Premier Jean-Claude Juncker war über seinen hysterisch gewordenen Geheimdienst als Höhepunkt einer Serie von Affären gestürzt, zu denen auch die Fußball-Mall von Wickringen-Livingen, der Ein- und Ausstieg von Katarern bei Cargolux und die jahrelang verhinderte Aufklärung der Terrorwelle der Achtzigerjahre gehörte. Da war folgerichtig zu erwarten, dass auch der Wahlkampf von allerlei Tiefschlägen bestimmt würde, um die Wähler gegen den einen oder anderen Kandidaten aufzubringen und ihn politisch aus dem Weg zu räumen. Im Vergleich zum Frühjahr und zu dem, was der eine oder andere Strippenzieher vom Geheimdienst und bei Gericht noch in Reserve haben könnte, ist der vor allem von hektischen Pressekonferenzen bisheriger Minister dominierte Wahlkampf einstweilen eher gesittet abgelaufen – auch wenn er selbstverständlich noch eine Woche dauert.
Hört man aber beispielsweise dem ehemaligen LSAP-Fraktionssprecher und Transportminister Lucien Lux zu, in welchen Tönen er die Versuche der Regierung abkanzelt, einen neuen Teilhaber von Cargolux zu finden, kann man sich fragen, ob ihm einzig um das Wohl der nationalen Frachtfluggesellschaft gelegen ist. Oder ob er nebenbei auch noch vielleicht eine persönliche Rechnung zu begleichen hat, gar seinen Beitrag zur Demontage des zuständigen CSV-Infrasturkturministers Claude Wiseler liefern möchte. Schließlich ging der christlich-soziale Thronfolger Luc Frieden so beschädigt aus den Cargolux- und Bommeleeërten-Affären hervor, dass Wiseler inzwischen schon als neuer Thronfolger angesehen wird. Wenn die Cargolux nicht auch ihm rechtzeitig zum Verhängnis wird oder gemacht wird.
Doch auch auf der Gegenseite wird der edle Wettstreit der Ideen nicht gerade in luftigen Höhen ausgetragen. Nachdem LSAP-Spitzenkandidat Etienne Schneider sich feierlich zum Herausforderer des CSV-Premiers erklärt hatte, hatte das Luxemburger Wort ein mosaisches Bilderverbot gegen ihn verhängt, das bis zur diese Woche vom eigenen Haus organisierten Wahlkampfdebatte mit großer Konsequenz eingehalten wurde. Damit sich der Premier bei einer nächsten Debatte keine Belehrungen seines Widersachers über die hohe Kunst des Haushaltens anhören muss, zirkulieren hilfreiche Aufstellungen der Finanzinspektion. Etwa über die Ausgaben der sozialistischen Wirtschaftsminister seit 2004 mit der Schlussfolgerung, dass diese Ausgaben „ont progressé de 151,51%, soit plus de deux fois plus rapidement que les dépenses globales de l’Etat (+71,20%)“.
Es ist durchaus nachvollziehbar, dass manche Kandidaten in diesem Wahlkampf zur Sicherheit ein As im Ärmel haben wollen. Schließlich sind die vorgezogenen Wahlen auch der Höhepunkt einer breiten Bewegung des Koalitonspartners, der Oppositionsparteien, von finanzkräftigen Lobbys, ungeduldigen Parteikollegen und rachsüchtigen Spionen, um endlich dem erfolglos nach Brüssel weggelobten Dauer-Premier loszuwerden, der inzwischen als Bollwerk gegen alle für dringend notwendig gehaltene Veränderungen in der Wirtschaft und Gesellschaft dargestellt wird.
Entscheidend wird also am 20. Oktober sein, wie hoch die von ihr selbst als unvermeidlich angesehenen Verluste der CSV ausfallen werden. Verliert die Partei so viele Mandate, dass sie, wie 1974, stärkste Partei bleibt und Jean-Claude Juncker dennoch 40 Jahre nach Pierre Werner als Fraktionssprecher auf der Oppositionsbank landen wird? Das wäre dann tatsächlich der mehrfach hinausgezögerte Beginn der Ära nach Juncker, die Suche nach Schuldigen für die Wahlniederlage und der möglicherweise ebenfalls nicht nur mit vornehmen Mitteln ausgetragene Streit um die Thronfolge. Wobei es nicht bloß um den Ehrgeiz einzelner Personen geht, sondern auch um die künftige politische Ausrichtung der größten Partei des Landes.