d'Lëtzebuerger Land vom 24.10.2014
„Dofir hätt ech gär, dass mer déi Suen net elo net weider mat béiden Hänn ausginn, an eise Kanner soen, si kéinte jo da kucken, wéi se dono eens ginn. Genee dofir schaaft d’Regierung de ‚Fonds souverain intergénérationnel du Luxembourg‘.“ Mit diesen Worten gab Finanzminister Pierre Gramegna (DP) vergangene Woche die Schaffung eines Luxemburger Staatsfonds bekannt. „Endlich“, dürften sich viele Beobachter denken, so lange und von so vielen Seiten, wie er gefordert wurde. Denn das Gespenst Staatsfonds spukt schon seit Jahren im Lande herum. Bereits 2007 machte sich der ehemalige sozialistische Wirtschaftsminister Robert Goebbels für einen solchen Fonds stark, der die staatlichen Firmenbeteiligungen und andere Besitztümer verwalten sollte. „Meistens sitzt der Staat auf seinen Aktienbergen, vertreten durch hochrangige Staatsdiener, die sich ein gutes Zubrot verdienen, während der Budgetminister eventuelle Dividenden im Staatshaushalt versickern lässt. Die Gründung einer Staatsholding ist überfällig“, schrieb Goebbels im Oktober 2007 im Luxemburger Wort. Auch bei den Haushaltdebatten Ende 2007 war der Staatsfonds bereits Thema. Der CSV-Abgeordnete und ehemalige Direktor der Bankenvereinigung Lucien Thiel plädierte dafür, nach dem Vorbild der Ölstaaten, die ihre Petrodollars in einem Fonds sammeln, die Einnahmen aus der Finanzbranche „für die Zukunft anzulegen“. Charles Goerens, DP-Abgeordneter, erinnerte sich an eine ähnliche Idee der Liberalen und die Handelskammer forderte in ihrem Haushaltsgutachten ebenfalls einen solchen Fonds. Doch nicht nur Konservative, Liberale und wirtschaftsliberale Sozialisten propagierten die Idee eines solchen Fonds. Auch aus der ökologisch-nachhaltigen Ecke gab es Rufe danach. Beispielsweise vom Conseil supérieur pour un développment durable, der Ende 2007 die staatliche Finanzpolitik begutachtete und fand, das Land sitze in der „Nachhaltigkeitsfalle“, das Luxemburger Finanzierungsmodell – Abgaben der Grenzpendler, Diesel- und Benzinakzisen, Mehrwertsteuereinnahmen aus dem elektronischen Handel – sei ein Auslaufmodell, weil sich der internationale Wettbewerb verschärfe. Deshalb sollten besagte Einnahmen, so langen sie fließen, in einem Staatsfonds angelegt werden. Im folgenden Jahr ging die Handelskammer richtig in die Offensive. In der vierten Ausgabe von Actualité et tendances, einer Publikation, in der die Chambre de Commerce in regelmäßigen Abständen unter unterschiedlichen Überschriften die Sanierung der Staatsfinanzen oder die Kürzung der Sozialleistungen fordert, meistens beides, erklärten die Autoren auf über 40 Seiten, wieso Luxemburg einen Staatsfonds brauche und woher der Staat das Geld zur Speisung eines solchen Fonds nehmen solle: Die Sozialleistungen sollten gekürzt werden. Statt in Familienzulagen solle das Geld in Aktien und Anleihen investiert werden, um den sprichwörtlichen „Apel fir den Duuscht“ heranzuzüchten. Auch die Anlegervereinigung Investas unter ihrem damaligen Vorsitzenden Raymond Goebbels forderte die Schaffung eines Staatsfonds, der die staatlichen Beteiligungen verwalten sollte. Der Fonds selbst sollte an die Börse gehen und dadurch privaten Anlegern die Möglichkeit geben, sich über diese Volksaktie an der Finanzierung der heimischen Wirtschaft zu beteiligen. Ein Hauch Nostalgie schwang dabei mit, Erinnerung an die gute alte Zeit, als der Luxx-Index nicht nur aus Finanzwerten bestand und Kleinanleger – loi Roi und