Die Banken haben Jugendliche als Konsumenten längst entdeckt. Ob Carte axxess, Fit4Fun, Greencode oder Startin, Bankkunden werden von Kindesbeinen an umworben. Andersherum ist die Welt der (Finanz-)Wirtschaft für die meisten Jugendlichen – und auch für viele Erwachsene – ein Buch mit sieben Siegeln. Und, sollte die Regierung den Entwurf zur Reform der Sekundarstufe, wie ihn die ehemalige Schulministerin Mady Delvaux-Stehres (LSAP) hinterlegt hatte, nicht wesentlich überarbeiten, wird es womöglich dabei bleiben.
Denn nach dem miserablen Abschneiden bei Pisa 2006 mit Schwerpunkt Naturwissenschaften hatte die Ministerin, beziehungsweise ihre zuständigen Beamten die zwei verpflichtenden Wochenstunden Wirtschaft für Schüler der 4e des Classique kurzerhand gestrichen – um dafür die Naturwissenschaften auszubauen. Die Reaktion folgte prompt: Die Entscheidung sei skandalös, empörte sich die Programmkommission der Wirtschaftslehrer der klassischen Lyzeen. Sie wollen nicht weniger, sondern mehr Wirtschaft und Finanzwissen. „Vor 30 Jahren hätte ich das vielleicht nicht gesagt, aber heute gehören asiskenntnisse über ökonomische Zusammenhänge zur schulischen Allgemeinbildung unbedingt dazu“, findet Marc Muller, Wirtschaftslehrer am hauptstädtischen Lycée Aline Mayrisch.
15- bis 18-Jährige haben heutzutage fast alle ein Handy, fahren Mofa, manch ältere kommen sogar mit dem eigenen Auto zur Schule. Sie sind aktive Konsumenten. Aber wie Kredite vergeben werden, wovon der Zinssatz abhängt, was Ratingagenturen sind und was die Minuszinsen der Europäischen Zentralbank für die Wirtschaft und den Geldverkehr bedeuten, wissen die wenigstens – außer sie haben die Wirtschaftssektion im Lyzeum gewählt oder treffen auf einen Lehrer, der das in seinen Unterricht einbaut. Dass war bislang die Haltung des Unterrichtsministeriums: Fächer sollen Wirtschaftsbildung mit einbauen, warum nicht im Französischunterricht einen Text zu Frankreichs kriselnder Wirtschaft lesen und gemeinsam die komplexeren Hintergründe beleuchten?
Das funktioniere nur begrenzt, ist hingegen Muller überzeugt: „Die finanziellen und ökonomischen Zusammenhänge sind so kompliziert, die kann man nicht einfach so ohne entsprechende Fortbildung vermitteln.“ Gemeinsam mit seinen Kollegen von der Programmkommission und mit dem Bankendachverband ABBL erarbeitet der Wirtschaftslehrer Lehrmodule, die „praxisnah und verständlich das ABC der Börse sowie Informationen zum Luxemburger Finanzplatz vermitteln sollen“.
Die Kollaboration zwischen Schule und Wirtschaft wird aber nicht nur positiv gesehen: Die einen wittern einen Eingriff in die pädagogische Freiheit und die schulische Neutralität durch die Privatwirtschaft, die junge Konsumenten anwerben, die anderen spotten und schimpfen, dass gerade die, die Warnzeichen der Banken- und Schuldenkrise selbst ignoriert haben, nun Schülern belehren wollen, wie sie ihr Geld richtig anlegen und die Wekt zu sehen haben.
„Ich glaube kaum, dass Luxemburgs Banker die Finanzkrise ausgelöst haben, sagt Marc Muller trocken. Der Wirtschaftslehrer kann an der Unterstützung durch die Handelskammer, die Finanzaufsicht CSSF oder auch den Bankendachverband nichts Ruchhaftes finden: „Im Programm gehen wir auch auf ethische Fragen ein.“ Allerdings, zu den Befürwortern von mehr Wirtschaftsbildung im schulischen Lehrplan zählen insbesondere auch die Wirtschaftsorganisation OECD – seit Pisa ein Reizwort für viele Lehrer – und die Weltbank. Die Woche des Geldes etwa, die nächstes Jahr in der zweiten Märzwoche das erste Mal in Luxemburger Primärschulen stattfinden soll, wird vom Weltbankenverband organisiert und von der OECD unterstützt. Die bunte Themenwoche mit vielen pädagogischen Aktivitäten rund ums Geld wendet sich gezielt an Zehn- bis Elfjährige, „weil sie mit zwölf Jahren ein Girokonto einrichten können und sie dann wissen müssen, was Geld überhaupt bedeutet“, sagt ABBL-Sprecher Phi-lipp von Restorff. Die ABBL koordiniert die Luxemburger Auflage der Money week, Teilnehmer müssen vorher eine Charta unterschreiben, dass sie die Schule nicht zur Eigenwerbung missbrauchen, betont von Restorff.
