Es ist ein enormer Ausbau, der den Berufseintritt der angehenden Lehrerinnen und Lehrer in Luxemburg entscheidend verändern dürfte: Die Regierung plant, das Weiterbildungszentrum für Lehrer (und Erzieher) in Mersch, mit der Organisation der Praktika für Junglehrer zu beauftragen. Am vergangenen Freitag gab der blau-rot-grüne Regierungsrat dem entsprechenden Gesetzentwurf grünes Licht. Das erheblich erweiterte Institut soll statt Institut de formation continue (IFC) dann Ifen heißen (Institut de formation de l’éducation nationale).
Doch die Weichen für das Projekt, dessen Kosten das Bildungsministerium gegenüber dem Land nicht beziffern wollte, wurden nicht von dieser Regierung gestellt, sondern von der vorigen. Kritik am obligatorischen zweijährigen Stage pédagogique für Sekundarschullehrer, zuletzt Forma-tion pédagogique genannt, der von der Universität Luxemburg organisiert wurde, gibt es länger, im Grunde seitdem die Anschlussausbildung für Lehrer der Sekundarstufe existiert: zu theorielastig, zu wenig praxisbezogen sei sie, klagten Stagiaires, Lehrergewerkschaften und Ministerium in seltener Einigkeit. Eine Evaluation der Uni Luxemburg vom Jahr 2010, die dem Land vorliegt, ergab zwar, dass die angehenden Sekundarschullehrer mit dem Angebot im Großen und Ganzen zufrieden waren, doch der fehlende Praxisbezug blieb ein Stein des Anstoßes. Die damalige Erziehungsministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) zog entnervt die Reißleine – und kündigte im vergangenen Jahr die Konvention mit der Uni auf. Das ist aber nur ein Grund, warum beide Stages nun vom Merscher IFC organisiert werden sollen. Ein anderer ist die, ebenfalls von der Vorgängerregierung angestoßene, Beamtenreform, die für alle Beamte ein dreijähriges Praktikum vorschreibt. Noch ist der entsprechende Gesetzentwurf nicht verabschiedet, aber den Auftrag an das Institut, einen dreijährigen Stage zu konzipieren, erteilte das Erziehungsministerium bereits vor drei Jahren. Man habe die Sache „politisch geerbt“, so heißt es knapp aus dem Ministerium.
„Erste Gedanken über ein berufsbegleitendes Lehrerpraktikum haben wir uns 2011 gemacht“, bestätigt Camille Peping. Der Leiter des Weiterbildungsinstituts und sein Mitarbeiter Jean-Luc Taradel sind für die Konzeptualisierung und Organisation beider Stages – Grundschule und Sekundarschule – verantwortlich. Seitdem wurde das Konzept mehrfach überarbeitet und kamen weitere Akteure an Bord: Es gibt Arbeitsgruppen mit Ministerialbeamten, Weiterbildern, Experten von der Uni und vom Merscher Institut für den Stage der Sekundarschullehrer. Auch für den neu zu konzipierenden Stage für die Grundschullehrer wurden Arbeitsgruppen mit Inspektoren, Weiterbildern, Experten der Uni, den Merschern sowie Beamten ins Leben gerufen. Begleitet werden sie von Experten der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung in Lausanne und Zürich.
Um die Herkulesaufgabe zu bewältigen, ist nicht nur eine gute Organisation und Delegation unerlässlich. In Pepings Büro türmen sich Papiere mit Organigrammen und Diagrammen, die Ziele und Zuständigkeiten festhalten. An der Wand hängt ein Zeitplan, der aussieht wie die LED-Anzeige einer Musikanlage: grüner Balken für die Dinge, die schon erledigt wurden, etwa der Entwurf für das Rahmengesetz, Blau für Unerledigtes. „Wir wollen Lehrern den Weg in den Beruf erleichtern. Das heißt, sie unterstützen, ihnen helfen, den Praxisschock zu bewältigen“, erklärt Peping.
Der neue Stage wird anwendungsorientiert sein und stärker auf die Bedürfnisse der einzelnen Lehrerin, Stagiaire, eingehen. Die haben teils sehr unterschiedliche Profile, in der Sekundarstufe wegen ihrer Fachdisziplinen; in der Grundschule legen die einen vielleicht einen stärkeren Akzent auf Inklusion, die Arbeit mit Kindern mit besonderem Förderbedarf, während andere sich auf Mehrsprachigkeit oder interkulturellen Austausch spezialisieren. „Wir wollen Lehrer dabei unterstützen, das Wissen, das sie schon haben, aktiv zu nutzen und auf unterschiedliche Lernsituationen anzuwenden“, so IFC-Mitarbeiterin Carmen Schürnbrand, die auch von „Brücken“ und „reflexiver Unterrichtskultur“ spricht.
