Er sei „Stackwiltzer“, zwanzig Jahre lang habe er neben dem Wiltzer Schloss gewohnt. Aus „reinem „Lokalpatriotismus“ klebte Gilbert Weis deshalb Zettel „Gegen den VERKAUF von SCHLOSS WILTZ“ auf ein Schild am Schloss. „Jeder der gegen den Verkauf des Wiltzer Schlosses durch den Luxemburger Staat ist“, soll sich bei ihm melden.
Tatsächlich haben inzwischen schon Gleichgesinnte telefoniert. Nächste Woche will Weis eine Versammlung einberufen, um eventuell einen Verein zu gründen. Keine Bürgerinitiative und kein Aktionskomitee, das sei „zu politisch“, eher ein Verein der Schlossfreunde wie in Vianden. Bisher habe er jedenfalls von keinem einzigen Wiltzer gehört, der den Verkauf des Schlosses begrüßt hätte.
„Geht es uns jetzt schon so schlecht, dass wir Schlösser verkaufen müssen?“, wundert sich Weis. Das Schloss bloß an privat zu verpachten, ist für ihn keine zufriedenstellende Alternative. Denn ein „historisch wertvolles Monument“ gehöre nun einmal in die öffentliche Hand.
Anfang Juli hatte das Finanzministerium in der Presse (d’Land, 9.7.) und dem Amtsblatt der Europäischen Union einen „Appel de candidatures“ veröffentlicht, um „investisseurs/exploitants pour le Château de Wiltz“ zu suchen. Darin ging auch von der Möglichkeit eines Verkaufs die Rede. Und für den gestrigen Donnerstag war schon die erste Ortsbesichtigung mit Interessenten anberaumt, eine weitere ist für den 16. September geplant.
Wenn das im Schloss untergebrachte Altersheim nächstes Jahr in einen Neubau umzieht, werden auf einen Schlag zwei Drittel des Gebäudes frei. Und in Sparzeiten scheint es nachvollziehbar, dass der Staat lieber die Immobilie zu Geld macht, als Geld für eine neue Zweckbestimmung auszugeben. Auch wenn es den Wiltzern politisch schwer zu erklären ist, dass die Regierung gleichzeitig wohl eine der teuersten Immobilien der Hauptstadt, den Sitz der Dresdner Bank gegenüber dem Palais, kaufen will. Der Bezirksvorstand Norden der DP schürte diese Woche in einer Presseerklärung schon Lokalneid mit dem Verweis darauf, dass dem Staat die Nordgemeinde Wiltz nicht wert sei, was er in das Festungsmuseum im Zentrum und die Hochöfen im Süden zu investieren bereit sei.
Denn zum Leidwesen des Wiltzer Schöffenrats spielt die Zukunft des 1951 vom Staat gekauften Schlosses eine Rolle im Gemeindewahlkampf nächstes Jahr, wenn es für CSV und DP gilt, die Alleinherrschaft der LSAP zu brechen, die ohne ihren zu Ministerwürden aufgestiegenen ehemaligen Bürgermeister Romain Schneider antreten muss. Weil CSV-Finanzminister Luc Frieden für die Immobilie zuständig ist, muss sich die CSV zwar etwas zurückhalten, doch auf dem Bezirkskongress der DP im April hatte Sektionspräsidentin Maryse Lambert schon geklagt, dass eine absolute Mehrheit der LSAP in dem Industriestädtchen seit 2000 zum Stillstand geführt habe, da viele Studien unternommen, aber keine Entscheidungen getroffen würden. Dies gelte für die Industriebrachen, den Ausbau des Lyzeums und das Wiltzer Schloss.
Dabei sollte nach dem ersten Spatenstich im September 2005 das neue Wiltzer Centre intégré pour personnes âgéees (Cipa) in der Kouswiss schon Ende 2008 bezugsfertig sein. Dann war die Frist auf September vergangenen Jahres verlegt worden, so dass das Altersheim im Schloss vor Weihnachten geräumt worden wäre. Nun soll das Schloss im Mai nächsten Jahres frei werden.
Das heutige Schloss wurde insbesondere im 17. und frühen 18. Jahrhundert an der Stelle einer mittelalterlichen Burg und eines mehrfach zerstörten Schlosses gebaut. 21 Generationen lang war es im Besitz der Wiltzer Grafenfamilie, bis Graf Théodore François de Paule de Custine de Wiltz vor den französischen Revolutionstruppen flüchtete. Danach kaufte der Gerbereiunternehmer Jos Faber das Schloss, in dem Schulschwestern 1852 ein Mädcheninternat einrichteten. 1952 kaufte es der Staat und eröffnete ein Altersheim darin, das seit Einführung der Pflegeversicherung 1999 von Servior verwaltet wird.
Von immerhin 109 in Luxemburg nachgewiesenen Burgen und Schlössern haben 76 als Ruinen oder Gebäude überlebt. Einige der bedeutendsten wurden vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg vom Staat aufgekauft und werden von Lokalvereinen als Touristenattraktionen verwaltet. In anderen sind Gemeindeverwaltungen oder gemeinnützige Einrichtungen untergebracht. Weil die Burgen und Schlösser vielfach als nationales Kulturerbe aus einer angeblich heroischen Vergangenheit angesehen werden, ist eine erneute Privatisierung für viele Leute schwer vorstellbar. Um so mehr als der eine oder andere Verkauf in den letzten Jahren nicht immer zur allgemeinen Zufriedenheit stattfand. So kaufte die japanische Mahikari-Sekte beispielsweise aus Privathand das imposante Schloss von Ansemburg und richtete darin die Sektenzentrale für Europa ein.
