„Mir wëllen d’Kanner méi fréi un d’Sproochen eruféieren. An dovunner hun mer alleguerten eppes,“ sagte Finanzminister Pierre Gramegna (DP) am Mittwoch auf der Parlamentstribüne. Als Escher mit italienischen Großeltern wisse er, wie es sei, mit Kindern in einer Klasse zu sein, „déi Lëtzebuergesch net gutt schwätzen, an heinsdo net verstinn“. Mit den Worten versuchte der Finanzminister Verständnis für eine der umstrittensten Maßnahmen seiner Regierung, den 0,5-Prozent-„Zukunftsbeitrag“, zu werben. Mehr Einnahmen für eine bessere öffentliche Kinderbetreuung, lautet das Versprechen. Wie das beim Bürger ankommt, wird sich in den nächsten Tagen und Wochen zeigen.
Doch womöglich werden Ärger und Unverständnis zunächst überwiegen – zumal die Perspektiven, was eine bessere Kinderbetreuung sein soll, so klar nicht sind. Erziehungsminister Claude Meisch hatte bei der Vorstellung seiner erziehungspolitischen Leitlinien zur diesjährigen Rentrée scolaire, künftig einen stärkeren Akzent auf die rund 600 Kinderbetreuungseinrichtungen im Land setzen zu wollen. Nicht nur, dass das bestehende Angebot vergrößert werden und für Null- bis Dreijährige gratis sein soll, auch inhaltlich sollen die Einrichtungen, so steht es im 15-seitigen Papier, das auf der Webseite des Minsietriums eingesehen werden kann, sich verbessern.
Der Gedanke dahinter klingt einleuchtend: Schon heute könnte die kulturelle und sprachliche Vielfalt der Kinder in Luxemburgs privaten und konventionierten Kindergärten und in den Maisons relais (für Schüler bis zwölf Jahre) kaum größer sein. Internationale und nationale Bildungsstudien weisen seit Jahren darauf hin: Schüler, die früh Sprachschwierigkeiten haben, riskieren im dreisprachigen Luxemburger Schulsystem dauerhaft abgehängt zu werden. Um sie besser auf die schulischen Sprachanforderungen vorzubereiten, sollen sie schon in den Kindergärten unterstützt werden.
Aber was heißt das konkret? Der Erziehungsminister will die Aufspaltung in konventionierte, vorwiegend luxemburgisch sprechende und von Luxemburger Eltern besuchte Einrichtungen einerseits, sowie private, von franko- oder lusophonen Kindern besuchte andrerseits überwinden. Warum können Luxemburger nicht früher mit Französisch vertraut gemacht werden und Frankophone mit dem Luxemburgischen, so seine Idee, quasi nebenbei durch ohnehin vorhandenes französisches und luxemburgisches Kindergartenpersonal. Vor zwei Wochen besuchte Meisch gemeinsam mit Familienministerin Corinne Cahen zweisprachige – französisch und deutsch – Kindergärten im Saarland. Mit einer Stratégie France will das Saarland bis 2043 das erste „mehrsprachige“ Bundesland sein.
Doch spätestens hier beginnt die Verwirrung. Denn in Meischs Papier steht, dass der Éveil aux langues, also das Heranführen der Kleinen an Sprachen, auf Mehrsprachigkeit ausgerichtet sein soll. Wer versucht zu verstehen, welches Sprachenkonzept bei den widersprüchlichen Botschaften – bilingual, trilingual, plurilingual – in der Frühförderung handlungsleitend ist, findet mehr Fragen als Antworten. „Es geht darum, das kompetente Kind in den Mittelpunkt zu stellen. Kinder lernen ständig. Sie lernen zu reden, indem sie erst einmal drauflos plappern“, erklärt Manuel Achten, Berater im Erziehungsministerium für den Bereich Frühförderung. Alle Kinderbetreuungseinrichtungen, die in Luxemburg eine Betriebsgenehmigung erhalten und finanzielle Unterstützung vom Staat wollen, sollen künftig Leitlinien zu Punkten, wie Ernährung, Ausstattung, Partizipation, pädagogisches Konzept, et cetera umsetzen. So sieht es der Rahmenplan zur non-formalen Bildung vor, der dem Parlament als Gesetzentwurf vorliegt.
