Wenn politische Änderungen notwendig scheinen, aber der politische Mut dazu fehlt, liegt der Rückgriff auf einen ausländischen Experten nahe, der mit einem möglichst wissenschaftlichenGutachten die politische Legitimation schaffen soll. Aus diesem Grund legte der französische Wirtschaftswissenschaftler Lionel Fontagné Ende 2004 dem Wirtschaftsminister einen Bericht mit dem Titel Compétitivité du Luxembourg : une paille dans l’acier vor.
Die sorgfältig inszenierte öffentliche Vorstellung des Berichtes sollte eine politische Dynamik freisetzen, durch die auch der Lissabon-Strategie gehorchende Reformen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit des nationalen Produktivitätsstandorts möglich würden. Allerdings sollte es nicht allzu lange dauern, bis der Berichtnach einer ausführlichen Kritik der ausnahmsweise vereinten Gewerkschaften und einem Meinungsaustausch in der Tripartite der Vergessenheit anheim zu fallen schien.
Dabei hatte Fontagné als Schlussfolgerung seines 235 Seiten starken Berichts zehn konkrete Vorschläge gemacht. Haben seine Auftraggeber in der Regierung und vor allem im Wirtschaftsministerium sie in den vergangenen drei Jahren beherzigt?
1 Zuerst hielt Fontagné die Entwicklung des Hochschulwesens und der Forschung für nötig. Und der Staat erhöhte tatsächlich Jahr für Jahr die Haushaltsmittel für die Universität und die Forschung.
2 Weiter schlug Fontagné die Schaffung von Ausbildungsschecks vor, die frühzeitige Schulabgänger zeitlebens nutzen könnten, um ihrQualifikationsdefizit auszugleichen. Dieser Vorschlag wurde nicht berücksichtigt.
3 Dann wollte Fontagné einen Ausbildungsmindestlohn geschaffen sehen, bei dem der Staat den Unternehmen die Kosten eines Teils des gesetzlichen Mindestlohns abnimmt, wenn die Mindestlohnbezieher sich weiterbilden. Dieser Vorschlag wurde nicht berücksichtigt.
4 Außerdem schlug Fontagné vor, die Löhne und Gehälter nur bisknapp über dem gesetzlichen Mindestlohn an die Inflation anzupassen und den Rest der Indextranche auf ein Ausbildungssparkonto zu setzen. Dieser Vorschlag wurde nichtberücksichtigt.
5 Weiter sollte der Telekommunikationssektor dereguliert werden, um die vorherrschende Rolle der Post zu beenden. Im Frühjahr 2005 verabschiedete das Parlament das Gesetz über die elektronischen Netze und Dienstleistungen.
6 Auch sollte die Unternehmensgründung gefördert wurde. Mit Werbekampagnen und verschiedenen Hilfen wurden inzwischen Kandidaten ermuntert, sich selbstständig zu machen.
7 Die öffentliche Verwaltung soll des Weiteren zur „e-Verwaltung“übergehen. Seither verfügen verschiedene Verwaltungen über Internet-Seiten, von denen sich Formulare herunterladen lassen.
8 Der öffentliche Dienst soll für Ausländer geöffnet werden, um deren Kompetenzen nutzbar zu machen und die Trennung zwischenwirtschaftlich Aktiven und politisch Aktiven im Land aufzuheben. Dieser Vorschlag wurde nicht berücksichtigt.
9 Auch hielt Fontagné es für nötig, zusätzliche Gutachten über den elektronischen Handel, die Wettbewerbsfähigkeit des Finanzsektors und der Industrie, über das Unternehmertum und die Effizienz der öffentlichen Ausgaben in Auftrag zu geben. Dieser Vorschlag wurde zum Teil berücksichtigt.
10 Schließlich hielt Fontagné es für notwendig, die wirtschaftlichen Statistiken nicht mehr bloß auf nationaler, sondern auf regionaler Ebene zu sammeln, und tiefschürfende Forschung über die Produktivität anzustellen. Dieser Vorschlag wurde nicht berücksichtigt.
Von den zehn Vorschlägen Lionel Fontagnés zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit wurde in den vergangenen drei Jahren also bestenfalls die Hälfte verwirklicht. Zusätzlich hatte Fontagné eine statistische Instrumententafel ausgearbeitet, an der sich die Entwicklung derWettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft ablesenlassen soll. Dieser Tableau de bord compétitivité mit 81 Indikatoren in zehn Themenbereichen wurde vom Wettbewerbsobservatorium des Wirtschaftsministeriums übernommen.
Die Entwicklung der Indikatoren im Vergleich zu anderen EU-Staaten wird jährlich in einem Bericht über die Wettbewerbsfähigkeit und die Lissabon-Strategie veröffentlicht.Das Ergebnis der zuletzt im September aktualisierten Vergleiche ist allerdings erstaunlich: Bis 2003 ist die Zahl der Indikatoren, die im grünen Bereich lagen, das heißt 20 Prozent besser als der EU-Durschnitt waren, leicht angestiegen. Seit 2004, das heißt in den drei Jahren seit dem Fontagné-Bericht, ist die Wettbewerbsfähigkeitdann unverändert geblieben. Der Bilan compétitivité 2007 trägt übrigens den Untertitel: En route vers Lisbonne.