für die Beseitigung der Diskriminierung von Frauen in New York hatte bei seiner Prüfung des Luxemburger Länderberichts „the absence of a Government strategy to address the issue“ kritisiert. Glaubt man der TNS-Ilres-Untersuchung, gibt es in der Bevölkerung Rückendeckung, hier mehr Druck auf Politik und Wirtschaft auszuüben: Neben der Benachteiligung aufgrund der Hautfarbe steht das Lohngefälle auf Platz zwei der Rangliste der „schweren Diskriminierungen“. 58 Prozent der Befragten hielten sie gar für eine „sehr schwere Diskriminierung“.
Strukturelle Benachteiligungen proaktiv anzuprangern, kommt den Gleichbehandlern vom CET jedoch weniger in den Sinn. Während in Deutschland und Frankreich auf Initiative der dortigen Antidiskriminierungsstellen Unternehmen anonyme Bewerbungen testen, um Diskriminierung am Arbeitsplatz schon bei der Rekrutierung zu verhindern, und Antidiskriminierungsbeauftragte bei Vermietern anrufen, um zu testen, ob sie Bewerber zurückweisen, weil sie nicht die „richtige“ Hautfarbe oder Herkunft haben, gilt für Luxemburg: Fehlanzeige. Man sei zunächste mit dem Aufbau beschäftigt gewesen, sagt Präsident de Rond entschuldigend. Er wartet derweil auf aussagekräftige Präzedenzfälle.
Dabei ist längst klar, dass beispielsweise viele Gebäude und Angebote für Behinderte im Rollstuhl oder mit Seh- oder Hörbehinderungen noch immer nicht oder nur eingeschränkt zugängig sind, den gesetzlichen Bestimmungen zum Trotz. Dumm nur, wenn sich die Gleichbehandler selbst schwer damit tun, den Vorgaben gerecht zu werden: Von sechs Rundtischgesprächen, die das Zentrum seit dem Frühjahr organisiert hat, soll Zeugenberichten zufolge nur eines, das über Behinderungen, zugängig für Rollstuhlfahrer sein. Mangelnde Rücksicht war dem Zentrum schon bei der TNS-Ilres-Diskriminierungsstudie vorgeworfen, weil Grenzgänger von der Befragung von vornherein ausgenommen waren.
Ein weiteres heißes Eisen dürfte das CET kaum anpacken anders als der Mainstream: Sollen homosexuelle Paare Kinder in Pflege nehmen oder adoptieren dürfen? Neben de Rond, Raymond Remakel von Info-Handicap, Netty Klein von der UEL und Anik Raskin vom nationalen Frauenrat sitzt Paul Kremer im CET-Kollegium. Der pensionierte Philosophielehrer ist Präsident des nationalen Ethikrates. Der hatte sich im Herbst 2009 gegen die volle Adoption durch homosexuelle Paare ausgesprochen, angeblich um das Wohl des Kindes zu schützen, das eine „männliche“ und eine „weibliche Referenzperson“ für die gesunde Entwicklung brauche. Und damit nicht nur schwule und lesbische, sondern auch alleinerziehende Mütter und Väter vor den Kopf gestoßen. Die Einschätzung sei vorläufig und könne sich in den kommenden Jahren ändern, tröstete Kremer. Vor zehn Jahren, auf einer Konferenz zur künstlichen Befruchtung, klang das anders: Aufgabe der Ethik sollte es nicht sein, an alten Vorstellungen festzuhalten, sondern nach Wegen zu suchen, um mit dem, was in Zukunft machbar sein werde, klarzukommen“, wurde Kremer damals vom Luxemburger Wort zitiert. Der alte Kämpfer ist müde geworden.
Andere müssen gar nicht älter werden, um nicht anecken zu wollen. De Rond beruft sich in Sachen Blutspende ebenfalls darauf, die Entscheidung könnte in „ein paar Jahren“ anders ausfallen. Aber wenn sogar das erzkatholische Italien und Spanien ihre Praxis mittlerweile geändert haben, worauf wartet Luxemburg dann noch?
Vielleicht ist dieses „principe de précaution“, wie Paul Kremer bei der Vorstellung des Ethikratgutachtens gemeint hatte, der wahre Grund, warum das CET vom höflichen und unauffälligen de Rond besetzt wurde und nicht mit einer Persönlichkeit wie zum Beispiel Serge Kollwelter. Die Bewerbung des ehemaligen Asti-Präsidenten, bekannt dafür kein Blatt vor den Mund zu nehmen, wenn es darum geht, Missstände wie Rassismus oder diskriminierende Gesetze anzuprangern, war von den Mehrheitsparteien CSV und LSAP abgelehnt worden. Die Ernennung von de Rond zum obersten Gleichbehandler der Nation, der sich vor seiner CET-Berufung die christlich-soziale Jugendsektion geleitet hatte und nicht unbedingt durch ein besonderes Engagement in punkto Antidiskriminierung aufgefallen war, überraschte selbst die, die es besser hätten wissen können: die Behindertenorganisation, bei der Patrick de Rond im Verwaltungsrat sitzt. Deren bevorzugter Kandidat Raymond Remakel war in der Abstimmung im Parlament im Sommer 2007 de Rond um fünf Stimmen unterlegen gewesen.
An einem Konstruktionsfehler kann aber selbst eine bekanntere Person mit mehr Mut zur Offensive als de Rond nichts ändern: Aufgabe der Antidiskriminierungspolitik, das sagt schon der Name, kann es nicht sein, einfach jemanden für den Abbau von gesellschaftlichen Diskriminierungen abzustellen. Es sind die Politiker, die Gesetze gegen strukturelle Benachteiligungen erlassen müssen. Man nehme die Diskussion „nicht auf die leichte Schulter“, hatte Familienministerin Marie-Josée Jacobs (CSV) anlässlich der Eröffnung des CET versprochen. Die Diskussion vielleicht nicht – und die politische Gestaltung?