die darin verschriebenen Steuergeschenke sei Dank – ihrer bürgerlichen, kapitalistischen Pflicht nachkamen und ihr Erspartes an der Börse in Arbed- und Cegedel-Aktien investierten. Am 2. Januar 2013 wünschte der Jung-Abgeordnete Serge Wilmes (CSV) unter dem einprägsamen Titel „Der Perspektive eine Perspektive geben“ ein frohes neues Jahr. „Unser Land benötigt ebenso eine längerfristige Strategie. Eine Möglichkeit, um die Folgezeit abzusichern. Wie die Anlage staatlicher Einnahmen in einem Zukunftsfonds (fonds souverain) zum Beispiel. Um auch der Perspektive eine Perspektive zu geben.“ Vor den Wahlen musste sich der Spitzenkandidat der CSV, Jean-Claude Juncker zur besten Sendezeit auf RTL Radio Lëtzebuerg von Herrn Müller aus Mamer im „Zusammenhang mit den Reserven“ fragen lassen, warum Luxemburg nicht nach dem Vorbild Norwegens in den guten Jahren einen Staatsfonds angelegt habe. Juncker, der ehemalige Staatsminister, verteidigte sich mit einem Verweis auf die vielfältigen Reservefonds des Staates, in denen die Regierung zwischen 1995 und 2008 4,5 Milliarden Euro „irgendwie gehortet“, damit Infrastrukturen finanziert habe, statt damit Konsum- oder „exzessive Sozialausgaben zu finanzieren“. In der Fonction publique compact, Nummer 8 feierte die Staatsbeamtengewerkschaft unter dem Titel: „Wahlkämpfer haben Staatsfonds versprochen“, einen „CGFP-Erfolg“, weil die Parteien den bereits in den Vorjahren in ihren Haushaltsgutachten von der CGFP geforderten Fonds zur Verwaltung der staatlichen Beteiligungen in ihre Wahlprogramme aufgenommen hatten. Im Parteiorgan Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek erinnerte die KPL ebenfalls nach den Wahlen 2013 daran, dass sie „sich für die Schaffung eines Staatsfonds ausgesprochen, in welchem die Staatsbeteiligungen an Betrieben zusammengeführt werden sollten, gleichzeitig aber von der Notwendigkeit gesprochen hatte, strategische Wirtschaftsbereiche und Großunternehmen zu verstaatlichen und damit die wirtschaftliche Grundlage für die Aktivitäten des zu schaffenden Staatsfonds deutlich zu erweitern“. Weil sich jeder unter dem Staatsfonds etwas anderes vorstellte, konnte der kurz zuvor zum Finanzminister gewordene Direktor der Handelskammer während der Debatten zum Haushalt 2014 ohne große Überraschung „Einvernehmen“ im Bezug auf die Schaffung eines fonds souverain feststellen. Eben deshalb wird es bei all denjenigen, die sich erwartet hatten, der Staatsfonds oder die Staatsholding werde die staatlichen Beteiligungen verwalten, enttäuschte Gesichter geben. „La mission du Fonds consiste à réaliser un épargne dont les revenus pourront être utilisés, sous certaines conditions et dans certaines limites, pour contribuer au bien-être des générations futures“, heißt es im Entwurf der loi de mise en œuvre zum Haushalt 2015, durch die der Fonds souverain intergénérationnel du Luxembourg (FSIL) geschaffen werden soll. Sogar hinter den Erwartungen der Regierungsparteien selbst dürfte der Fonds zurückbleiben. „Les négociateurs plaident pour un regroupement et une gestion plus stratégique des participations de l’État et demandent à M. Heinrich de leur soumettre des propositions à cet effet. L’idée de la création d’un fonds souverain est soulevée dans ce contexte“, heißt es im Sitzungsprotokoll der Koalitionsverhandlungen. Der FSIL allerdings wird nichts dergleichen tun, die staatlichen Beteiligungen werden nicht darin versammelt werden. Der FSIL soll sein Kapital nach dem