Die Entstehung der englischen Sektion im Lycée Michel Lucius ist einem Zufall geschuldet. Vor bald sechs Jahren suchte das Unterrichtsministerium Unterschlupf für eine internationale Klasse aus dem Athenäum. Die Limpertsberger nahmen die Herausforderung an und sprangen kurzfristig ein. Daraufhin begann die Schulleitung zu untersuchen, wie groß die Nachfrage sei und welches Schulangebot sie den Schülern, die im regulären Luxemburger Schulbetrieb mit den Sprachanforderungen kämpfen, machen könnte. Bac International? Sie entschieden sich letztlich für das britische System, indem ein General Certificate of Secondary Education (GCSE) die Vorstufe zu den A-Levels – „A“ für Advanced – bildet, die von den Universitäten als Eintrittsticket verlangt werden.
Das englische System sei weltweit anerkannt, die englische Sprache von immer größerer Bedeutung, erklären Direktorin Pascale Petry, ihr Stellvertreter Daniel Redinger sowie die Mitarbeiter Chris Chapman und Robert Goedert ihre Wahl. Dafür sprach auch das große Angebot an Unterrichtsmaterialien und Weiterbildungen für Lehrer.
Heute besuchen 401 Schülerinnen und Schüler die englische Sektion des Lycée Michel Lucius. Ein Viertel davon sind Muttersprachler, insgesamt sind 60 verschiedene Nationalitäten vertreten. Von A wie Afghanistan, bis Z wie Zimbabwe. Dabei bilden diejenigen, die einen Luxemburger Ausweis besitzen, mit 71 Schülern die größte Gruppe, erst danach folgen 63 Briten und 36 Portugiesen. „Auch in Portugal ist die erste Fremdsprache mittlerweile Englisch und nicht mehr Französisch“, bemerkt Pascale Petry. 40 Prozent der Schüler waren mindestens ein Jahr im Luxemburger Schulsystem, die Mehrheit hat noch nie die Luxemburger Regelschule besucht.
Wer in Luxemburg „englisch“ und „Schule“ denkt, hat oft die Privatschulen St. George und Interna-
tional School Luxembourg (ISL) vor Augen und die Kolonne an teuren Wagen, die die Eltern jeden Morgen davor bilden, um ihre Kinder abzusetzen. Ob ein englisches Angebot eher etwas für die Kinder reicher Manager aus dem Ausland ist? Und für die Kinder von Eltern, die gerne Geld für eine exklusive Bildung ausgeben? Für Pascale Petry ist es eine Frage der Chancengleichheit, dass die öffentliche Schule allen Kindern ein Angebot macht. Auch syrische und irakische Schüler besuchen den englischen Unterricht im Michel Lucius. „Wenn wir hier jemanden bis zu den A-Levels bringen und damit Zugang zum Studium geben können, der im Regelsystem wegen seiner fehlenden Sprachkompetenzen ins Modulaire orientiert wurde, finde ich das gut“, sagt Petry.
Die Sprache ist längst nicht der einzige Unterschied zwischen der Luxemburger Regelschule und der englischen Sektion. Das pädagogische Konzept, formulieren es die Verantwortlichen der Schule vorsichtig, beruht weniger auf Reproduktion, sondern fordert die Kreativität der Schüler sowie ihre Selbstständigkeit. „Sie müssen viel selber machen.“ In beiden Systemen erfolgt der Abschluss nach sieben Jahren. Haben die Schüler im Luxemburger System vor den Abschlussexamen noch Unterricht in bis zu 13 verschiedenen Fächern, wählen die Schüler im englischen System auf der 2e vier und auf der 1ère drei Fächer. „Bei acht Stunden Unterricht pro Fach in der Woche, geht das viel mehr in die Tiefe“, erklären die Lehrer. Dabei ist das System auch sehr viel flexibler in der Fächerkombination, die im Vergleich den Luxemburger Standard-Fächerblöcken manchmal ein wenig exotisch erscheinen kann.
Die Fächerauswahl ist gleichzeitig eine viel gezieltere Vorbereitung auf die Studienfachwahl an der Uni. Weil die Fächerauswahl damit eine größere Bedeutung bei der Orientierung insgesamt zukommt und sich der Bewerbungsprozess an britischen und irischen Unis über ein Jahr zieht, ist das Lycée Michel Lucius ist in der Zwischenzeit zum Zentrum des Universities and Colleges Admission Service (UCAS) geworden, das die Bewerbungen an den Unis zentral verwaltet. „Die Schüler der englischen Sektion entscheiden nicht erst nach den Examen, was sie studieren“, sagt Petry. Die Erfahrungen, die bei der Orientierung im englischen System gesammelt werden, nehme das Lehrpersonal, das in beiden Systemen unterrichtet, mit in die Regelschule. Viel mitzunehmen gebe es auch im Umgang mit Lernschwierigkeiten und Behinderungen. Das sei im englischen System sehr viel selbstverständlicher.
Dass sich die Schülergruppen mischen und es keine Segregation auf dem Schulhof gebe, sei „kein Selbstläufer“, so die Verantwortlichen der Schule. Aber im Schülerkomitee seien beide Sektionen paritätisch vertreten und man versuche die Schülergruppen überall da zu mischen, wo es geht. Beim Sport zum Beispiel und in den verschiedenen Fächerdepartments – feste Klassensäle haben die Schüler nicht mehr – würden sie auch aufeinandertreffen.
Insgesamt sei die Bindung von Eltern und Schülern an die Schule durchaus höher als in der Regelschule. Das erkläre sich dadurch, dass die Schule für Familien, die oft umziehen, ein Fixpunkt ist. Neuangekommene Eltern müssen sich überhaupt erst einmal informieren, wie die Schule funktioniert, stellen viele Fragen und bringen sich ein. Wo andere nachmittags im Dorfverein Fußball spielen sei die Schule für Schüler, denen Luxemburgisch oder Französisch als Kommunikationssprache fehlt, auch der Ort, der ihnen außerhalb des Unterrichts Möglichkeiten bietet. Zum Sporttreiben oder zum Musizieren beispielsweise. Auch deshalb sei die Bindung an die Schule größer als gewöhnlich.
Das Lycée Michel Lucius bietet für Kinder aus dem Luxemburger Schulsystem, die mit zwölf noch keinen Englischunterricht hatten, eine 7e Immersion an. Das erst vergangenen Dezember gestimmte Gesetz, das der Englischsektion im Lucius eine rechtliche Grundlage gibt, sieht außerdem vor, dass das Angebot auf die Grundschule ausgeweitet wird. Nächsten Herbst soll es losgehen. Bereits jetzt liegen fast 130 Einschreibungen vor. Um die Grundschüler zu betreuen, müssen zwölf neue Lehrerinnen und Lehrer eingestellt werden. Nach Ostern will Unterrichtsminister Claude Meisch den Standort der neuen Schule bekanntgeben.