Das klingt gut und entspricht dem, was von Lehrern international verlangt wird: Der Lehrer muss sein Fach kennen, vor allem aber muss er (sie) wissen, wie er Lernen vermittelt, wie er mit heterogenen Klassen umgeht und mit unterschiedlichen Lerntypen. Dass das Weiterbildungsinstitut hier Wertvolles beitragen kann, liegt nahe, schließlich blickt es auf eine mehrjährige Expertise in der Lehrerweiterbildung zurück, hat Kontakte zu Ausbildern im In- und Ausland.
Und trotzdem macht die Vorgehensweise stutzig und ist es erstaunlich, dass bisher von den Gewerkschaften und auch von der Uni nicht sehr viel zu dem Mammutprojekt zu hören ist, das immerhin rund 500 angehende Lehrer jedes Jahr betreffen wird, die Lehrbeauftragten und das erzieherische Personal nicht mitgezählt, für deren Weiterbildung das Ifen auch zuständig ist: Warum wurde die erziehungswissenschaftliche Fakultät in Walferdingen nicht damit betraut, ein berufsbegleitendes Praktikum für Lehrer zu entwickeln? Schließlich findet dort die Erstausbildung statt, müssen Studenten der Erziehungswissenschaften schon heute Praktika an Schulen absolvieren, um Unterrichtserfahrung zu sammeln.
„Wir arbeiten gut in den Arbeitsgruppen zusammen“, betont Gérard Gretsch, an der Uni für den Studiengang Bachelor der Erziehungswissenschaften zuständig. Erst diese Woche wieder trafen sich die Teilnehmer zum Austausch, bei dem auch Bedenken laut wurden: „Sicher kann man fragen, ob es dann überhaupt noch Praktika in der Erstausbildung braucht“, so Gretsch. Wiederholungen und Doppelungen seien „zu vermeiden“. So wurden an der Uni eher negative Erfahrungen mit dem E-Portfolio für Lehreranwärter gesammelt, das künftig beim neuen Stage eingesetzt werden soll.
Die Formateurs du terrain, das sind Lehrer in den Grundschulen, die die Studenten bei ihren Stages begleiten, sollen künftig als Conseillers pédagogiques im anschließenden dreijährigen Berufspraktikum mit Rat und Tat zur Seite stehen. Das Ministerium nennt dies „Synergien schaffen“. Aber wie sinnvoll sind diese Synergien, oder wurden insbesondere mit dem dreijährigen Stage für Grundschullehrer unnötige Mehrkosten geschaffen? Es wäre nicht das erste Mal, dass die Politik Kompromisse mit den Gewerkschaften aushandelt, ohne die Folgekosten zu bedenken.
Offiziell wirbt das Ministerium für den Stage mit griffigen Schlagwörtern wie „Mehrwert schaffen“ und „Synergien nutzen“, was sicher auch daran liegt, dass nun ein liberaler Minister den Umbau verantwortet. Es gebe „eine reelle Chance“, das sagen nicht nur Ministeriumsvertreter, sondern auch die Organisatoren in Mersch, „eine Lehreraus- und weiterbildung aus einem Guss zu schaffen, in dem Akteure aus der Wissenschaft und Praktiker zusammenarbeiten“. Inoffiziell geht es um mehr: Immer wieder monierten Beamte in der Vergangenheit, und die Ministerin selbst, die Ausbildung in Walferdingen sei zu stark an der Forschung ausgerichtet, und zudem wenig transparent. Auch Victor Jovanovic, Leiter der auslaufenden Formation pédagogique für Sekundarschullehrer bestätigt, dass es „von Anfang an eine gewisse Spannung zwischen wissenschaftliche Lehre, Forschung und Praxisbezug“ gegeben habe.
Doch statt den Konflikt endlich in house zu lösen, hat sich die Politik entschieden, diese Zuständigkeit ans Weiterbildungsinstitut zu geben, das aus dem Service de coordination de la recherche et de l‘Innovation pédagogiques et technologiques herausgelöst werden und künftig dem Minister direkt unterstehen soll: Der Erziehungsminister bekommt somit mehr Kontrolle über die Ausrichtung der Lehrerausbildung. Damit beschreitet die Politik einen ungewöhnlichen Weg: Europaweit werden öffentliche Lehrer an freien (Fach-)Hochschulen und Instituten ausgebildet. Man hätte annehmen können, dass mit zunehmender Reife der Uni Luxemburg diese hier mehr Zuständigkeiten bekäme. Das Gegenteil scheint der Fall, so dass sich die Uni fragen lassen muss, warum sie es bis heute nicht fertiggebracht hat, eine überzeugende Lehrerausbildung auf die Beine zu stellen.