Vorbild des Kompensationsfonds auf den internationalen Finanzmärkten anlegen, „suivra une politique d’investissement prudente et socialement responsable, dans le but non pas de maximiser le rendement annuel, mais de créer une épargne intergénérationelle“. Von den Staatsbeteiligungen sind Arcelor-Mittal, BNP Paribas, SES, Luxair und Cargolux, Creos, Enovos, die Staatsbank BCEE und die privatisierten Staatsunternehmen Post und CFL nur die prominentesten. Daneben gehören dem Staat unzählige Établissements publics, von den Forschungszentren, über Kultureinrichtungen wie Casino, Carré Rotondes und Rockhal bis hin zu LuxTram. Wie sie verwaltet werden sollen und was sie Wert sind, war die eigentliche Sorge bei den Diskussionen während der Koalitionsverhandlungen. Davon geht im Gesetzentwurf zur Umsetzung des Haushalts 2015 keine Rede. Für die Finanzierung der Luxemburger Unternehmen, heißt es dort hingegen, bleibe die SNCI zuständig. Ob das etwa heißen soll, dass die SNCI zur zentralen Sammel- und Verwaltungsstelle der staatlichen Beteiligungen werden soll? Sie gegebenenfalls dem Staat Aktien anderer Firmen abkaufen und den Gegenbetrag in die Staatskasse überweisen soll? „Es ist zu früh, um über solche Fragen zu spekulieren“, lässt das Finanzministerium auf Nachfrage mitteilen. „Die Frage der staatlichen Beteiligungen ist unabhängig von anderen Fragen. Es gibt eine Arbeitsgruppe, die sich mit dieser Frage beschäftigt und unterschiedliche Optionen prüft.“ Dass der im Rahmen des Zukunftspak geschaffene Fonds nicht Zukunftsfonds heißt, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass Luxemburg einen solchen Zukunftsfonds schon seit Jahren besitzt. 2012 kündigte der sozialistische Wirtschaftsminister Jeannot Krecké kurz vor seinem Rücktritt die Gründung des Luxembourg Future Fund (LFF) an, der mit 150 Millionen Euro dotiert ist. Verwaltet wird er vom Europäischen Investmentfonds, der seinerseits 30 Millionen Euro zum Kapital beigetragen hat. Der Future Fund soll in innovative Start-ups investieren und dadurch zur wirtschaftlichen Diversifizierung beitragen. Getan hat er das, bald drei Jahre nach seiner Gründung allerdings noch nicht. „Die Zulassung ist beantragt“, heißt es dazu aus dem Finanzministerium, „der Fonds wird also bald starten können“. Gleichzeitig mit der Gründung des Future Funds gab Krecké bekannt, dass der Staat rund 20 Millionen Euro in den Risikokapitalfonds Advent Life Sciences investieren werde, der Start-ups im Bereich Biomedizin finanziert, um so erstens an den Fortschritten in der Branche mitzuverdienen, zweitens Aufmerksamkeit auf Luxemburg zu lenken und drittens junge Unternehmen nach Luxemburg zu locken. Bisher hat Advent Life Sciences in ein Luxemburger Start-up investiert: 2013 erhielt das Spin-off des Luxembourg Centre for Systems Biomedicine (LCSB), die Firma Lux Fold, 650 000 Euro. Mit dem LFF und anderen Fonds soll man den FSIL deshalb nicht durcheinanderbringen. „À noter finalement que le fonds souverain ne fera pas double emploi avec aucune structure d’investissement public actuellement existante au Luxembourg“, unterstreichen die Gründer des FSIL im Gesetzentwurf. Auch nicht mit dem Kompensationsfonds der Rentenversicherung, obwohl man sich an dessen Struktur und Investitionspolitik hat inspirieren lassen. Weshalb die liberal geführte Regierung ihr neues Instrument FSIL nicht mit dem Kompensationsfonds verwechselt haben will, liegt auf der Hand: Es ist der Kompensationsfonds, der