Wer die Denkfabrik des Bildungsministeriums besuchen will, muss nach Walferdingen fahren. Dort, hinter den Mauern des Schlosses, wo bis vor Kurzem angehende Lehrkräfte büffelten, hat der Service de la coordination et de la recherche pédagogiques et technologiques (Script) sein Zuhause gefunden. In hellen Räumen finden auch die Treffen der Arbeitsgruppe Sprachen statt. Wobei Arbeitsgruppe es nicht ganz trifft. Die AG Langues ist ein Steuerungskomitee, das Untergruppen koordiniert, die derzeit daran feilen, ein durchgängiges Sprachenkonzept von Kindergarten bis Sekundarstufe zu erstellen.
Dass Handlungsbedarf im Sprachenunterreicht besteht, ist ein alter Hut. Ex-Bildungsministerin Mady Delvaux hatte 2006 mit einem Aktionsplan versucht, den Sprachenunterricht neu zu denken. Nachfolger Claude Meisch (DP) unternimmt jetzt einen neuen Versuch: Mit dem Plan, Luxemburgisch und Französisch in Crèche und Spillschoul zu fördern, sind bekannte Fragen erneut auf dem Tisch: Wie sollen Précoce und Préscolaire vorbereiten? Welchen Stellenwert für Luxemburgisch, Deutsch und Französisch in der Grundschule? Wie klappt der Übergang zu Sekundarstufe und Berufsschule?
Um die Aufgabe anzugehen, wurde im Ministerium unter der Leitung von Flore Schank die AG Langues eingerichtet: Hier, etwas abgeschieden, treffen sich Mitarbeiter des Script, Beamte des Ministeriums, Ausbilder und Lehrer zu Beratungen. Bei Bedarf werden Wissenschaftler hinzugezogen. „Wir wollen ein kohärentes Konzept erstellen und fangen bei der frühkindlichen Erziehung an“, sagt Christian Lamy, Vizedirektor des Script.
Die Überlegungen sind dort am weitesten fortgeschritten: Das Konzept steht seit Frühjahr 2016, die Gesetzesänderung liegt dem Parlament zur Beratung vor (siehe Seite 24), einige Pilotkindergärten testen die neuen Vorgaben im Praxistest. Es gibt Fortbildungen für das Erziehungs- und Lehrpersonal – glaubt man Koordinatorin Flore Schank ist das Interesse groß und das Feedback überwiegend positiv. „Im Mittelpunkt steht die sprachliche Entwicklung. Die Erzieher sollen in authentischen Situationen den Kindern spielerisch Luxemburgisch und Französisch nahebringen.“ Ob ein 32-Stunden-Crashkurs allerdings ausreicht, um Sprachförderung auf hohem Niveau anzubieten, sei dahingestellt.
Eine der Sorgen, die Erzieher, Lehrer und Eltern äußern: Wie können Kleinkinder an Sprachen herangeführt werden, ohne sie mit Vokabeln und Leistungsvorgaben zu triezen? „Es geht nicht um formales Lernen. Spielerische Sprachaktivitäten sind gefragt“, betont Schank. Die Koordinatorin bedauert, dass es offenbar Verwirrung um den Stellenwert des Luxemburgischen beim Übergang zwischen Kindergarten und Schule gibt. Denn Meischs Ansatz stellt das herkömmliche Modell nicht grundsätzlich in Frage: Die Alphabetisierung erfolgt weiterhin in Deutsch, Französisch wird das nächste sprachliche Standbein bleiben. Die Frühförderung dient dazu, alle Kinder – nicht-luxemburgisch- und luxemburgischsprachige – an die Sprachanforderungen in der Schule heranzuführen. Weil aber Précoce und Préscolaire laut Gesetz bisher hauptsächlich der Annäherung an Luxemburgisch dient(e), wird das Aufgabenfeld der Vorschullehrer erweitert: Künftig sollen sie überdies an Französisch heranführen, steht in der Vereinbarung, die Lehrergewerkschaft SNE und Ministerium im Herbst unterzeichnet haben. Als die Nachricht von Französisch in der Crèche die Runde machte, reagierten viele mit Schrecken. Nicht zuletzt deshalb, weil Französisch oftmals eher als lästige Pflicht gesehen wird, denn als spielerisches Vergnügen. Was damit zu tun hat, wie Französisch in der Schule unterrichtet wird: formalisiert, mit rigiden Vorgaben und oft noch zu abstrakt. Um das zu ändern, ist die Arbeitsgruppe Fondamental dabei, die Materialien in Vor- und Grundschule zu überarbeiten. „Wir arbeiten mit Lehrern zusammen und beziehen ihre Erfahrungen ein“, betont Script-Mitarbeiterin Caroline Lentz. Im zweiten Zyklus falle das leichter, weil es dort nicht sehr viel auf Luxemburg zugeschnittenes didaktisches Material gibt.
