Es ist ein bemerkenswertes Bekenntnis. Er habe auch „ein-, zweimal“ Kinder geschlagen, aber nie mit einem Gegenstand, gibt Mill Majerus im Interview zu. Das Land hatte den CSV-Abgeordneten nach seinen Motiven gefragt, sich als Kontaktperson für die kirchliche Telefon-Hotline cathol anzubieten, und wollte überdies wissen, wie er damit umgeht, dass er mit entscheidet, welche Fälle an die Justiz weitergeleitet werden.
Nun also das Geständnis. Majerus war zu jener Zeit Lehrer an einer Grundschule. Er sei mit den Schülern überfordert gewesen und deshalb sei die Hand ausgerutscht. „Heute weiß ich, dass das ein Fehler war“, bereut Majerus. Damals waren körperliche Strafen kein Tabu – das sei eine Erklärung, keine Entschuldigung, fügt Majerus nachdrücklich hinzu.
Tatsächlich gehörte die berühmte Ouerkaul noch bis weit in die 80-er Jahre zum Strafrepertoire vieler Lehrer und Pastoren, die sich nicht anders im Klassenraum durchzusetzen wussten. Was nicht bedeutet, dass sie erlaubt war: Dass Lehrer ihre Schutzbefohlenen nicht schlagen dürfen, regelte bereits ein Arrêté grand-ducal von 1843. Es ehrt daher den Politiker, dass er sein Fehlverhalten offen eingesteht. Auch dem Generalvikar habe er davon Kenntnis gesetzt, bevor er den Posten als Ansprechperson der Hotline annahm.
„Ich habe ihn eingestellt wegen seiner beruflichen Kompetenzen“, begründet Mathias Schiltz die brisante Personalie.
Die physische Gewalt habe zu dem Zeitpunkt noch nicht im Vordergrund der Hotline gestanden. Majerus sei von „tadelloser Ehrenhaftigkeit“, gerade auch in der Arbeit mit Opfern. In der Tat ist der CSV-Politiker nicht nur einer der bekanntesten Jugendschützer im Land, sondern war von 1990 bis vergangenes Jahr auch Präsident der Kontrollkomission der staatlichen Kinderheime in Dreiborn und Schrassig, und, fast schon Ironie, zudem Autor des Gesetzes zur Jugendhilfe – und das verbietet Erwachsenen erstmals die körperliche Züchtigung als Erziehungsmaßnahme. In seiner Funktion als Sexualwissenschaftler und Therapeut hat Majerus überdies zahlreichen traumatisierten Opfern geholfen. Vom Saulus zum Paulus also?
Das ist nicht das Problem. Auf Nachfrage räumt der Generalvikar ein, der früher ebenfalls Religion unterrichtet hat, der Kontaktstelle lege ein Zeugenbericht vor, wonach er vor seiner Zeit als Generalvikar ein Mädchen geschlagen haben soll. Er selbst könne sich daran nicht mehr erinnern. Und dann spricht er diesen Satz, der es in sich hat: Man könne den Menschen nicht ein ganzes Leben lang ihre „Jugendsünden“ vorhalten. „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“
Spätestens hier wird deutlich, auf was für tönernen Füßen die Aufklärungsarbeit der katholischen Kirche in Luxemburg immer noch steht. Es hätte eine ehrliche und offene Debatte über falsche Moral- und Erziehungsvorstellungen werden können. Über das Verhältnis von Kirche und Schule, Autorität und Machtmissbrauch. Über die Verantwortung von Religionslehrern und Pastoren in der Gesellschaft. Aber auch über Sühne und Vergebung. Majerus hat seine Vergangenheit von sich aus thematisiert.
Doch mit ihrer Entscheidung, ihn zum Kontaktmann ihrer Hotline zu ernennen, die endlich einmal die Sorgen und Nöte der Opfer in den Fokus stellen soll, verstößt die Kirchenführung gegen ein Grundprinzip der Arbeit mit Gewaltopfern: Die Rehabilitation
der Täter kann nur mit ihnen geschehen. Die Betroffenen allein wissen, ob und als wie schwer sie mögliche Übergriffe empfunden haben. Mit ihrer Personalentscheidung umgeht die Kirche, was Voraussetzung für eine ehrliche Auseinandersetzung ist: dass die Opfer entscheiden können. Gegenüber dem Land betont eine Betroffene, wie enorm wichtig und hilfreich das Gespräch mit Majerus für sie war. Verglichen mit dem, was viele Heimkinder erlebt haben, muss sein Vergehen wie eine Lappalie erscheinen.
Es ist wichtig, zwischen systematischen Demütigungen und Gewalt auf der einen Seite und gelegentlichen Kopfnüssen als
– inzwischen hoffentlich überholte – Erziehungsmethode zu unterscheiden. Körperliche Sanktionen durch Betreuer waren,
so traurig das ist, nach Meinung von Fachleuten bis in die 80-er Jahre hinein in Schulen, aber erst recht in Heimen nicht selten.
Ein Gewohnheitsrecht autoritärer Pädagogen, dem kaum jemand offen widersprach. Und trotzdem: Indem die Kirchenführung Majerus zu ihrer Kontaktperson macht, maßt sie sich an, beurteilen zu können, wie schlimm die Gewalt war. Der Bagatellisierung von Übergriffen auf Schutzbefohlene, die sie angeblich zu vermeiden bemüht ist, leistet sie damit Vorschub. Zumal sie die Personalie von sich aus gar nicht öffentlich gemacht hat.
Ines Kurschat
Kategorien: Gesellschaftspolitik, Kirche und Staat, Zeitgeschichte
Ausgabe: 01.07.2010