Ein Kapitel ist der Sprache gewidmet: „Die selbstverständliche Präsenz mehrerer Sprachen stellt in Luxemburg eine bedeutsame Ressource und zugleich Voraussetzung für Bildungsprozesse in non-formalen Settings dar.“ Diese könnten individuell sehr unterschiedlich sein. Statt Kinder, die daheim nicht luxemburgisch sprechen, im Kindergarten auf Lëtzebuergesch zu trimmen, soll der jeweilige sprachliche Hintergrund konstruktiv berücksichtigt und so der Spaß am Sprachenlernen geweckt werden. Portugiesische Kinder könnten „minha casa“ zu ihrem Haus sagen, französische „ma maison“, luxemburgische „mäin Haus“ – und würden dazu von Erziehern ermuntert. Dahinter steht der Gedanke: Spricht ein Kind seine Erstsprache gut und gerne, wird es die zweite oder dritte leichter lernen. Ein entsprechendes Pilotprojekt mit der Uni Luxemburg wird vom Schulministerium unterstützt, eine Broschüre zur Mehrsprachigkeit in der Frühförderung soll im November erscheinen.
Doch wie passt das zu Meischs erklärtem Ziel, luxemburgische Kinder stärker ans Französische heranzuführen und umgekehrt romanophone ans Luxemburgische? Wie sähe so ein bilingualer Kindergarten aus – und was bedeutet das für den anschließenden Sprachenunterricht in der Grundschule und die Alphabetisierung auf Deutsch? Werden, wie die DP es zu Oppositionszeiten stets verlangt hatte, romano- und lusophone Kinder das Alphabet auf Französisch lernen, während ihre luxemburgischen Klassenkameraden die ersten Wörter auf Deutsch schreiben – und was hieße das für den Sprachenunterricht auf der Sekundarstufe? Welche Rolle soll die Uni Luxemburg bei alledem spielen? Meischs Positionspapier ist insofern ehrgeizig, als schon zur Schul-Rentrée 2016-2017 ein Konzept für Kleinkinder von null bis vier Jahren in Kraft treten soll. Eine Arbeitsgruppe besteht bereits, andere Beratungen zwischen Uni und Politik sind für November geplant. Noch sind nicht alle an Bord, einige Wissenschaftler sind unentschieden, ob sie mitmachen wollen. Dabei geht es wohlgemerkt nicht darum, Programme oder gar Unterrichtspläne zu erstellen. „Wir wollen keine Schulbänke im Kindergarten“, betont Berater Achten. „Kinder sollen kulturelle und sprachliche Vielfalt positiv erleben, und sich in ihrer Geschwindigkeit mit ihren Kompetenzen entwickeln. Die Aufgabe der Erzieher besteht darin, hierfür den Raum zu schaffen.“
Die Krippen, aber auch die Maison relais, wo Jungen und Mädchen nach der Schule Mittag essen, Hausaufgaben machen und spielen, zählen zur non-formalen Bildung. Der Akzent liegt auf dem Spielerischen, dem Ausprobieren, dem Kommunizieren. Doch welche Ansätze erfolgreich sind, wie der Übergang zwischen bloßer Verständigung und gezieltem (Fremd-)Sprachenlernen erfolgreich gestaltet werden kann, ist unklar – und strittig. Ethnografische Forschungen der Uni Luxemburg, nachzulesen in der Zeitschrift Forum, zeigen, dass die sprachlichen Gepflogenheiten in Luxemburgs Kindergärten sehr verschieden sind: Manche Erzieher leiten die Kleinen an, luxemburgisch zur Verständigung zu lernen, und ermahnen sie, wenn sie es nicht tun. Andere haben eine Arbeitsteilung entwickelt, die sich pragmatisch an den Sprachkompetenzen des Personals orientiert: Wer französisch ist, spricht mit den Kindern französisch, wer luxemburgisch ist, luxemburgisch. Wieder andere versuchen, ihre Sprache auf die des Kindes einzustellen. Die Öffentlichkeit, die Eltern sind sich dieser widersprüchlichen Praktiken oft nicht bewusst, die wenigsten Einrichtungen haben ein Sprachenkonzept. Trotzdem gibt es kaum ein Thema, außer vielleicht das Ausländerwahlrecht, das unter echten Luxemburgern und Wahlluxemburgern so emotional diskutiert wird wie das Sprachenproblem. Claude Meisch hat versprochen, die Sprachenproblematik vorrangig nicht als politische Frage, sondern gemeinsam mit Sprachwissenschaftlern zu erörtern.