Im Zyklus 2 lernen Kinder Schreiben auf Deutsch. Damit Französisch während der Zeit nicht aus Unterricht und Alltag verschwindet, soll es im zweiten Zyklus „vom ersten Tag an“ seinen Platz im Stundenplan finden: „Wir überlegen, jeden Tag eine Einheit Französisch vorzusehen, statt an einem Tag pro Woche ein oder zwei Stunden. Das bringt mehr“, erklärt Christian Lamy. Das wäre ein Novum: statt Sprachenunterricht als das Einüben einer einzelnen Sprache mit festem Platz im Stundenplan zu begreifen, würde dieser für geöffnet und durchlässiger gemacht für Input aus anderen Sprachen – wobei der Akzent auf dem Erlernen des Alphabets in Deutsch bleibt. „So können Brücken zwischen den Sprachen entstehen“, sagt Flore Schank.
Es ist keine leichte Aufgabe, die auf die Lehrer zukommt. In Luxemburgs Grundschulen sitzen Kinder aus alller Welt: Portugiesen, Kap-Verdier, Chinesen, Kinder aus dem Balkan, dem Nahen Osten. Etwa zwei Drittel sprechen daheim kein Luxemburgisch, jene „Integrationssprache“, die eigentlich die Brücke zur Alphabetisierung in Deutsch schlagen soll. Zu häufig verlieren Kinder hier bereits den Anschluss. Sprachforscher wie Constanze Weth von der Uni Luxemburg (S. 31) empfehlen, Deutsch als Fremdsprache zu unterrichten, um so das phonologische Bewusstsein und das Wissen um Satzstrukturen zu stärken. „Der Plan d’études zielt in diese Richtung: Es geht vor allem um angewandte Kommunikation“, betont Flore Schank.
Stärker auf Methoden von Sprachbewusstheit zu setzen, also Kindern Ähnlichkeiten und Unterschiede verschiedener Sprachen nahezubringen, was ihnen hilft, besser zu verstehen, wie Sprache funktioniert, will auch die Arbeitsgruppe Fondamental, obschon Caroline Lentz die Bezeichnung Fremdsprache hinterfragt: „Für Luxemburger Kinder ist Deutsch keine Fremdsprache. Grundsätzlich sind wegen unserer Sprachensituation Begrifflichkeiten wie Mutter- und Fremdsprachen nicht immer hilfreich.“ Der Verweis auf die besondere Luxemburger Sprachensituation war (und ist es noch) für Kritiker oft ein Vorwand, nichts am bestehenden System zu ändern.
Dass die Anforderungen und Methoden in der Grundschule überarbeitet gehören, dass mehr Akzent auf die Vermittlung von Deutsch und Französisch für Nicht-Muttersprachler gelegt werden muss, ist Konsens in der Arbeitsgruppe, von deren Inhalte bisher nicht viel die Öffentlichkeit erreicht hat. Claude Meisch hat mehr Flexibilität beim Französischlernen in Aussicht gestellt, um ausländischen und luxemburgischsprachigen Schülern zu ermöglichen, sich der Sprache behutsam anzunähern und so mehr Zeit für den Sprachenerwerb zu gewinnen. Inzwischen gibt es in Vor- und Grundschulen viel versprechende Ansätze, wie beispielsweise Satzbau veranschaulicht werden kann, wie Sprachen(-bewusstsein) beim Erlernen französischer Wörtern und Regeln hilft, ohne dröge Grammatikkapitel abzuhaken. Sie sind nur wenig bekannt. Ihre Erfahrungen sollen auch in die Überarbeitung der Schulmaterialien einfließen. Flore Schank und Caroline Lentz sind optimistisch: „Wir hoffen, dass wir den zweiten Zyklus bis zur Rentrée 2018 abschließen können.“
Parallel laufen die Vorbereitungen, um die Zyklen 3 und 4 zu überdenken. Hier sollen die Schulmaterialien ebenfalls modernisiert werden. Spannend dürfte sein, welche Rolle die Unterrichtssprache(n) im durchgängigen Sprachenkonzept einnehmen wird: Bislang ist es Deutsch in der Grundschule, in der Sekundarschule erfolgt der Wechsel auf Französisch (die Berufausbildung ist traditionell in Deutsch, wobei sie zunehmend auch in Französisch angeboten wird). Dies geschieht mit der Überlegung, Schülern Zeit zu geben, die jeweiligen Sprachen auszubauen. Ob eine strikte Trennung, in der jede Sprache einzeln unterrichtet wird und die Unterrichtssprache vom Gesetzgeber vorgeschrieben ist, weiter Sinn macht, dazu hielten sich die Script-Vertreter im Land-Gespräch bedeckt: In Wirklichkeit wird im Unterricht zur besseren Verständigung häufig Luxemburgisch oder Französisch gesprochen. Einige Lyzeen sind dazu übergegangen, Mathe auf Deutsch anzubieten, „damit es um Mathe geht, und nicht um Französisch“, wie die Lehrer argumentieren (S. 25).
