Es mag wohl zu den edelsten Diensten an der Kunst gehören, sich jenen zu widmen, die sie in Zukunft tragen werden. Noch nie zuvor habe ich mich in einem Beitrag mit kindgerechter Kunst befasst. Zurecht sei in diesem Kontext nicht etwa von Kinderkunst die Rede, denn dieser Begriff verschließt sich zu sehr der Erwachsenenwelt, der diese Ausdrucksform genauso wenig schaden kann. Nun, es hat sich gelohnt. Zumindest gilt dies für das Musiktheater am vergangenen Sonntag in der Philharmonie. Mit dem französischen Volksmärchen La Belle et la Bête mit Ursprüngen im 18. Jahrhundert wagt sich die gebürtige Berlinerin Lina Hölscher an ein solches Beispiel der Kunst und bewegt Kinder und begleitende Eltern gleichsam.
Im Espace Découverte nimmt die Handlung in deutscher Sprache mit den Klängen von Schubert, Brahms, Tschaikowsky oder Gossec Gestalt an. Auf der Violine begegnet Sophie Moser dem Pianisten Robert Kulek in einem klassischen Dialog, in ihrer jeweiligen Rolle als Schöne und Vater ergänzen sie die Klänge zu einer Darstellung, die sich rhetorisch auf ein Wispern beschränkt. Vervollständigt wird das Geschehen durch den Vortrag von Handlung und direkter Rede, sowie einer Reihe klangtechnischer Einlagen durch den Darsteller Nikolaus Barton, der seinerseits nach den Regeln des V-Effekts als Lichttechniker ins Geschehen einsteigt.
Als gäbe es nicht genug der unterschiedlichen Wahrnehmungsebenen, wird das märchenhafte Umfeld rundum das Schloss und dessen Innenleben auf eine eisbergförmige Leinwand projiziert, zu der sich eine kleinere mondne Projektionsfläche gesellt: ein unaufgeregter Animationsfilm im Scherenschnitt. Hölscher schafft es in ihrer Arbeit tatsächlich, diese unterschiedlichen medialen Ebenen von Musik, Vortrag, Schauspiel, Video und Metadramatik in aller Ruhe zu verbinden. Selten kommt eine Reizüberflutung jener Art zu Stande, wie sie unsere Kleinen bisweilen ausgesetzt sind.
Das Geschehen um den verwunschenen Prinzen und die verliebte Tochter dient dazu auch als Kontext, um in der Kinderwelt ein Bewusstsein für klassische Musik zu wecken. Als Moser in ihrer Rolle als Belle zaghaft an den Saiten von Choul-Won Pyuns Cello zupft und streicht, wird das Instrument zum Thema, zum Inhalt der Handlung an sich. Darsteller Lennart Lemster blickt aus einem Loch am Hals des Tierkostüms mit mimischen Zusätzen heraus und muss seinen Oberkörper in ständiger Krümmung über die Bühne schleppen. Als seine zweite Haut sich am Ende zum erlösten Traumprinzen (mit Blondschopf!) wandelt, erlaubt die Dramaturgie ein leichtes Schmunzeln im Publikum, angesichts der verkitschten Auflösung der märchenhaften Handlung.
Unerwähnt sollten auch die völlig versteiften Filzkostüme der menschlichen Figuren nicht bleiben. Sie sorgen auch in diesem Sinne für einen leichten Animationscharakter, der das Reale bricht. Die Philharmonie bot demnach einen mit 45 Minuten kindgerechten Versuch, dem jungen Publikum mit Märchen und Klassik in bedachtsamen Rhythmen zu begegnen.