Für Lehrer Muller hat die Zusammenarbeit zwischen Schule und Wirtschaft klare Grenzen: „Nicht in Ordnung finde ich, wenn Banken gezielt in die Schulen gehen, um dann Schüler als Kunden zu gewinnen.“ Dass das geschieht und gerade Privatbanken Schüler gerne mal mit Spareinlagen von 50 Euro für die Eröffnung eines Erstkontos locken, ist ein offenes Geheimnis. Lehrerkollegen, die sich an zu viel Nähe zur Wirtschaft stoßen, lädt der Wirtschaftslehrer zum konstruktiven Feedback ein: „Wir werden uns der Kritik stellen“, so Muller.
„Wir trennen unsere pädagogischen Programme ganz bewusst von unseren kommerziellen Aktivitäten“, beteuert Laurent Derkum von der Personalabteilung der Spuerkees, die sich seit vielen Jahren um die Zusammenarbeit mit den Schulen kümmert. Die Spuerkees ist eine der Vorreiterinnen der „éducation financière“ hierzulande, auch dank einer gewissen Vorarbeit ihrer Partnerbanken in Deutschland, von denen sie das Planspiel Börse übernommen haben. Nach einer kleinen Einführung lernen die Teilnehmer am Computer, wie eine Börse funktioniert, was Aktien sind, welche Rolle Unternehmen spielen, wie sie mit klugen Einsätzen Rendite erzielen, aber auch verlieren können. „Wir sagen den Schülern, dass hinter jeder Aktie auch ein Unternehmen steht, das den Wert erst schafft“, betont Derkum. Auch die wirtschaftliche Nachhaltigkeit sei Thema.
Bei der Börsensimulation kann jeder mitmachen, der will und sich anmeldet, meist sind es Schüler des Classique. Das ist vielleicht der Haken an der Sache: Bisher werden in Luxemburg, wenn von éducation financière die Rede ist, vor allem Classique-Schüler der Mittel- und Oberstufe ins Visier genommen. Liest man die Stellungnahmen der Programmkommission der (klassischen) Wirtschaftslehrer, offenbart sich ein recht elitäres Bildungsverständnis. Dabei sind bildungsferne Schichten öfters verschuldet und können wirtschaftliche Grundkenntnisse auch ihnen zugute kommen. Das Unterrichtsministerium sieht „organisatorische Schwierigkeiten“, viele Technique-Schüler würden in Betrieben angelernt. Muller findet, dass Schüler „eine gewisse Reife haben müssen“, um die komplexen Kreisläufe des Geldes zu verstehen.
Doch muss es immer gleich eine Einführung in Keynes oder die Geldpolitik der EZB sein? Andere Länder, Großbritannien oder die Niederlande, machen vor, dass der Umgang mit dem Geld auch im Kindergartenalter spielerisch gelernt werden kann. Das Szenario erinnert ein wenig an die Debatte um die (fehlende) Medienkompetenz vieler Jugendlichen: Fast jeder stimmt zu, dass junge Leute heute mit Tablet, Smartphone und Laptop umgehen können müssen, um auf dem Arbeitsmarkt zu bestehen. Doch vielen Schulen fällt nichts Besseres ein, als Handys im Unterricht zu verbieten, und meistens erhalten nur jene Schüler, die Informatik als Schwerpunkt wählen, tiefere Einblicke in die Welt der Bits und Bytes und lernen Programmien. Die Schule hinkt hoffnungslos hinterher, wenn es darum geht, Jugendliche adäquat auf die digitalisierte und durchökonomisierte Welt vorzubereiten. Und es sieht leider so aus, als wird das trotz Initiativen wie die Geldwoche auch in Zukunft so bleiben.
Die Regierung unter Schulminister Claude Meisch hat versprochen, die Autonomie der Schulen stärken. Aber was bedeutet das schon? Allgemein mehr Wirtschaft im Lehrplan vorzusehen, möchte das Ministerium eher nicht: Woher die Zeit nehmen, ohne Konflikte mit anderen Lehrern zu provozieren, die ihr Fach für das Wichtigste halten – der Lehrplan ist eh schon zum Bersten gefüllt.
Zweimal haben die Wirtschaftslehrer zusammen mit der CSSF, der ABBL und der Handelskammer den Minister Claude Meisch (DP) getroffen. Sie hoffen, bei dem Wirtschaftsmathematiker und Ex-Banker mit ihrem Anliegen Gehör zu finden. Bisher hat sich dieser aber nicht in die Karten gucken lassen, von einer „nationalen Strategie“, wie sie der ABBL und den Wirtschaftslehrer vorschwebt, ist weit und breit nichts zu sehen. ABBL-Sprecher von Restorff gibt sich gleichwohl gelassen: „Auf Dauer kann die Politik nicht dagegen sein.“