Der Forschung geht es gut in Luxemburg. Zumindest finanziell. Rund 155 Millionen Euro betrug das Gesamtbudget 2012. Zieht man Personal- und Funktionskosten ab, bleibt für die Forschung eine beachtliche Summe von rund 60 Millionen Euro. 27,2 Millionen sind Drittmittel. Eine „positive Entwicklung“ findet Professorin Luciënne Blessing von der Uni Luxemburg: Drittmittel einzuwerben, sei „eine der Hauptaufgaben von Forschern“. Blessing trat ihr Amt als Forschungsrektorin der Uni vergangenes Jahr an den Medizinprofessor Ludwig Neyses ab. Die Industriedesignerin und Ingenieur-Wissenschaftlerin sieht Drittmittel „als Gradmesser für die Forschungsqualität der Universität“, der es zunehmend gelinge, zusätzliche, kompetitive Mittel für Forschung einzuwerben, und die „attraktiv“ für in- und ausländische Auftraggeber sei.
Über mangelndes Interesse kann sich die Uni nicht beklagen: Sechs Lehrstühle wurden seit 2007 mit privaten Sponsorengeldern eingerichtet, etwa die von Arcelor-Mittal finanzierte Professur für Stahl und Fassadenbau, eine Finanz-Professur, die die Deutsche Bank gestiftet hat, oder der Lehrstuhl zu Menschenrechten von der Unesco.
Der Trend zu mehr Drittmitteln kann aber auch anders gelesen werden: Universitäten haben sich schon immer um externe Sponsoren bemüht. Vor dem Hintergrund einer anhaltenden Wirtschaftskrise aber werden Gelder für die Wissenschaft knapper. Forscher sind angehalten, neue Finanzquellen aufzutun, weil sich die öffentliche Hand aufgrund klammer Kassen zunehmend aus der Finanzierung zurückzieht.
Das reiche Luxemburg blieb von der dieser Entwicklung lange Zeit verschont. Der öffentliche Anteil stieg stetig und steigt noch immer, allerdings längst nicht mehr so rasant wie noch vor drei oder vier Jahren. So nahm der Anteil der öffentlichen Gelder am Gesamtbudget 2012 gegenüber dem Vorjahr lediglich um 2,8 Prozent zu. Dass die Uni finanziell dennoch sehr gut da steht, ist dem Zuwachs an Drittmitteln zu verdanken (plus 44,2 Prozent), allen voran vom Nationalen Forschungsfonds (FNR), der 2012 mit knapp 70 Prozent den Löwenanteil beisteuerte.
Dass die wachsende Bedeutung von Drittmittel eine Schattenseite haben kann, findet indes in den diversen Berichten keine Erwähnung. Lediglich im Tätigkeitsbericht des Uni-Forschungsbereichs Emacs für angewandte Lernforschung und Bildungsmonitoring ist der Druck auf die Forschung durch die Wirtschaftskrise Thema. Das Urteil von Emacs-Leiter Romain Martin ist vorsichtig optimistisch: „Resources have become scarce and, more so than in the past, society is demanding (as well it should!) that science delivers results that serve the common good“, steht im Vorwort zum Bericht. Martin sieht die geänderten Vorzeichen für die Forschung „als Herausforderung und Gelegenheit“ zugleich. „Völlige Freiheit gibt es in der Wissenschaft nicht. Die Gesellschaft hat das Recht, einer öffentlichen Uni Prioritäten mit auf den Weg zu geben“, kommentiert er den wachsenden Anteil von Auftragsstudien, etwa aus Ministerien. Er und seine Kollegen arbeiten mit dem Unterrichtsministerium zusammen, was nicht per se problematisch sei. „Das ist eine der Aufgaben der Politik. Nur muss die Zusammenarbeit transparent sein.“
Das ist leichter gesagt als getan. Von einer völligen Transparenz in Sachen Sponsoring sind Uni und Ministerien noch weit entfernt. Die meisten Forschungsbereiche nennen zwar die Geldgeber verschiedener Projekte, bleiben aber, wenn es um die Höhe der Zuwendungen geht, seltsam wortkarg.