Wer sich umhört, vernimmt Schuldzuweisungen auf beiden Seiten: Die Politik habe nicht klar genug gesagt, was für eine Lehrerausbildung sie wolle. Das stimmt insofern, als bis heute eigentlich nur eine wenig beachtete Circulaire von 2008 die Missionen und Handlungsfelder der Grundschullehrer definiert. Für die Sekundarschullehrer existiert bis heute kein Leitbild. 2008, unter Mady Delvaux-Stehres, wurde ein Entwurf dazu erarbeitet, der von den Gewerkschaften empört zurückgewiesen wurde, waren doch damit erweiterte Präsenzzeiten in der Schule verbunden. Nachfolger Meisch will lieber keinen neuen Versuch starten. Die Uni habe ein Leitbild für die Sekundarschullehrer entwickelt, behauptet Victor Jovanovic. Zu sehen ist davon auf der Uni-Webseite aber nichts. Jovanovic beklagt fehlende Ressourcen, die Uni selbst habe die Prioritäten nicht klar genug gesetzt. Bei der Mehrsprachigkeit trifft das zu: Bis heute ist nicht gut ersichtlich, welche Spracherwerbsforschung die Universität im Einzelnen betreibt und welche Relevanz diese für die Unterrichtspraxis in Luxemburgs Schulen hat.
Der Konflikt ist noch komplizierter: Während sich die Uni als Exzellenz- und Forschungsuni konzipiert hat, darin eifrig von der Politik unterstützt, war der Status der Lehrerausbildung lange seltsam ungeklärt und ambivalent. Zunächst wurden Grundschullehrer drei Jahre ausgebildet, mit dem neuen Bachelor der Erziehungswissenschaften wurden daraus vier Jahre. Der Bachelor orientiert sich am State of the art in anderen Ländern, der „reflexive Lehrer“, der über seine Rolle, seinen Unterricht, seinen Umgang mit Schülern selbstkritisch nachdenkt, sich weiterbildet.
Doch auch der neu geschaffene Bachelor kennt Kritiker und Nörgler, erst recht, als eine Rekordquote von 60 Prozent der frisch ausgebildeten Grundschullehrer es dieses Jahr nicht durch das anschließende Staatsexamen schaffte. Galt die Lehrerausbildung am ehemaligen Ausbildungszentrum Iserp vielen als zu spezialisiert und überfrachtet mit Didaktik, schlug das Pendel am Campus Walferdingen offenbar in die andere Richtung aus: Die neuen Lehrer wüssten zu wenig in Didaktik und Methodik, so der Vorwurf. Ihr Wissen sei abgehoben und im Unterricht schlecht umsetzbar. Die Uni bemüht sich, gegenzusteuern.
Eben diesen Praxisbezug soll der Stage bringen. Camille Peping und seine Kollegin Schürnbrand sprechen daher von der Insertion professionelle, dem Berufseintritt und einem „berufsbegleitenden Angebot“. Dieses müsse einen „Mehrwert gegenüber der universitären Ausbildung haben, sonst macht das keinen Sinn“, so Peping. Doch wie gut kann ein Stage sein, der von drei Mitarbeitern des IFC hauptverantwortlich koordiniert wird, die daneben das Tagesgeschäft, die Weiterbildung mehrerer tausend Lehrer, organisieren? Das IFC hat 18 Mitarbeiter, davon etliche in Teilzeit und in der Verwaltung, im Ausland würde diese kaum reichen, um eine neue Ausbildung zu kreieren. Und dann soll ja auch die Weiterbildung der Schulpsychologen, der Education différenciée, der Erzieher und Schuldirektoren vom Ifen organisiert werden. Obschon sich die IFC-Koordinatoren alle Mühe geben, Uni, Schulen, Inspektoren und Direktionen so weit wie möglich „partizipativ“ einzubinden: Die Qualität des neuen Stage in Sekundar- und Grundschule wird entscheidend davon abhängen, wie gut der Input ist. 80 bis 90 Prozent der Teilnehmer der Arbeitsgruppen und Untergruppen, so schätzen Insider, waren bereits bei den vorigen Ausbildungen mit an Bord. Das ist positiv, weil auf Erfahrungen zurückgegriffen werden kann. Aber haben diese Köpfe auch genügend Distanz zu früheren Entwürfen, um ein zeitgemäßes hochwertiges, berufsbegleitendes Praktikum auf die Beine zu stellen?
Zumal der Zeitdruck enorm ist: Die Konvention für den Stage der Sekundarschullehrer läuft bereits zum Januar 2015 aus, die laufenden Lehrer-Jahrgänge werden ihren Stage an der Uni abschließen. Der neue Stage für die Grundschullehrer muss für das Schuljahr 2016 stehen. Erschwerend kommt hinzu, dass der Gesetzestext für den Umbau des IFC, das neue Divisionen erhalten wird, noch durch das Parlament und den Staatsrat muss. Erfahrungsgemäß dauert allein das mehrere Monate. Die vier Reglemente, die das Ifen-Rahmengesetz mit Inhalt füllen, sollen Anfang November dem Regierungsrat vorgelegt werden. Selbst wenn dieser das Vorhaben sodann absegnet, kommt zum Gesetzesverfahren die Zeit für die Rekrutierung von zusätzlichem Personal für das Ifen hinzu. Das soll, wenn alles gut läuft, irgendwann in neue Räume umziehen: Der Walferdinger Uni-Campus steht zur Diskussion.