Nicht die Wahlkampagne der Parteien, sondern die zornigen Zeilen eines enttäuschten Beamten des Wohnungsbauministeriums haben den Streit um bezahlbaren Wohnraum in Luxemburg erst richtig entfacht. Constant Kiffer ist im Wohnungsbauministerium für Kommunikation und Pressearbeit zuständig und sorgt nun im Tageblatt selbst für Schlagzeilen. Unter der Überschrift: „Fonds du logement bedarf dringender Reformen“ stellte Kiffer, der bis Ende Dezember 2012 selbst Mitglied im Verwaltungsrat eben jenes Fonds war, fest, dass sich fast vier Jahrzehnte nach der Gründung des Fonds du logement (FDL) der Bedarf an erschwinglichen Wohnraum nicht verringert hat, „ganz im Gegenteil“.
Als Beweis nennt der Beamte einige Zahlen, etwa die Bautätigkeit der staatlichen Wohnungsbaugesellschaft: Betrug sie zwischen 1991 und 2001 noch durchschnittlich 110 Wohnungen im Jahr (Verkauf und Mietwohnungen zusammengerechnet), sei der Jahresdurchschnitt zwischen 2002 und 2012 auf 63 Wohnungen gesunken – und das obwohl das Bevölkerungswachstum all die Jahre nahezu ungebrochen blieb, bei 13 000 Bürgern im Jahr 2011, 12 000 im vergangenen Jahr. Um diese Riesennachfrage zu bedienen, müssten private und öffentliche Bauherren gemeinsam jährlich mindestens 4 000 Wohnungen bauen.
Dabei sollte man sich laut Kiffer aber nicht zu sehr auf den FDL verlassen: Dessen Bilanz falle noch negativer aus, betrachte man, wie viele Mietwohnungen der Fonds im selben Zeitraum baute: Zwischen 1991 und 2001 waren es durchschnittlich 60, zehn Jahre später sind es durchschnittlich nur noch 27,5 Mietwohnungen jährlich.
Dass die von den Christlich-Sozialen über Jahrzehnte verantwortete Wohnungspolitik gescheitert ist und weder überteuerte Mieten zu bremsen, noch genügend Wohnraum für die Landesbewohner zu schaffen vermochte, ist spätestens seit dem öffentlich ausgesprochenen Mea culpa von Premierminister Jean-Claude Juncker bekannt. Das war im Jahr 2005. Heute, acht Jahre später, ist die Bilanz noch immer desolat, da hilft auch der Verweis der Verteidiger der CSV-Wohnungsbaupolitik nicht, dass die staatlichen Hilfen zwischen 1990 und 2012 im Wohnungsbau sich auf 4,32 Milliarden Euro beliefen. Die Gretchenfrage ist: Was haben diese Steuergelder gebracht und wem haben sie genutzt?
Erneut ist es der Premierminister, der auf der Podiumsdiskussion des Luxemburger Wort vom vergangenen Dienstag eine traurige Wahrheit gelassen ausgesprochen hat: Er verwies auf „Mitnahmeeffekte“. Die Gelder seien „in die Taschen anderer“ geflossen. Auch wenn er es bei Andeutungen beließ: Es sind wohl Grundstückseigner, Architekten, Notäre, Bauträger und Baufirmen gemeint.
Auch die Idee der CSV, einen Mietzuschuss für jene einzuführen, die sich kein Eigentum leisten können und auch bei den gängigen Mietpreisen ins Straucheln kommen, birgt die Gefahr, dass sich an den Verteilungseffekten kaum etwas ändert. So warnte die Handwerkskammer in ihrem im August veröffentlichten Gutachten zum entsprechenden Gesetzentwurf davor, der Wohnzuschuss „ne traitera que les symptomes et pas les causes“. Die Mietpreise können weiterhin steigen, anders als im Ausland gibt es hierzulande keinen Mietspiegel, auch wenn die Grünen einen solchen fordern, die LSAP ihrerseits eine „Mietbremse“ verspricht und die CSV erstmalig in ihrem Wahlprogrammeinen „Mietkadaster“ stehen hat, mit dem sie ebenfalls den „ungezügelten Anstieg der Mieten“ abbremsen will. Bislang freute sich, wer schon immer von der CSV-Politik profitierte: der Eigentümer. Die hohen Preise für Bauland und für (Eigentums-)Wohnungen sind so lange Dauerbrenner, wie die CSV das Wohnungsbauministerium leitet. Wirklich aufgeschreckt hat das die Verantwortlichen nie: Auch der diesjährige Jahresbericht vermerkt unbeeindruckt, dass die reellen Preise, inflationsbereinigt, seit 2008 stabil geblieben sei, „ganz entgegen der öffentlichen Meinung“. 1 200 Euro monatlich für eine Mietwohnung in Bonneweg ist für einen Staatsbeamten nicht viel, für einen kleinen Angestellten die Hälfte seines Einkommens und für Sozialhlfeempfänger schlicht unbezahlbar.