Eine Ausnahme bildet die Ipse-Forschungseinheit unter Leitung von Urbanismus-Professor Christian Schulz, die in ihrem Aktivitätsbericht akribisch die Sponsoren auflistet. So erfährt die Leserin, dass für eine Untersuchung des Politikwissenschaftlers Philippe Poirier zum Populismus in Europa 550 500 Euro unter anderem vom Conseil de l’Europe zur Verfügung stehen. Oder dass das Erzbistum der Forschungseinheit das Projekt Edition de sources de l’histoire luxembourgeoise unter Leitung des Historikers Michel Margue mit 307 240 Euro unterstützt. Wer will, kann mit etwas Fleiß nachvollziehen, welche Professoren besonders eifrig Drittmittel akquirieren – und von wem. „Transparenz ist wichtig, deshalb machen wir uns die Mühe, das aufzuschlüsseln“, sagt Schulz im Land-Gespräch. Bislang werden die Drittmittel nicht zentral erfasst; jeder Forschungsbereich ist für das Sammeln und Verwalten der Daten selbst zuständig. Weshalb die Mitteilungsfreudigkeit mal mehr, mal weniger groß ausfällt.
EU-Stipendien und EU-Forschungsgelder gelten in punkto Einflussnahme und politischer Vorgaben allgemein als eher unverdächtig: Üblicherweise beantragt eine Forscherin ein Projekt, das in einem strengen, sehr kompetitiven Auswahlverfahren von einer externen Jury analysiert, bewertet und dann gegebenenfalls finanziell unterstützt wird. Die Prozedur ist langwierig. Um EU-Gelder für ein Forschungsprojekt zu bekommen, braucht es oft einige Monate Planung. Wertvolle Zeit, die vielen Forschern fehlt, die oft dazu in der Lehre tätig sind. So dass der Anteil der EU-finanzierten Wissenschaftsprojekte, trotz einer positiven Entwicklung (gegenüber 2011 stieg der Anteil an EU-Geldern an den Drittmitteln um 52 Prozent und liegt mit drei Millionen Euro über der gesetzlichen Vorgabe von zehn Prozent an den Drittmitteln), überschaubar bleibt.
Den größten Batzen steuert nach wie vor der Forschungsfonds FNR bei – besonders in den Humanwissenschaften nehmen Aufträge aus den Ministerien zu. Professor Christian Schulz sieht das gelassen. Er geht davon aus, dass die Uni sich mit zunehmendem Alter und wachsender Erfahrung im Umgang mit dritten Geldgebern „emanzipiert“.
Aber bis dahin ist es noch ein Weg. So gibt es in den Gesellschaftswissenschaften durchaus Wissenschaftler, die wegen ihrer engen Zusammenarbeit mit politischen Auftraggebern kritisiert werden, die „über das Ziel hinausschießen“, wie es ein Insider vorsichtig formuliert. Die Zusammenarbeit mit dem Staat birgt Risiken der Einflussnahme – und kann im schlimmsten Fall den Ruf der Forscher oder gar der Uni beeinträchtigen. Tatsächlich gibt es Untersuchungen, die von politischen Auftraggebern beanstandet und daraufhin überarbeitet wurden. Etwa die Studie zu den Grundschulzeugnissen (d’Land vom 5. Juli). Teils zu Recht, etwa wenn handwerkliche Fehler vorlagen. „Auch Wissenschaftler machen Fehler. Die wissenschaftliche Expertise liegt heute nicht mehr bei den Universitäten allein“, so der Vize-Direktor der Inside-Forschungseinheit Helmut Willems. Korrekturen aufgrund methodischer Mängel sind für Forscher vielleicht peinlich, kommen aber vor.
Dass Auftraggeber das Resultat vor der Veröffentlichung sehen wollen, ist nur zu verständlich und nichts Ungewöhnliches. Schwieriger wird es, wenn ein Auftraggeber mit den Ergebnissen nicht zufrieden ist und sie „nachgebessert“ haben will. Dem Leser erschließt sich diese nachträgliche Korrektur meist nicht: Oft sind inhaltliche Änderungen im Enddokument nicht ersichtlich. „Forscher beharren in der Regel darauf, dass das Veröffentlichungsrecht nicht allein beim Auftraggeber liegt“, so Willems. Ein Spannungsfeld, wie es Bildungsforscher Romain Martin nennt, das Verhandlungsgeschick erfordert. Und Prinzipien: „Wer eine bestimmte Studie unbedingt machen will, ist leichter korrumpierbar“, warnt Jugendforscher Willems. Eine weitere Sicherung ist die juristische Prüfung, die ohnehin bei jedem Vertragsabschluss der Uni mit einem externen Partner erfolgt.