Doch die Spracherwerbsforschung an der Uni Luxemburg steckt selbst noch in den Kinderschuhen, zum Teil finden sich dort sehr unterschiedliche Überzeugungen und Sichtweisen: Während die einen für bilinguale Immersionsprojekte plädieren (also zwei Sprachen, jeweils durch Muttersprachler), setzen andere auf Luxemburgisch als Integrationssprache, die nächsten auf mehr Fremdsprachendidaktik und wieder andere auf eine quasi „organisch“ wachsende Mehrsprachigkeit. Und dann ist da das Sprachengesetz von 1984, das als Amtssprachen Luxemburgisch Deutsch und Französisch vorschreibt.
Dass es so konfus nicht weitergehen kann, darüber sind sich die meisten Wissenschaftler und Politiker einig, wenn man von ein paar Hardlinern wie etwa die ADR absieht, die darauf pocht, dass nicht-luxemburgische Zuwanderer sich an die Dreisprachigkeit anzupassen hätten. Dabei werden in vielen Wirtschaftssparten längst mehr Sprachen gesprochen, etwa Englisch oder Portugiesisch, und stellen Nicht-Luxemburger in Kindergärten und Grundschulen mittlerweile die Mehrheit. Die Einwanderung und damit die sprachliche Vielfalt in Kindergärten und Schulen sind Fakten. Will die Regierung nicht noch mehr Misserfolg und Schulabbrecher riskieren, muss sie gegensteuern – und zwar möglichst früh.
Während nun die einen auf wissenschaftlich erprobte Sprach- und Lernkonzepte setzen, hoffen andere auf eine Chance für neue Modellprojekte, versuchen wieder andere Kindergärten aufzutun, die vielleicht die eine oder andere Methode erfolgreich praktizieren. Allerdings scheint das Ministerium selbst nicht sicher, was Erfolg meint, denn nur wenige Kindergärten wurden bisher überhaupt untersucht, auch die Analyse des Précoce, ursprünglich geschaffen, um Kinder ans Luxemburgische heranzuführen, steht noch aus. Andererseits wäre es angesichts des verordneten Sparkurses schwierig zu vermitteln, wenn öffentliches Geld in Ansätze investiert würde, die sich später als unwirksam herausstellen. Luxemburger sind erzieherischen Experimenten generell nicht sehr wohl gesonnen, wie die Erfahrungen von Eis Schoul und der Escher Jean Jaurès-Schule zeigen.
Keine einfache Aufgabe also für die Bildungsminister, dessen Budget im nächsten Jahr immerhin um neun Prozent wachsen wird. Die Herausforderung, aus den kontroversen Ansätzen, Ansichten und Wünschen eine kohärente Sprachenpolitik zu zimmern, ist gewaltig. Zumal daran weitere Fragen anknüpfen, etwa die des Erzieherprofils, aber auch der Lehrerausbildung sowie der Didaktik. Fremdsprachendidaktiker sind an der Uni ebenso wie an Luxemburgs Schulen Mangelware. Aber genau die wird der Minister brauchen, um seine Vorstellungen umzusetzen. Oder es ergeht ihm wie seiner Vorgängerin: Von ihrem Aktionsplan Réajustement de l’enseignement des langues sprach am Ende ihrer Amtszeit niemand mehr.