Für das Schloss in Wiltz hat das Finanzministerium mit Hilfe der für die Industriebrachen von Belval gegründeten staatlichen Entwicklungsgesellschaft Agora ein „europaweites Interessensbekundungsverfahren“ ausgeschrieben, um eine „wirtschaftlich tragfähige Nachnutzung“zu finden. Das Verfahren soll in zwei Stufen erfolgen. Zuerst können sich Interessenten bis zum 29. Oktober Mittag melden und ihren Vorschlag einschicken, wie sie das Schloss nutzen würden, welches Zielpublikum sie ansprechen und wie viele Arbeitsplätze sie damit schaffen wollen. Alle Interessenten müssen zuvor eine Arbeitsgemeinschaft mit einem Architektenbüro eingehen und an einer der Ortsbesichtigungen teilnehmen. Eine Jury von Staat und Gemeinde will dann am 23. November die drei bis fünf interessantesten Kandidaten auswählen, wobei das oberste Auswahlkriterium „eine hohe wirtschaftliche Tragfähigkeit“ sein soll. Die größte Angst von Staat und Gemeinde ist offenbar, auf jemanden hereinzufallen, der in Wiltz ein Spielkasino mit FKK-Strand und Safaripark eröffnen will und nach ein paar Jahren eine Investitionsruine hinterlässt.
Die drei bis fünf zurückbehaltenen Bewerber müssen dann detaillierte Pläne für den Umbau des Schlosses ausarbeiten, ein Konzept für den Betrieb des geplanten Unternehmens mit Marktanalysen, Analysen des Standorts und Berechnungen der Wirtschaftlichkeit. Vorgeschrieben sind auch ein Zeitplan bis zur Wiedereröffnung des Schlosses und gegebenenfalls die Zusage einer Bank, dass sie das Projekt finanzieren will. Vor allem aber müssen die Bewerber angeben, ob sie das Schloss pachten oder kaufen wollen.
Im April nächsten Jahres sollen dann die Jury von Staat und Gemeinde und in letzter Instanz Finanzminister Luc Frieden die Entscheidung treffen, welches Projekt am meisten Geld einbringt, wirtschaftlich am erfolgversprechendsten ist und den größten Nutzen für Wiltz und Umgebung hat. Danach beginnen dann die Verhandlungen über einen Vertrag zwischen dem Staat und dem Investor.
Die umfrangreiche Projektinformation in drei Sprachen stellt dem künftigen Investor in Aussicht, dass er Zuschüsse aus dem staatlichen Förderprogramm für den Tourismussektor erhalten kann, wenn er ein Hotel, ein Museum oder Freizeiteinrichtungen zu eröffnen gedenkt, oder Geld aus den europäischen Regionalfonds, wenn er innovative wirtschaftliche Aktivitäten plant, vor allem im Kommunikations-, Energie- und Forschungssektor. Subventionen winken aber auch für die Denkmalpflege am Schloss, das nun erst auf die Liste der denkmalgeschützten Gebäude aufgenommen wird. Der Denkmalschutzdienst soll sämtliche Gebäudeelemente auflisten, die bei Umbauarbeiten verschont bleiben müssen.
Der Staat bieten den Investoren an, ihnen die Nutzung des Schlosses in bis zu 99-jähriger Erbpacht ohne Entschädigung für ihre Bauarbeiten zu überlassen oder die Nutzung des Grundstücks in Erbbau für bis zu 99 Jahre und sie anschließend für die Neu- und Umbauten zu entschädigen – gegen entsprechend höhere Pacht. Eine dritte Möglichkeit ist der Verkauf des Grundstücks. Wobei die Regierung derzeit eine Verpachtung zu bevorzugen scheint, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, nationales Kulturgut zu verscherbeln. Die DP Norden spricht sich kategorisch gegen den Verkauf des Schlosses aus, weil dadurch die Allgemeinheit jede Kontrolle über seine Verwendung verliere und beim Scheitern des Projekts Wiltz neben den Industriebrachen auch noch eine „Schlossbrache“ bekomme.
Ein Problem für einen künftigen Investor könnte sein, dass mit dem Altersheim das Schloss und das 9 582 Quadratmeter große Gelände nicht völlig geräumt werden. Denn es bleiben noch das Museum über die Ardennenschlacht, ein Brauereimuseum samt Gaststätte und Mikrobrauerei, das Fremdenverkehrsbüro, Einrichtungen der Pfadfinder, eine Tageseinrichtung von Hëllef doheem, Büros des Musikfestivals und der Festsaal der Gemeinde. Laut Projektinformation sollen die meisten dieser Mieter, wenn nötig, gekündigt bekommen, das Brauereimuseum allerdings nur, wenn der Investor einen guten Grund dafür anführt. Auf jeden Fall muss er eine „langfristige Sicherung des Festivals“ mit seiner überdachten Freilichtbühne und seinen Büros gewährleisten – obwohl die Programmqualität seit Jahren rapide sinkt.
In der Projektinformation heißt es zwar, dass der Staat „keine konkreten Vorgaben für die weitere Nutzung des Château de Wiltz“ machen will. Aber ein Nobelhotel scheint zu den Wunschprojekten der Regierung und vor allem der Gemeinde zu zählen.