dem oft zitierten Beispiel des norwegischen Staatsfonds in Vorgehen und Auftrag am ähnlichsten ist, weil beide die Absicherung der jeweiligen Rentensysteme zum Ziel haben. Ende 2013 hatte der Kompensationsfonds der Rentenversicherung 13,75 Milliarden Euro angesammelt, was rund 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von vergangenem Jahr entsprach, das den aktuellsten Statec-Berechnungen zufolge 45,28 Milliarden Euro betrug. Der Ertrag aus den Investitionen des Kompensationsfons belief sich auf 677 Millionen Euro. Im Vergleich mutet der FSIL recht possierlich an. Über 20 Jahre soll er eine Milliarde Euro an Kapital ansparen. Deshalb dürfte er sogar hinter den Erwartungen der glühenden Befürworter des Staatsfonds aus der Handelskammer zurückbleiben. Sie hatten in der Vergangenheit die Ansicht vertreten, ein solcher Fonds sei gut ausgestattet, wenn sein Kapital 100 Prozent des BIP entspreche, und deshalb auch den Kompensationsfonds als zu klein bemängelt. Dass der mit viel Stolz und Begeisterung angekündigte FSIL so bescheiden wird, liegt ersichtlicher Weise daran, dass die „guten Jahre“ zum Geldhorten schon vorbei sind. Es ist schon ironisch, dass in dem Jahr, in dem die Mehrwertsteuereinnahmen aus dem elektronischen Handel einbrechen werden, die Regierung ihren Fonds für die Zukunft aus ebendiesen Einnahmen speisen will. Mindestens 50 Millionen Euro sollen jährlich in den FSIL fließen, 25 davon sollen aus der TVA E-Commerce stammen, der Rest aus den Einnahmen aus den Treibstoff-Akzisen. Weil die öffentliche Hand seit der Finanzkrise regelmäßig ein Defizit verbucht, muss sie die 50 Millionen Euro, die sie in den Fonds überweist, durch Schulden finanzieren. Das war in der Vergangenheit schon dem Fraktionsvorsitzenden der CSV, Claude Wiseler, aufgefallen, auch Luc Frieden (CSV) erklärte in seiner Zeit als Finanzminister die Nicht-Gründung eines Staatsfonds damit, dass es an Haushaltsüberschüssen fehle, um einen solchen zu speisen. Sogar Jeannot Krecké, der 2008 beim St. Gallen Symposium über Sovereign Wealth Funds referierte, hatte die nicht vorhandenen Überschüsse als Problem identifiziert: „Einen Staatsfonds haben wir aber nicht gegründet, und jetzt ist es zu spät.“ Dass ausgerechnet ein liberaler Minister nun Schulden macht, um für zukünftige Generationen vorzusorgen, da die DP als Oppositionspartei im Wahlkampf einen Rucksack voll Schulden durchs Land schleppte, um darauf aufmerksam zu machen, dass die kommenden Generationen den Schuldenberg der aktuellen Generationen abtragen werden müsse: auch das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Wie viel „Bien-être“ sich die zukünftigen Generationen indes vom FSIL erwarten können, ist fraglich. Nach 20 Jahren darf laut Vorlage die Hälfte der Erträge zurück in den Haushalt überwiesen werden, die andere Hälfte soll im Fonds bleiben. Würde der Fonds auf seinem Kapital von einer Milliarde Euro einen Ertrag von beispielsweise fünf Prozent erzielen, würde er 50 Millionen Euro einnehmen und könnte davon, wenn die Regierung das beschließt, 25 Millionen in den ordinären Haushalt fließen lassen. Damit könnte sie immerhin vier beschädigte Picasso-Gemälde kaufen und hätte noch genug Geld übrig, um die Autobahnbeleuchtung wieder einzuschalten. Doch im Vergleich zu einem Haushalt der schon 2015 Ausgaben von 14,8 Milliarden Euro vorsieht, sieht die Summe recht unspektakulär aus.
Michèle Sinner
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