Dass Politiker nun hektisch werden, hat in erster Linie mit dem Wahlkampf zu tun: Das Patronat hält die steigenden Wohnpreise als mitursächlich für die Inflation und fordert die Politik auf, der Preisspirale endlich Einhalt zu gebieten. Die harsche Schelte seitens der Handwerkskammer wegen der gescheiterten Wohnungsbaupolitik war es, die den Kragen von Constant Kiffer zum Platzen brachte. Kaum hatte der sich den Frust per Leserbrief von der Seele geschrieben, wurden Journalisten zu einer Konferenz seines Gegenspielers Daniel Miltgen über das FDL-geförderte Wohnquartier in den Nonnewissen bestellt. CSV-Wohnungsbauminister Marco Schank lud flugs zur Besichtigung eines Bauprojekts der Société nationale des habitations à bon marché ein. So mager ist die Bilanz, dass nun sogar der energetische Umbau von zwei Miethäusern als willkommener Anlass für eine Pressekonferenz herhalten muss.
Der Blick zur SNHBM, wie der Fonds du logement ein öffentlicher Bauträger, lohnt sich aber auch aus einem weiteren Grund: Obwohl mit weniger Personal ausgestattet, 41 Mitarbeiter gegenüber 54 beim Fonds du logement, hat die Gesellschaft in den vergangenen Jahren mehr Mietwohnungen gebaut als der Fonds. Hinzu komme, schreibt Kiffer im Tageblatt, dass die Verkaufs-, respektive die Mietpreise der SNHBM oft noch unter denen des FDL lagen. Inzwischen scheint es fast so, als habe sich der Fonds aus dem Mietwohnungsbau weitgehend zurückgezogen, oder zumindest seine Prioritäten verlagert. 2012 ging der Anteil an Mietwohnungen mit 1 709 Wohnungen gegenüber 1 703 im Vorjahr sogar leicht zurück. Und auch wenn im Geschäftsbericht steht, die Zahl der Anträge auf eine FDL-Wohnung sei von über 1 200 auf 930 Ende 2012 gesunken, so waren zum selben Zeitpunkt fast 690 Anträge noch nicht bearbeitet. Vielleicht haben potenzielle Antragsteller die Suche über den FDL auch einfach aufgegeben?
Die Verantwortlichen mag das nicht großartig bekümmern, für die Betroffenen bedeutet es nicht selten, dass sie unter unwürdigen Bedingungen wohnen müssen. Vor allem Alleinerziehende, junge Leute und Großfamilien tun sich schwer, geeigneten bezahlbaren Wohnraum zu finden. Gar nicht zu sprechen von den sozial Schwachen, die von Sozialarbeitern der Wunnengshëllef und der Agence immobilière sociale (AIS) betreut werden. Bei Letzterer sind die Anträge auf rund 850 pro Jahr gestiegen, bei etwa 130 verfügbaren Wohnungen wohlgemerkt. Bis 2015 sollen es 500 sein. „Ein Tropfen auf den heißen Stein“, wie Wunnengshëllef-Leiter Carlo Hourscht sagt.
Doch sogar nach erfolgreicher Betreuung kommen viele nicht aus dem Teufelskreis heraus: Weil Klienten vun Wunnengshëllef und AIS maximal drei Jahre bleiben dürfen, die Wohnungsnot aber anhält, schaffen viele den Sprung selbst nach erfolgreicher Betreuung nicht. „Wir haben größte Schwierigkeiten, sie zu vermitteln“, berichtet José-Anne Schaber. Die Hoffnung war eigentlich, dass e der FDL hier einspringen würde. Doch im vergangenen Jahr konnten von 48 in Frage kommenden Klienten nur drei eine Wohnung auf dem regulären Markt mieten, davon eine (!) beim Fonds. „Wir brauchen dringend mehr sozialen Wohnraum“, sagt Hourscht händeringend. Luxemburg liegt abgeschlagen auf den hinteren Rängen: Nur rund zwei Prozent der Wohnungen sind Sozialwohnungen, in den Niederlanden sind es 32, in Österreich 23 und in Frankreich 18 Prozent.