In der Arbeitsgruppe Secondaire sitzen Deutsch- und Französischlehrer aus Sekundar- und Grundschule, koordiniert wird sie von Caroline Lentz, die zuvor im Ministerium in der Sekundarschulabteilung gearbeitet hat. Die Mitarbeiter halten sich mit konkreten Aussagen zurück, man sei noch beim Brainstorming. Das ist wohl die halbe Wahrheit: Die Behutsamkeit erklärt sich auch dadurch, dass man Missverständnisse im Vorfeld vermeiden will. Allerdings stellt sich die Frage, ob eine Reform des Sprachenunterrichts mit so weitreichenden Folgen für die (Schul-)Ausbildung tausender Schüler, einem Minister und einer Arbeitsgruppe überlassen werden sollte – und ob es nicht besser wäre, ein solches Vorhaben parteienübergreifend vorzubereiten, um so früh den größtmöglichen politischen Konsens zu erzielen. Unvergessen die emotionalen, teils polemischen Streitereien, als die vorige Erziehungsministerin die Sekundarschulen (und den Sprachenunterricht) modernisieren wollte.
Elemente finden sich in der abgespeckten Reform zur Sekundarstufe wieder, die dem Parlament vorliegt, etwa die unterschiedlichen Sprachniveaus. „Der Entwurf gibt den Schulen Instrumente an die Hand, das Sprachangebot zu diversifizieren“, sagt Christian Lamy, der sich von der Digitalisierung Impulse für die Didaktik und Methodik auch im Sprachenunterricht verspricht. Das Mehr an Autonomie sorgt für bereits Bewegung: Vor allem technische Lyzeen versuchen, sich durch innovative Sprachenangebote abzuheben, seien das A-Levels am Lycée Michel Lucius oder Bac International am Lycée Technique du Centre und am Athenäum. Nicht nur das: Mit kompetenzorientierten Basis- und Fortgeschrittenenkursen und neuen Gewichtungen auf der Zeugnisnote würde es möglich, unterschiedlich starke Sprachen auszubilden – und trotzdem weiterzukommen. (Bisher gilt die Lockerung nur für den Technique).
Im Classique ist die Situation anders. Zum einen ist die Vielfalt der Schüler dort nicht so groß, weil Schüler nur dann im Classique aufgenommen werden, wenn sie ein bestimmtes Sprachniveau haben, sodass der Handlungsbedarf zunächst nicht so dringlich scheint. Zudem liegen als geplante Maßnahmen das Abspecken des Examens mit weniger Prüfungsthemen sowie der Lehrpläne auf dem Tisch. Meint es Minister Meisch ernst mit besseren Bildungschancen für alle, gehört der Stellenwert der Sprachen dort aber ebenfalls auf den Prüfstand. Beim Zank um die Sekundarschulreform war der Widerstand der Sprachlehrer aus dem Classique und der Programmkommissionen am heftigsten. Daher dürfte dies die härtere Nuss sein, die es zu knacken gilt. Christian Lamy verweist auf die Steuerungsinstrumente wie die obligatorischen Entwicklungspläne sowie mehr Spielraum für die Schulen, eigene Akzente zu setzen. Auch werde man versuchen, „einen roten Faden in die Programme“ zu bringen, sagt Flore Schank, ohne präziser zu werden.
Die Arbeitsgruppe will selbstverständlich keine Konfrontation, sondern sucht den Dialog: Auf einer Journée des langues am 16. Mai für die Sekundarschulen soll das kontroverse Thema in Mittelpunkt stehen und debattiert werden. Die Verantwortlichen hoffen, inhaltliches Input zu bekommen für eine möglichst konstruktive Dynamik, ähnlich wie in Vor- und Grundschule. Dafür müssten sie allerdings Klartext reden. Noch etwas macht ihre Aufgabe nicht eben leichter: Spätestens ab Frühjahr 2018 beginnt der Wahlkampf. Der Sprachenstreit, so viel zeichnet sich bereits ab, wird ein zentrales Thema sein, auf dem die Parteien mobilisieren werden.