Seine Gemälde stellen die Kunstwelt selbst 500 Jahre nach seinem Tod vor Rätsel. In das Tryptichon Der Garten der Lüste kann man lange eintauchen und wird immer wieder neue Komponenten entdecken: verborgene Körper, kopulierende Gestalten, Vögel, aus deren Schnäbeln menschliche Glieder herausragen. Sakrale Gleichnisse treffen auf menschliche Exzesse – zwischen irdischem Paradies und Sündenfall. Aber wer zum Teufel war dieser Bosch und was trieb ihn an? War er im Drogenrausch? Glaubte er an die Menschheit oder hatte er den Glauben längst verloren? Sind seine Bilder prophetische Warnungen?
Ausgehend von Boschs Der Garten der Lüste hat der Schweizer Jérôme Junod im Auftrag des Schauspiels Salzburg ein Stück entworfen. Dessen Intendant Robert Pienz hat die Koproduktion am TNL inszeniert. Malerei auf der Bühne, kann das funktionieren? Was ein dröger kunstgeschichtlicher Exkurs hätte werden können, erweist sich in weiten Strecken als anregender Theaterabend. Zunächst blicken die Zuschauer auf eine milchige Glaskugel. Die Welt Boschs wird sich allmählich erschließen. Dann ein abrupter Wechsel der Szenerie: Vor einer Flughafen-Lounge mit schrill-pinker Saftbar wuseln Passagiere umher. Darunter Caroline (Claire Thill), eine nervös-exzentrische Kunsthistorikerin, die eigentlich auf eine Konferenz hätte fliegen sollen, wäre da nicht ein Zwischenfall. Wegen eines Attentats wird der Flug annulliert und Caroline findet sich an der Bar wieder, wo sie mit Margarita (Susanne Wende) ins Gespräch kommt. „Warum furzt da jemand in die Flöte oder hat ‘ne Blume im Arsch?“, wird die als Kellnerin brillierende Wende beim Blick in einen der Bosch-Bände der Studierten unbedarft fragen und sich ordinär eine Kippe anzünden. Intellektuelle Schnepfe prallt auf prollige Saftschubse, so die Fantasie des männlichen Autors.
Junod spielt in seinem Stück mit dem Zusammenprall von Welten, nicht nur von sozialen Milieus. Im zweiten Akt ist es das Jetzt und das Mittelalter. Das Spiel mit Klischees verzeiht man ihm, zumal auch die Kunstwissenschaft auf die Schippe genommen wird. So wird die von Caroline versäumte Fachtagung über Bosch gnadenlos ins Lächerliche gezogen. Vor allem die Bühnengestaltung von Ragna Heiny überzeugt hier: Die geltungsbedürftigen Wissenschaftler sitzen auf Hochstühlen, sodass einer den anderen überragt, und übertrumpfen sich mit ihren Kommentaren. Eine Projektion des Bildes Der Garten der Lüste bildet den Hintergrund, davor ein schwarzes Gitter, an dem sich eine Akrobatin im schwarz-glänzenden Turndress lasziv entlang räkelt, indes ein jeder für sich die Deutungshoheit reklamiert. Während der kunstgeschichtliche Diskurs ad absurdum geführt wird, herrscht deklamatorische Uneinigkeit. Irgendwann bleiben nur noch bedeutungsschwere Wortfetzen im Raum. So selbstvergessen wie die Menschen auf Boschs Gemälden ihrer Vergnügungssucht fröhnen, so eitel drehen sich die Wissenschaftler um ihre eigene Achse.
Während Caroline an der Flughafenbar nach zu viel Slibowitz eingenickt ist, wird der Zuschauer zurückkatapultiert ins Brabant des 16. Jahrhunderts. Die Sünde lockt in Form eines sich schlängelnden Lackledervogels. Am Hofe des großen Meisters zerreißen sich die Zofen die Münder über das Treiben im Hause Bosch, ein nackter Jüngling hüpft geil über die Bühne. Nur ein Werbebanner kündet noch von der Gegenwart: „Your chair in the air – Fly Bosch!“.
Das wenig nuancierte Rollenspiel Claire Thills als Caroline fällt im zweiten Teil der Inszenierung nicht mehr so ins Gewicht, zumal sie angesichts der etwas ermüdeten Regie und eines großartig kauzig-verrückten Marco Lorenzini in der Rolle des berühmten Malers lediglich mal verwundert, mal irritiert aus der Wäsche gucken muss. Auf den Spuren des Meisters wird sie eine Frage nach der anderen stellen: „Gibt es eine Moral in ihren Bildern?“ Und Bosch ihr weltmännisch entgegnen: „Gibt es die denn überhaupt in der Welt?“ Es ist Lorenzini, der mit seinem souveränen Spiel den letzten Akt des Stücks rettet. „Die Menschen sehen nichts!“, wird er klagen und sich ironisch über die Italiener mit ihrer Fokussierung auf Fluchtpunkte und Perspektiven mokieren. Am Ende der Inszenierung wird kein Welträtsel gelüftet. „Man sieht, was man sieht, man malt, was man malt und die Menschen sehen, was sie sehen wollen“, wird Bosch den Mythos um seinen Antrieb entzaubern.
Boschs mysteriöse Bildwelt ist mitnichten entzaubert. Im Gegenteil – die Inszenierung macht Lust auf die Erkundung seines Werks. Die Sorge, dass ein Theaterstück das Werk des berühmten Malers banalisieren könnte, weicht der Freude darüber, dass Junod und Pienz es vermögen, Boschs Universum mit Ironie auf die Bühne zu bringen.