Der Fonds-Direktor, Regierungsrat Daniel Miltgen, allerdings ließ in der Vergangenheit kaum eine Gelegenheit aus, zu betonen, wie wenig er vom Begriff „sozialer Wohnungsbau“ hält. Er spricht lieber von bezahlbarem Wohnraum und von „sozialer Mixität“. Diese Ziele zu erreichen, wird jedoch immer schwieriger. Eigentumswohnungen in der Hauptstadt sind bei Quadratmeterpreise zwischen 3 600 und 7 200 Euro selbst für Mittelschichtler kaum bezahlbar. Und wer zur Miete in Bonneweg leben muss, hat laut Anzeigenmarkt knapp 1 200 Euro monatlich zu berappen. Sogar das Ausweichen auf die Großregion ist keine Garantie mehr, den Traum vom großen Eigenheim zu erfüllen: Ein bekanntes Luxemburger Internet-Immobilienportal bietet Bungalows in Perl für 435 000 Euro zum Verkauf. Eine schmucklose Einzimmerwohnung soll für 180 000 Euro unter den Hammer.
Die LSAP schlägt vor, den Bauperimeter auszuweiten, in der Hoffnung, durch billigeres Bauland die Preise für Wohnraum senken zu können. Von 514 Hektar verfügbarem Land könnten zwei Fünftel in den nächsten zwei Jahren auf den Markt kommen, sagt die Regierung. Minister Marco Schank sprach in einem Interview im Juni von Wohnraum für 45 000 Personen (im Tätigkeitsbericht seines Ministeriums waren es 44 000) in den kommenden 20 Jahren. „Was kommt danach?“, wenn die ersten Bauflächen am Markt sind, fragte LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider beim Wort-Rundtischgespräch. Es dürfe nicht bei einer One-shot-Politik bleiben, so Schneider. Die Gemeinden sollten stärker einbezogen werden, betonte der DP-Kandidat und Differdinger Bürgermeister Claude Meisch.
Kostenbewusste Steuerzahler dürften freilich die Stirne runzeln: Sind doch die Gemeinden seit Jahren Ziel einer teuren Charmeoffensive seitens der Regierung – die erst 2009 mit einem mehr als 200 Millionen Euro schweren Wohnungsbaupakt versüßt wurde. Dieser belohnte sogar Bautätigkeit rückwirkend: Rund 21,8 Millionen Euro von den Pakt-Ausgaben wurden für bereits abgeschlossene Bauprojekte überwiesen. Es ist dieselbe Mogelpackung wie beim neunten staatlich subventionierten Wohnungsbauprogramm: Mehr als 180 der 262 Projekte, rund 70 Prozent, stammen aus dem Programm, das noch von Schanks Vorgänger Fernand Boden aufgelegt wurde (d’Land vom 18. Februar 2011). Die darin für Ende 2014 angepeilte Zahl von 5 000 Neubauwohnungen (Eigentum und Miete) erweist sich schon jetzt als unrealistische Schönfärberei – sogar wenn der positive Trend bei den Baugenehmigungen (2011: 4 323) anhielte und im selben Umfang gebaut würde. De facto ist das wegen Verzögerungen, Pleiten und anderen Hindernissen so gut wie nie der Fall.
Laut Wohnungsbaupakt müsste zehn Prozent der Baufläche mit bezahlbarem Wohnraum bebaut werden, damit Gemeinden die zugesagten üppigen Subventionen erhalten. Gemeindeverantwortliche äußern hinter vorgehaltener jedoch die Befürchtung, dass sich viele private Bauherren sogar an diesem mickrigen Anteil vorbeidrücken. Außer der Erweiterung des Bauperimeters, die die Déi Gréng und die CSV wegen des Risikos der weiteren Zersiedelung ablehnen, sind kaum neue Ideen auf dem Tisch: Verdichtetes Bauen, gestraffte Prozeduren, bestehende Baulücken füllen, Strafgelder für brachliegendes Bauland und leerstehenden Spekulationsobjekten – alles schon so oft gehört.
Trauriger Fakt bleibt aber, dass bisher niemand die politische Courage aufgebracht hat, auch der sich selbst in einem Land-Interview als „Überzeugungstäter“ ins Szene gesetzte Marco Schank nicht, den Luxemburgern an ihr Liebstes zu gehen: ihr Eigentum. Glücklich deshalb, wer sich Kind von Eltern schätzt, dem Papa oder Mama oder sonst ein Verwandter ein Grundstück vererbt. Die anderen haben eben Pech gehabt.