Auch die Zusammenarbeit mit Forschern aus anderen Disziplinen sowie ein unabhängiger Wissenschaftsbeirat können helfen, mögliche Konflikte um die Unabhängigkeit der Forschung zu vermeiden und die Qualität zu sichern, sagt Willems. So einen Beirat zur Seite hatte Willems für sein Projekt Handbuch der sozialen und erzieherischen Arbeit der Luxemburg, eine Gemeinschaftsarbeit der Inside-Forschungseinheit und von Fachleuten aus dem sozialen Sektor hierzulande. Die Arbeit war von Uni und Europäischem Sozialfonds finanziert worden. „Einen Beirat einzurichten, ist zwar mit mehr Aufwand verbunden, der sich aber lohnt: So bekommt das Projekt mehr Legitimität“, betont Willems. Last but not least könnten – und würden – Projekte, deren Sponsoring möglicherweise Interessenkonflikte mit sich bringen, innerhalb des Forschungsbereichs selbst thematisiert. So können Kolleginnen und Kollegen kritisches Feedback geben und gegebenenfalls auf Risiken hinweisen.
Professor Romain Martin, der für Luxemburg die Pisa-Bildungsstudie der OECD verantwortet, betont ebenfalls, wie wichtig klare Absprachen und Regelungen zwischen den jeweiligen Vertragspartnern sind: „Wir bestehen darauf, dass wir unsere wissenschaftlichen Ergebnisse unverfälscht präsentieren können – wenn es sein muss, eben in geteilten Pressekonferenzen.“ Ein Kompromiss, mit dem beiden Seiten leben können: Die politisch Verantwortlichen können eigene Akzente setzen, die Wissenschaftler behalten das Recht, Fehlinterpretationen zurückzuweisen.
Dass Auftraggeber eigene Interessen verfolgen, kann Wissenschaftler vor schwierige Entscheidungen stellen. Was, wenn wegen Finanznot oder politischem Druck bestimmte Forschungsprioritäten im Sinne eines Geldgebers gesetzt werden – und anderes unerforscht bleibt, weil es politisch nicht als relevant oder sogar als störend bewertet wird?
Im jüngsten Historikerstreit um die luxemburgische Verwaltungskommission ist schon länger bekannt, dass hiesige Behörden mit den deutschen Besatzern zusammenarbeiteten und so halfen, jüdische Mitmenschen an die Nazis auszuliefern. Und dennoch hat es bis Frühjahr 2013 gedauert, ehe das Staatsministerium Historiker der Uni damit beauftragte, diese zwiespältige Rolle genauer zu untersuchen.
Die Frage, welchen Stellenwert Luxemburger Forschungsthemen innerhalb der Gesellschaftswissenschaften einnehmen sollen und welche Schwerpunkte zu setzen sind, sorgt seit Gründung der Uni immer wieder für Kontroversen und hitzigen Diskussionen, nicht nur wegen der damit eng verbundenen Finanzierungsfrage. Denn bisher werden der Erfolg und die Relevanz eines Forschungsprojekts vor allem daran gemessen, welche Veröffentlichungen daraus in welchen international anerkannten Wissenschaftsmagazinen erfolgen und wie oft das Projekt zitiert wird. Für Wissenschaftler, die dezidiert luxemburgische Phänomene untersuchen, ist das eine kniffelige Angelegenheit: Denn dass renommierte Wissenschaftsmagazine Interesse an Luxemburg-spezifischen Forschungsergebnissen haben, kommt vergleichsweise selten vor. Doch auch solche Forschungen kosten Zeit. Zeit, die für prestigeträchtigere Projekte verloren geht. Gerade für junge Wissenschaftler, die sich noch keinen Namen gemacht haben, oder für Professsoren, die zudem unterrichten, ist das eine schwierige Entscheidung. Nicht wenige fordern daher, den Kriterienkatalog dessen, was qualitativ hochwertige und relevante Forschung ausmacht, zu überdenken und um andere Faktoren zu erweitern.
Solche Konflikte um Forschungsschwerpunkte, dahinter liegende politische oder private Interessen, werden von der Luxemburger Presse bislang noch wenig aufgegriffen – was nicht zuletzt auch daran liegt, dass kritischer Wissenschaftsjournalismus in Luxemburg eher selten ist und Journalisten ihre Sinne schärfen und Expertise in diesem Feld selbst noch sammeln müssen. Aber bis zum nächsten Zehner-Geburtstag bleibt noch ein wenig Zeit.